Das tat die alte Bärbe und schob ihn in ein Käfterchen, wo schon einer stand, dann lief sie eilig, um nach dem Knecht den Herren wegzustecken. Als sich nun die beiden in dem Käfterchen besahen, erkannten sie einander recht gut, denn ein Totengräber schaute dem anderen ins Angesicht: der von Sankt Marien dem von Sankt Lukas. »Oho! Oho!« sprach der von Marien mit rauher Stimme. »Geht jetzt der heilige Lukas auf Diebstahl aus? Komm her, du Kienwurz, daß ich dich im Feuer meiner Schläge zu gar nichts verbrenne!«
»Das gelbbrokatene Zimmer gehört dem heiligen Lukas«, antwortete mein Vater recht trotzig. »Wenn dich aber dein Fell juckt, Gevatter, will ich’s dir gerne kratzen.« Denn der andere war sehr dick. »Eben! Eben! Vom gelbbrokatenen Zimmer wollen wir gar nichts wissen, denn wir sind redliche Leute«, sprach der von Sankt Marien. »Der Herr Rat hat sich aber in das grüne Zimmer zum Sterben betten lassen.«
»Das lügst du!« schrie mein Vater im Zorn. »Willst mir wohl keine einzige Leich gönnen?!«
»Hab ich dir nicht dein schwanger Mädchen gegönnt?« höhnte der andere. »Nun gönne mir auch fein meinen Rat!«
Ei, das war meinem Vater zuviel! Der gute Groschen, den das Scheiterholz ihn gekostet, fiel ihm wieder ein. »Willst du mich für mein teuer Geld auch noch verspotten?« schrie er und gab dem anderen einen derben Schlag an die Backe. »Ist es denn auch dein Geld?« fragte der andere und schlug zurück. »Die Leute sagen, du hast einen frommen Klausner umgebracht!«
»Jetzt bringe ich dich um!« schrie mein Vater im wildesten Grimm und drang auf den Dicken ein. Aber auch der war nicht zage, manch kräftiger Schlag ward gegeben und genommen, und das enge Käfterchen sorgte dafür, daß keiner danebenging. Wild schrieen sie sich an und polterten gegen die Holzwände, schließlich, als schon Leute hinzuliefen, stieß mein Vater den anderen durch das Fenster hinaus, und der hätte eine bösen Fall getan, wäre er nicht mit dem Hosengürtel an einem Lindenast hängengeblieben. Da schwebte er in tiefster Schwärze zwischen Himmel und Erde und wagte doch nicht, sich zu rühren oder zu rufen, aus Angst, der Ast möge brechen. Meinen Vater aber führte die Stadtwache ab ins Verließ, erst dann erlösten sie den seltenen Lindenvogel.
Wieviel Kummer sich mein Vater aber auch im Turm machte, daß ihm nun doch die Leich entgehe und daß ein neuer Totengräber von Sankt Lukas an seiner Statt prächtig einstreiche, wo er Wochen elend gewartet – er machte sich den Kummer umsonst, denn keine Leiche entging ihm. Was der von Sankt Marien gesprochen, war lautere Wahrheit gewesen: Der Herr Rat Sernau hatte sich in der letzten klaren Minute in das Sterbezimmer seiner Frau selig tragen lassen, daß er mit ihr vereint auf dem Friedhof von Sankt Marien liege. So hatten der heilige Lukas und mein Vater dieses Mal das Nachsehen.
Wie der Kienmichel den Pfarrer einseifen wollte, aber vom Doppelten Hansen eingeseift ward
Als sie meinen Vater am anderen Tage, nach einer derben Tracht Prügel, aus dem Turm wieder losließen, war ihm das Geschäft leid, Totengräber beim heiligen Lukas zu sein. Er ging zum Herrn Pfarrer, um wenigstens einen Teil seines Geldes zurückzuerbitten, sie ließen ihn aber gar nicht ins Haus. So wendete er einen anderen guten Groschen an das Geschäft, kaufte ein Wännchen Schmierseife und salbte über Nacht die Steinstufen vor der Pfarre recht artig, damit der Herr Pfarr, wenn er zur Frühmesse ginge, einen derben Fall tue und sich möglichst ein Bein breche. Es fiel aber nicht der Pfarr, sondern der Mesnerjunge, so den Pfarrer zu wecken kam. Er brach sich auch kein Bein, sondern schmierte sich nur den Hintern ein, probiert’ es, weil er meinte, es sei Zwetschenmus, und meldete dem Herrn Pfarrer, es habe über Nacht Seife geschneit. Da ließ der Pfarrer die Stufen schön säuberlich von seiner Zugeherin abkratzen und hatte Seifenvorrat fast auf ein Jahr. So hat meinem Vater nie im Leben etwas gelingen wollen, alles, was er begann, schlug ihm fehl, bis ich in höherem Alter meine schwache, spinnenfingrige Hand über ihn hielt und ihn zum Weibel der Wetterplitzischen Leibwache machte, worüber an seinem Ort berichtet wird – da erst hatte er bessere Tage.
