Fast gleichzeitig umfassen wir uns und schmiegen uns eng aneinander. Ein wunderschönes Gefühl, mit dem zusätzlichen Kribble des Heimlichen, der Gefahr des Entdecktwerdens.
Vorhin noch, an diesem Morgen, hat sich keiner erträumen können, was uns hier am Abend widerfährt. Wir küssen uns zum ersten Mal und sind fast von Sinnen.
Wir nehmen unsere Sachen und rennen zu einem der Strandkörbe. Jemand hat vergessen, sein Gatter zu montieren. Wir lassen uns hineinfallen. Keiner will den anderen wieder loslassen, wir könnten uns in dieser Dunkelheit ja verlieren. Wir verlieren uns dann restlos ineinander, verlieren jede Scham, jede Zurückhaltung, jeden Vorbehalt, jede Kontrolle und am Ende den Verstand.
Warum sind gerade diese Augenblicke die schönsten in einem Menschenleben? Nämlich dann, wenn wir uns völlig vergessen, nur noch fühlen und gefühlt werden, gerade dann erleben wir totale Erfüllung.
Sie sitzt auf mir und ist behutsam wie eine Erfahrene; die Wilde hat sich in eine Sanfte verwandelt. Die Knospen ihrer Brüste streicheln mich und zwei Hände reichen nicht, um all die schmeichelnden Wunder zu umfassen.
Als wir spät zum Hotel zurückkommen, versuchen wir auszusehen wie zwei Unschuldslämmer, blinzeln ins helle Licht und sind wieder fast korrekt gekleidet. Wo wir stehen, wird es etwas sandig unter uns, aber das kennt man hier oben am Meer. Wir verabschieden uns vor ihrer Zimmertür, wünschen uns eine gute Nacht und haben uns fest vorgenommen, auszuschlafen!
Es dauert keine Viertelstunde, und es ist schon weit nach Mitternacht, als es an meiner Tür klopft. Was ist denn passiert? Langsam öffnet sich die Zimmertür und eine piepsige Stimme bettelt: „Lass mich heute Nacht nicht allein.” Und sie kriecht, ohne lange zu fackeln, unter meine Decke. Ich merke erst jetzt, dass sie sich ihr neues Nachthemd ausgezogen hat. Und so verbringen wir unvermeidlich eine relativ schlaflose, aufregende Nacht. Einerseits sind wir beide keine Anfänger in Liebesdingen, andererseits ist es beglückend, was es am anderen nach langer Enthaltsamkeit wieder alles zu entdecken gibt. Claudia liebt geräuschvoll und so ist es für mich ein Leichtes, herauszufinden, wo es ihr besonders gut tut. Ich koste Sonne und Salz auf ihrer Haut und atme ihren Duft. Wir sind wie im Rausch.
Die Bibel sagt: Und sie erkannten sich! Ja, das trifft es! Wir erkennen uns vollständig und mit allen Sinnen. Als wir nach kurzem Schlaf endlich erwachen, ist es schon warmer Morgen. Wir verabreden uns zum Frühstück und sie huscht vorsichtig in ihr Zimmer, um sich ausgehfein zu machen.
Kuscheln ist doch die schönste Unterhaltung der Welt. Es gibt nur weniges, das alle Sinne so zu beschäftigen weiß. Und wir kosten es weidlich aus. Zwar kaufen wir ihr noch einen schönen, dunkelblauen Badeanzug, aber ins Wasser kommen wir damit nicht mehr. Die Postkarten bleiben unbeschrieben, das schöne Cabrio versandet etwas, dafür sind der Tag und die folgende Nacht reinstes Vergnügen.
Darüber vergessen wir allerdings das Essengehen nicht, denn auch die fangfrischen Fische gehören zu einem vollkommenen Vergnügen am Meer, vor allem, wenn sie ein kochender Könner beim Wickel hat. Sie sind ein Hochgenuss.
Dieses Wochenende würde für uns beide unvergesslich bleiben, darin waren wir uns jetzt schon einig. Was wäre geworden, wenn der Jauchewagen in diesem Dorf nicht vor mir hergefahren wäre oder ich hätte ihn überholen können? Was wäre wenn?
So wie es kommt, ist es schon meistens richtig. Aber auch die schönste Zeit findet einmal ihr Ende, leider! Am Sonntag Nachmittag bringe ich sie nach Hause. Sie verwandelt sich wieder in eine Landfrau. Die neuen Sachen stopft sie in eine Tüte und will die ersteinmal auf dem Hof verstecken.
Sie hofft, dass ihr das gelingen wird, bevor der Hund sein Freudengeheul anstimmt und sie verrät. Ihre Eltern sollen sie unverändert wiedererkennen können. Alles würde sein, als wäre nichts geschehen. Der Alltag nimmt uns so schnell wieder in die Pflicht, dass wir uns kaum wehren können. Was bleibt, ist das Paradies der Erinnerungen, unzerstörbar.
