»Husch, husch«, befahl sie und scheuchte Blossom in Richtung Palast.
Den ganzen Weg zurück musste sie sich Lady Agathas Tiraden anhören. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, doch das hätte zu noch mehr Vorträgen über Anstand geführt. Also versuchte Blossom, das Beste daraus zu machen und ihre Begleitung zu ignorieren.
Der Gedanke an den späteren Empfang stimmte Blossom nicht gerade fröhlicher. Im Gegenteil. Sie verzog missmutig das Gesicht. Das steife Herumstehen und das belanglose Geplauder waren einfach nichts für sie. Zumal es ihr nicht wirklich erlaubt war, etwas Sinnvolles zu einem Gespräch beizutragen.
»Wirklich, Lady Agatha, Ihr braucht mich nicht zu begleiten. Ich finde den Weg in mein Zimmer durchaus allein.« Es fiel Blossom schwer, ruhig und beherrscht zu klingen, während sie sich gleichzeitig über diese aufdringliche Person ärgerte.
»Oh nein, Prinzessin, so leicht kommt Ihr mir nicht davon. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr ohne weitere Verzögerung Eure Gemächer aufsucht. Täte ich dies nicht, bin ich sicher, Euch würde nichts Besseres in den Sinn kommen, als einen Abstecher in die Bibliothek oder zurück in den Garten zu unternehmen.« Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Beeilt euch besser.«
Blossom knirschte mit den Zähnen und versuchte ihre aufsteigende Wut niederzukämpfen, damit ihr Temperament, das sich grummelnd meldete, sie nicht in Teufels Küche brachte.
Ganz unrecht hatte Lady Agatha allerdings nicht. Sie kannte ihre Pflichten als Prinzessin, doch viel lieber las sie oder verbrachte möglichst viel Zeit im Garten. Manchmal fand man sie auf dem Bogenschießplatz bei den Schützen ihres Vaters, mit denen sie übte und sich mit ihnen maß.
Im Augenblick blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als sich zu fügen und von ihrer Anstandsdame zu ihren Gemächern eskortiert zu werden.
Dort angekommen schlug Blossom Lady Agatha die Tür vor der Nase zu, bevor diese nur ein weiteres Wort hervorbringen konnte.
Tief durchatmend lehnte sich Blossom von innen gegen die Tür. Verflixt, die Aussicht auf eine Audienz war nicht wirklich verlockend. Sicher würde gleich ihre Zofe erscheinen, um sie für diesen ganzen Zirkus herzurichten. Allein bei dem Gedanken ans Frisieren verzog sie das Gesicht. Dieses Ziepen und Zerren hasste sie. Was war an einem einfachen geflochtenen Zopf auszusetzen?
Sie stieß sich von der Tür ab, ging zu ihrem Bett hinüber und ließ sich darauf fallen. Nur ein paar Minuten Ruhe, bevor sie wieder Prinzessin sein musste. Mehr wollte sie nicht. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne ihre Zofe gemacht, die nur einen Augenblick später hereinschneite, beladen mit einem Tablett voller Tiegel und Fläschchen. Das verhieß nichts Gutes.
Ihre Zofe war eine ältere Frau mit mürrischem Blick, die kaum etwas sagte, und wenn doch, dann waren es kurze Befehle, die sie bellte, oder unverständliches Gemurmel. Sie war nicht gerade zimperlich, wenn sie einen Kamm durch Blossoms lange, hellbraune Locken zog. Stieß sie dabei auf einen Knoten, zerrte und riss sie so lange daran, bis die Zinken problemlos weitergleiten konnten. Als Kind hatte sie diese Frau geradezu inbrünstig gehasst.
»Hilda, du bist wohl gekommen, um mich zu quälen«, sagte Blossom und gab sich nicht einmal die Mühe, zu lächeln oder ihre Stimme weniger genervt klingen zu lassen. Wozu auch?
Wieso hatte das Schicksal sie mit den zwei mürrischsten Frauen von ganz Frühling gestraft? Dabei waren die Bewohner dieses Königreiches fröhliche und liebenswerte Menschen, die gerne Feste feierten. Lady Agatha und Hilda schienen allerdings Ausnahmen zu sein. Es war, als hätten sie nichts von der Leichtigkeit und Beschwingtheit des Volkes mitbekommen. Eine solche Verbitterung und Gefühlskälte würde man eher den Menschen im Königreich Winter zusprechen; einem Land, in dem die meiste Zeit während des Winterhalbjahres Dämmerung herrschte und alles unter Schnee begraben lag.