Jetzt aber ging’s ihm weiter übel, auch der Pferdehandel gelang ihm nicht nach Wunsch. Mein Vater hatte es sich nämlich in den Kopf gesetzt, er müsse sich nun von seinem letzten Geld Pferd und Wagen kaufen und ein Fuhrmann werden, das sei gerade der rechte Beruf für ihn. Das war nun vielleicht kein so schlechter Einfall, denn er wäre immer an der frischen Luft gewesen, und Friede war auch eben im Lande, so daß ihm keiner zu der Ware Pferd und Wagen genommen hätte – alles gut, wenn nur der Pferdehandel nicht gewesen wäre!
Mit dem Pferdehandel aber ist es so, daß er ein nasses Geschäft ist. Die Roßtäuscher begießen den Kauf nicht nur hinterher, sondern viel mehr noch vorher, damit sie dem mutmaßlichen Käufer das Auge ein wenig schwimmend machen. Für jeden Fehler, den solche Mähre hat, wird doppelt und dreifach eingeschenkt, und bekommt sie der Käufer dann zu Gesichte, kann er schon schlechter auf den Beinen stehen als die sterbensmüde Kracke selber.
Mein Vater hatte sich wohlüberlegt, wie das Pferd beschaffen sein sollte, das seinen Karren zu ziehen hatte. Der Kopf sollte klein und muskulös sein, mit sichtbaren Adern und einer Maulspalte, immer feucht, aber nicht zu groß und nicht zu klein. Es sollte kein Ramskopf, kein Hechtkopf, kein Schafskopf sein, auch kein Altweiberkopf und kein Eselskopf. Der Hals mußte ein rechter schöner Schwanenhals sein, kein verkehrter Hals, kein Hirschhals, auch kein Speckhals. Den Rücken wünschte er sich mäßig lang, ein wenig biegsam und doch gerade, denn mein Vater verdammte die Senk- und Karpfenrücken, auch die doppelten oder gespaltenen Rücken. Bei den Kreuzen oder Kruppen, von denen es viele Arten gibt, zog mein Vater die runde oder apfelförmige Kruppe allen anderen bei weitem vor. Ich übergehe die Brust, die Rippen, die Weichen und den Bauch, alles Teile, über die mein Vater sehr feste und wohlbegründete Ansichten hatte, und erwähne nur noch den Pferdeschweif oder -schwanz, von dem mein Vater meinte, er solle nicht schlaff herabhängen oder gar schief getragen werden, sondern müsse hoch angesetzt sein und in schönem Bogen prunken. Die Schweifrübe habe aber dick und kräftig zu sein, und die Schweifhaare müßten dicht und lang sitzen. Kurz und gut, mein Vater suchte das Muster und Vorbild aller Pferde, wie es vielleicht nicht einmal im Garten Eden unter unseres Stammvaters Adam Augen geweidet.
Da gab es nun ein nicht abreißendes Herumgelaufe in der Stadt, und jeden Abend kam mein Vater ohne ein Pferd, doch mit einem kräftigen Zacken nach Haus. Er war aber achtsam und trank nicht die Hälfte von dem, was sie ihm einschenkten, sondern schüttete viel unter den Tisch oder in seine Lederhosen, aus denen der gute Schnaps langsam in seine hohen Fuhrmannstiefel versickerte, denn die hatte er sich schon anmessen lassen. Man kann also mit Fug sagen, mein Vater sei in diesen Wochen im Schnaps gewatet; es hat ihm aber gutgetan, denn all seine Leichdörner, deren er im Überfluß hatte, lösten sich sanft davon, und er bekam wieder glatte, schiere Füße wie ein Neugeborenes. Aber wieviel mein Vater auch lief, soff, ansah, das gewünschte Pferd wollte sich nicht blicken lassen, und es ging dem Fuhrmann Michel ganz wie dem Totengräber Michel: Hatte der eine keine Toten zu begraben gehabt, so bekam der andere kein Pferd einzuspannen.
Schließlich geriet mein Vater an einen Obersten der Roßtäuscher, den sie seines Leibesumfanges wegen den Doppelten Hansen nannten. Der versuchte es auf eine andere Art als seine Kumpane. Er führte meinem Vater eine fünfjährige Stute, ein recht artig Pferdlein, vor, das am losen Wischzaum des Bereiters zum Peitschenknallen des Doppelten Hansen ganz mutig die Straße auf und ab trabte. Als mein Vater, damit das Roß nicht zu teuer werde, zu mäkeln begann und anführte, es habe ja eine Habichtsbrust, stelle die Beine wie ein Tanzmeister, und es sei ihm wohl Pfeffer in den Hintern gesteckt, daß es den Schweif so hoch trage und so übermütig tänzele – da legte ihm der Doppelte Hans die Hand aufs Maul, führte ihn rasch ins Haus und in die Stube und flüsterte vorwurfsvoll: »Machst mir ja alle Käufer abspenstig mit deinem Tadel, Michel! Ja, freilich, du hast einen Falkenblick und läßt dich nicht täuschen, bedenke aber doch, daß es Dumme gibt, denen solch Pferd völlig gut genug ist.«
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