Wir versprechen uns, einander zu schreiben.
Der Alltag hat auch mich wieder. Der sommerliche Ausflug ist schon bald Vergangenheit. Ich habe mein rotes Cabrio noch vier Monate gefahren. Als die regnerische Zeit begann, habe ich es mit etwas Verlust verkauft. Bereut habe ich nichts.
Man muss nicht frei sein, es genügt, sich frei zu fühlen. Und ich konnte, wenn ich nur wollte!
Aber etwas bleibt in der Luft hängen, ist unentschieden. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Wochenende nur ein schönes Sommervergnügen war, wie es sie gelegentlich gibt oder ob ich eine Fortsetzung riskieren sollte und ob die überhaupt wünschenswert und letztendlich zukunftsträchtig ist. Ich will ersteinmal ein wenig zuwarten, klären lassen, die Sache aus etwas Distanz betrachten.
Verstand und Bauch sind in heftiger Diskussion miteinander. Bisher ist es unentschieden.
Meine Noch-Ehefrau spielt mit dem Gedanken, sich gegebenenfalls doch scheiden zu lassen. Sie hat mir klar gemacht, dass sie eindeutige Verhältnisse liebt. Sie sei Mathematikerin und da ist immer eins und eins gleich zwei und auf keinen Fall um die zwei! Ungenauigkeiten sind ihr zuwider! Auch gut! Ein Arzt kann sich niemals sicher sein, da kann eins und eins auch schon mal fünf sein, und es gibt dafür nichteinmal eine einleuchtende Erklärung.
Ich bin also zur Zeit mit Ordnung machen ganz schön beschäftigt. Gezwungenermaßen! Leider habe ich bei all dem Stress irgendwann den Zettel mit Claudias Anschrift und Rufnummer verbummelt. Vermutlich habe ich ihn mit viel Logik an einen passenden Ort gelegt, um ihn jederzeit wiederzufinden.
Aber nun ist der ersteinmal weg!
Begehren hat´s eilig, Liebe wächst langsam!
Teil 2 Schreckliches Wiedersehen
erzählt von Veit Friedland
Kapitel 2 Schreckliches Wiedersehen
Neubesinnung / Trostlose Entdeckung / Hoffnungen keimen / Offenbarungen und Veränderungen
Nach den vielen Veränderungen habe ich endlich mein Leben wieder halbwegs ins Gleichgewicht gebracht. Meine Frau will unwiderruflich nicht mehr zu mir zurückkehren und wünscht demnächst die Scheidung. Sie macht mir unumwunden klar, dass es ihr ohne mich besser geht und sie auf keinen Fall noch mal meine Dienerin spielen will. Diesen Teil ihres Lebens hielt sie für abgeschlossen.
Sollte ich mich nun schuldig fühlen?
Wir haben uns noch einmal in einem Café getroffen und auf neutralem Boden über unsere Situation und unsere Zukunft gesprochen. Es ging dabei sehr gesittet und sachlich zu. Eine Scheidung wäre jetzt zwar wünschenswert, müsse aber nicht übereilt werden, da sie nicht noch einmal den Fehler einer Heirat machen werde. Wenn ich allerdings ein Bedürfnis habe, könne man ja immer noch beschleunigen. Die Kinder sind mit allem einverstanden und haben meiner Liebreizenden volle Unterstützung zugesagt, vor allem seelische und moralische! Sie sei auf mein mickriges Gehalt nicht mehr angewiesen, ich soll aber wenigstens noch etwas für die Kinder locker machen. Dann ließe sich alles in Ruhe regeln.
Ich fühle mich wie eine Marionette, wie ein Spielball: Sie haben alles geregelt, ich muss mich nur noch daran halten. Fein so!! Man hat mir das Heft des Handelns aus der Hand genommen und das wurmt mich! Ich habe mich auf keine Diskussionen eingelassen, fange nun aber an, mir ernsthaft Gedanken über den Fortgang meines kleinen Rest-Lebens zu machen.
Im Beruf ist alles relativ einfach und auf absehbare Zeit geregelt. Ich habe mir einen guten Ruf erarbeitet, bin oft zu Vorträgen eingeladen und nicht sonderlich scharf auf den Chefposten, wegen der überbordenden Bürokratie. Es reicht auch so schon. Es dauert nicht mehr lange, da werden Patienten nach Aktenlage behandelt, gespeichert auf einer Chipkarte. Ich bin zwar unkündbar, aber die ärztlichen Ambitionen, mit denen ich einmal angetreten bin, habe ich längst begraben müssen.
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