Seufzend erhob sie sich von ihrem Bett und ging hinüber zum Frisiertisch, wo ihre Zofe sie bereits mit vor der Brust verschränkten Armen erwartete. Kaum hatte Blossom auf dem mit Samt bezogenen Hocker Platz genommen, begann die unerträgliche Prozedur. Jeglicher Protest würde nicht helfen, also sparte sie sich den Atem.
Eine Stunde später stand Blossom neben dem Thron ihres Vaters und zupfte missmutig am Mieder ihres Kleides herum. Warum mussten diese vermaledeiten Dinger immer so verdammt eng geschnürt sein, dass einem die Luft wegblieb?
Bisher hatten sich erst wenige Personen im Thronsaal versammelt, um bei der Audienz anwesend zu sein. Ihr Vater, König Brenin von Frühling, war ebenfalls noch nicht da. Er würde sich erst zeigen, wenn alle Delegierten aus Tulpenland eingetroffen waren. Blossom stattdessen sollte sich bereits vor allen anderen einfinden, aus welchem Grund auch immer. Ihr Vater schwieg sich darüber aus.
Als Prinzessin wusste sie so ziemlich alles über Tulpenland, was es zu wissen gab, wenngleich sie noch niemals dort gewesen war. Das Gebiet reichte von der Küste, wo es im Süden an das Königreich Sommer grenzte, bis weit ins Landesinnere, bis zum Fürstentum Glockenblume. Wie herrlich es doch wäre, durch die Fürstentümer von Frühling zu reisen. Ihr Vater erlaubte es ihr jedoch nicht. Schon gelegentliche Ausritte waren ihr nur möglich, wenn sie sich davonschlich und sich unbemerkt eines der königlichen Pferde satteln konnte, bevor sie erwischt wurde. Der alte Stallmeister Hagen drückte schon mal das eine oder andere Auge zu, wenn er sie dabei ertappte. Er tat einfach so, als hätte er sie nicht bemerkt. Dafür war sie ihm dankbar und zauste ihm gelegentlich neckisch seinen wilden Bart.
Wenn sie ritt, dann gab es nur Freiheit, und sie konnte für eine Weile ihre Pflichten als Prinzessin einfach hinter sich lassen. Ihr Vater war streng und ließ sich selten erweichen. Seit Blossoms Mutter bei einem Kutschunfall ums Leben gekommen war, war die Sorge um seine einzige Tochter so groß, dass sie kaum noch Luft zum Atmen bekam. Wie oft sie sich in ihrem Leben schon wie ein Vogel im goldenen Käfig gefühlt hatte, konnte sie nicht sagen. Unzählige Male.
Blossom entsann sich nur schemenhaft an ihre Mutter. Es waren vage Bilder in ihrem Kopf. Und da war die Erinnerung an eine wunderschöne Stimme, die ihr ein Schlaflied sang. Arme, die sie liebevoll umschlossen hielten.
Die Liebe ihrer Eltern war stark und tief gewesen. Nach dem Tod seiner Königin fand ihr Vater nur schwer und langsam zurück ins Leben. Seither achtete König Brenin mit Argusaugen über sie und missbilligte beinahe alle Aktivitäten, die seine Tochter unternahm.
Blossom hob den Kopf, als die Doppeltür zum Thronsaal geöffnet wurde, die aus schwerer Eiche aus dem Königreich Herbst bestand und von Blütenschnitzereien geziert wurde. Rasch hörte Blossom auf, an ihrem Kleid zu zupfen, straffte die Schultern und verschränkte die Hände sittsam ineinander.
Eine Gruppe bunt gekleideter Menschen kam herein. Augenscheinlich die Delegierten aus Tulpenland. Kräftiges Orange, sonniges Gelb und leuchtendes Rot dominierten ihre Kleidung. Es waren die fröhlichen Nuancen der Tulpen, für die das Land bekannt war.
Blossom musste schmunzeln. Tulpenländer neigten ein wenig zur Übertreibung, wenngleich auf eine charmante Art, die sie sehr mochte. Ihr Vater dagegen vermied es möglichst, mit Vertretern dieses Fürstentums zu sprechen, da er sie für unter seiner Würde hielt. Bedauerlicherweise. Natürlich würde er dies niemals öffentlich zugeben. Blossom hatte vor einiger Zeit gehört, wie er etwas in dieser Art gegenüber Lady Agatha geäußert hatte, die ihm natürlich zustimmte, wie bei allem, was der König sagte.
Die Delegierten wurden von einer Gruppe von Soldaten und Rittern begleitet. Nicht allein zum Schutz, sondern ebenso sehr als Statussymbol, um Eindruck am Königshof zu schinden. Es wurde als angemessen empfunden, möglichst viel von den Ressourcen zu zeigen, über die man verfügte.
Читать дальше