»Ich kann helfen.«
»Weshalb solltet Ihr mir helfen wollen? Da ich für Euch doch nichts anderes als ein verwöhntes Prinzesschen bin.« Sie schnaubte.
»Womöglich lag ich damit falsch.«
»Womöglich?« Sie winkte ab. »Lassen wir es gut sein. Ihr solltet schlafen gehen.«
»Ich werde Euch begleiten«, entschied er.
Blossom zuckte mit den Schultern. Sie würde ihn wohl kaum davon abhalten können, weshalb sie es erst gar nicht weiter versuchte. Sie war zwar nicht gerade begeistert, aber ändern ließ es sich wohl nicht.
Schweigend gingen sie den restlichen Weg zur Bibliothek nebeneinanderher. Seine Gesellschaft war ihr irgendwie unangenehm. Blossom stieß die große Tür zur Bibliothek auf, und sie traten gemeinsam ein. Sie hielt sich nicht lange damit auf, dem Ritter alles zu zeigen, sondern steuerte zielstrebig auf den hinteren Teil des Lesesaals zu, als würde sie dorthin gezogen. Dort gab es ein Regal, in dem die Bücher ihrer Kindheit aufbewahrt wurden. Ihr Blick glitt über die Buchrücken, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Werk. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie es aussah, auch wenn sie das dünne, in Leder gebundene Büchlein als kleines Mädchen zuletzt gesehen und in Händen gehalten hatte. Wo steckte es nur?
»Da ist es ja«, rief sie aus und zog das schmale Buch aus dem Regal. Die goldene Schrift auf dem Einband leuchtete ihr geradezu einladend entgegen.
»Ein Märchenbuch? Das soll uns helfen? Ist das Euer Ernst?«
Sie ignorierte ihn und ging zum Kamin hinüber, in dem noch ein helles, warmes Feuer brannte.
»Ich hätte es wissen müssen: Ihr seid der naiven Ansicht, eine Geschichte könnte uns aus diesem Unheil führen.«
»Hört auf, mich ständig zu beleidigen«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Euch nicht gebeten, mit mir zu kommen. Geht und sucht Euer Glück irgendwo anders!«
»Wie könnt Ihr als Königstochter Euren Hilfe suchenden Untertanen gegenüber so überheblich sein?«, schnauzte er.
» Ich bin überheblich?« Blossom lachte auf. »Ihr geht jetzt besser. Augenblicklich! Bevor ich die Wachen rufe und Euch entfernen lasse!«
Cajus wollte noch etwas erwidern, schloss jedoch den Mund, ohne ein Wort zu sagen, drehte sich um und stapfte wütend davon.
»Und lasst Euch ja nicht so schnell wieder blicken!«, rief sie ihm hinterher.
Krachend fiel die Tür zur Bibliothek hinter ihm ins Schloss.
Blossom entschied, sich nicht länger über diesen ungehobelten Kerl von Ritter zu ärgern. Stattdessen ließ sie sich in einem Sessel nahe dem Kamin nieder und begann im schummrigen Licht des Feuers zu lesen.
Kapitel 3
»Wach auf, Schlafmütze.«
Blossom öffnete blinzelnd die Augen und blickte direkt in Toshos Gesicht, der sie munter angrinste.
»Wo bin ich?«, fragte sie verschlafen. »Wie spät ist es?«
»Es ist kurz nach Sonnenaufgang, und du bist in der Bibliothek. Ich frage mich, warum zur Hölle bist du überhaupt hier? Wenn ich mich nicht gänzlich irre, hast du ein herrlich bequemes Bett in deinem Schlafgemach. Mit flauschigem Daunenbett und einem kuscheligen Kopfkissen. Unglaublich weich und gemütlich, könnte man meinen. Ich an deiner Stelle hätte ja dort genächtigt, anstatt hier in einem dieser verstaubten alten Sessel, neben einem heruntergebrannten Kaminfeuer.«
Blossom richtete sich mühsam auf, da alle ihre Muskeln von der unnatürlichen nächtlichen Haltung schmerzten. Vorsichtig streckte sie sich.
»Ich habe mich an ein Märchen erinnert, das mir meine Großmutter immer vorlas, als ich noch ein Kind war.«
»Welches Märchen?«
»Von einer jungen, schönen, aber bösen Zauberin namens Thyria.«
Überrascht blickte Tosho sie an. »Weshalb kenne ich dieses Buch nicht?«
»Das verwundert mich auch«, neckte sie ihn. »Ein Buch, das du nicht kennst? Wahrlich erstaunlich.«
»Spotte du nur. Also, was steht in diesem Märchen?«
Blossom griff neben sich, zog den schmalen Band hervor und streckte ihn Tosho entgegen. »Hier, besser, du liest es selbst. Sonst heißt es noch, ich hätte dir irgendein wichtiges Detail vorenthalten.«
»Das würde ich niemals zu behaupten wagen, holde Prinzessin.«
Er nahm das Büchlein entgegen und setzte sich in den Sessel, der auf der anderen Seite des Kamins stand.
Darauf zu warten, dass er mit dem Lesen der Geschichte fertig war, machte Blossom zappelig. Geduld war nicht unbedingt eine ihrer Tugenden.
»Was sagst du?«, fragte sie erwartungsvoll, als er eine gefühlte Ewigkeit später das Buch zuschlug.
»Du weißt, was das bedeutet?«
»Ja.«
»Wie es scheint, hast du die Antwort gefunden«, sagte Tosho anerkennend.
»Du glaubst mir und hältst mich nicht für verrückt?«
»Warum sollte ich? Ich kenne dich und dein Bauchgefühl, von dem ich weiß, dass es niemals falschliegt. Also ja, ich zweifle nicht an den Botschaften, die in diesem Buch stehen.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin«, sagte sie erleichtert.
»Wirst du es deinem Vater sagen?«
»Dass ich weiß, was die Ursache für das Sterben in Tulpenland ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Es wird ihn nicht interessieren, sondern er wird mir eher vorhalten, dass ich mich nicht an den Inhalt einer Kindergeschichte klammern soll.«
»Was willst du dann tun?«
»Ich werde mich selbst auf die Reise begeben. Erst werde ich mir ansehen, was in Tulpenland vor sich geht, und danach werde ich mich auf die Suche nach einer Lösung machen.«
»Das ist Wahnsinn. Du kannst nicht einfach allein losziehen.«
»Ich brauche keinen Beschützer.«
»Den benötigst du sehr wohl«, widersprach Tosho. »Du bist die zukünftige Königin von Frühling.«
»Mich wird kaum jemand erkennen«, sagte Blossom. »Immerhin sitze ich in diesem Schloss fest wie ein gefangener Vogel in einem goldenen Käfig.« Sie seufzte resigniert. »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt außerhalb dieser Mauern war, ohne von Wachen und Lady Agatha abgeschirmt zu werden. Also wird wohl niemand wissen, wer ich bin, wenn er mir begegnet.« Blossom hasste es, verbittert zu klingen.
»Von deinen heimlichen Ausflügen einmal abgesehen«, merkte er grinsend an.
Sie winkte ab. »Es ist ja nicht so, dass ich weit dabei kommen würde. Außerdem sind sie mehr als rar und noch seltener begegne ich dabei Menschen, weil ich mich stets abseits der gängigen Pfade und Ortschaften halte.«
»Dann scheint es ja nicht viel zu geben, was dich davon abhalten könnte.«
»Wirst du meinen Plan verraten?«
»Solltest du mich nicht gut genug kennen, um zu wissen, dass ich das auf keinen Fall tun werde?« Tosho zuckte mit den Schultern. »Es ist ja nicht so, als ob du dich von mir davon abbringen lassen würdest, auch wenn ich es nicht gutheiße.«
»Ich muss es tun.«
»Ich weiß. Und genau das ist das Problem.«
»Problem?«
»Dass ich dir nichts ausschlagen kann. Egal wie dumm deine Pläne auch sein mögen.«
Vogelgezwitscher klang aus den Gärten durch das offene Fenster herein, und Blossom wurde von Traurigkeit erfüllt.
»Hörst du das?«, fragte sie. »Bald wird es sie nicht mehr geben, um uns mit ihrem Gesang zu erfreuen. Wenn die Pflanzen sterben, dann sterben auch sie und schließlich wir. Der Tod wird nicht haltmachen, bis alles in Frühling zerstört ist.«
»Tulpenland ist weit weg.«
»Nicht weit genug. Nur weil es dort seinen Anfang nahm, heißt das nicht, dass es auch dort bleibt«, gab Blossom zu bedenken.
»Aber weshalb gerade in Tulpenland? Was ist an dem Fürstentum so besonders?«
»Thyrias Geburtsort liegt dort.« Blossom stand auf und streckte sich, um die verkrampften Muskeln zu dehnen. »Wäre es nicht denkbar, dass sie den Menschen, die sie einst kannte, den Vorwurf macht, ihr nicht geholfen zu haben, als sie Beistand am dringendsten brauchte?«
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