Johann Baptist Schellberg hatte die Gruppe angestossen. Er hatte einen Impuls erzeugt unter den Teilnehmern, den Niemand mehr für möglich gehalten hatte. Zugegebenermaßen hatten ein Großteil der Forscher bereits mit dem Thema abgeschlossen. Man trauerte allgemein dem versiegenden Geldstrom hinterher. Obwohl diese Leute, die hier versammelt waren, zumeist keine eigenen wirtschaftlichen Interessen an den Projekten hatten. Vielen genügten ihre bescheidenen Bezüge. Keiner der Anwesenden lebte auf großem Fuss oder im übertriebenen Luxus.
Solche Lebensumstände gehörten nicht in die Welt der Wissenschaft.
Schellberg beantwortete brav alle Fragen, sofern er sie in verständlichen Worten erklären konnte. Denn die Molekularbiologie war ein hochkomplizierter und komplexer Themenbereich. Ins Detail zu gehen war für Laien oder Fachfremde sinnlos, da ihnen das nötige Fachwissen fehlte, um ihm folgen zu können. Für viele der Fachausdrücke und Bezeichnungen fehlte auch eine erklärliche Umschreibung.
Trotzdem war das Interesse riesengroß. Genetischer Fingerabdruck, Vergleiche mittels Speichelprobe, geklonte Tiere, Pränataldiagnostik, all diese in den Medien bekannte Begriffe, waren allen geläufig. Welche unvorstellbare Technik eigentlich dahinter steckte, den wenigsten. Aber Jo war geduldig und erklärte und erklärte.
Es gab auch ausgewiesene Gegner der Materie. Sie äußerten Angst und Bedenken in das Erbmaterial von Lebewesen einzugreifen. Sie hielten es für keine gute Idee, die von der Natur vorgegebenen Gene des Menschen und anderer Lebewesen zu manipulieren. Zu groß die Gefahr, die Wechselwirkungen zu unterschätzen. Insgeheim gab Johann ihnen recht. Doch ohne es zu versuchen, würde man auch keine Erfolge erzielen können. Jo, hielt ihnen entgegen, dass sich die Gene auch ohne das Zutun des Menschen veränderten. Sie reagierten auf Umwelteinflüsse, Fressfeinde und alle diese Dinge. Solche Veränderungen fanden natürlich nicht schlagartig statt, aber waren doch bei vielen Tieren und Pflanzen nach einigen Populationen zu beobachten. Auch war es seit Jahrhunderten üblich, von der Natur zufällig entstandene neue Arten oder für den Menschen gefällige, positive Eigenschaften von Nutztieren und Pflanzen weiter zu züchten.
Johann gelang es mit seiner Argumentation nicht, diese grundsätzliche Abwehrhaltung zu beruhigen. Doch auch die Gegner der Gentechnik, hielten die Idee das Größenwachstum zu begrenzen, für durchaus positiv.
Am Nachmittag wurde mit großer Mehrheit beschlossen, die Idee von Jo, wie ihn nun alle nannten, weiter zu entwickeln.
Dr. Messco appellierte weiter an die Forschungsteams, auch noch andere Ideen zu präsentieren. Zwei Treffen standen schließlich noch aus. Er sprach Jo nochmals Dank aus, für seine hervorragende Arbeit, den Denkanstoss und für die gelungene Präsentierung seiner ungewöhnlichen Ideen.
Mit gemischten Gefühlen flog Schellberg wieder nach Deutschland. Nun hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Während des zwölf Stunden langen Fluges gab es wenig Ablenkung. Er dachte an den Kongress und die Diskussionen.
War das wirklich eine gute Idee, die er da vorgestellt hatte? Aber die Begeisterung war echt. Klar, jeder lacht zuerst. Wer möchte schon ernsthaft wieder so klein sein wie ein Kleinkind? Zurück zu den Anfängen? Eine Rückentwicklung?
Dr. Schellberg war immerhin fast Einmeterneunzig groß. Konnte er sich vorstellen, nur winzige fünfundvierzig Zentimeter groß zu sein? Nein, wirklich nicht. Er musste unwillkürlich an die kleinwüchsigen Menschen denken. An ihre Probleme mit den Knochen und Gelenken, den oft unpassenden Proportionen. Großer Kopf und kleiner Körper. Kurze Arme und Beine. Die meisten sahen irgendwie komisch aus.
Doch mit der angewandten Gentechnik musste alles anders werden. Die Proportionen mussten passen. Anders wäre die Verkleinerung nicht zu vermitteln.
Dazu kamen noch die Bedenken, ein kleineres Gehirn wäre nicht so leistungsfähig wie unser großes Gehirn.
Aber die schiere Größe und Gehirnmasse hatte laut Hirnforschern, nachweislich nichts mit der Intelligenz zu tun. Aber was wenn doch? Wenn die Geistesleistung des verkleinerten Mensch dementsprechend niedrig anzusetzen sein wird? Wer soll das schon wollen?
Das durchschnittliche Gehirn eines Menschen betrug ca.1500 Gramm. Es gab sogar Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Wenn man davon ausginge, dass ein verkleinerter Mensch proportional nur noch 350 Gramm Gehirnmasse hatte...
Nun das hatte er natürlich noch nicht bedacht bei seinen Studien. Er wusste als Biologe natürlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Körpergröße und der dazu benötigten Gehirnmasse gab. Aber ob die Leistung eines Gehirns von nur 350 Gramm ausreichen würde, damit der neue Mensch die gleiche Geistesleistung wie ein normaler Homo Sapiens erbringen kann, das war nur in einer Versuchsreihe nachzuweisen. Und das konnte dauern. Mehrere Generationen lang. Bis ein Mensch erwachsen wurde, man seinen IQ feststellen konnte, das erforderte einen Forschungszeitraum von Jahrzehnten.
Gott sei Dank, befand sich in seiner Gruppe ein namhafter Hirnforscher. Der sollte sich mit diesem Problem auseinandersetzen und einige Studien über das Thema verfassen.
Ein anderes viel schwieriger zu lösendes Problem war die Tatsache, dass man nicht einfach mit dem menschlichen Genom nach Belieben manipulieren konnte. Die rechtlichen Bestimmungen waren sehr eindeutig.
Wie sollte er es also schaffen, einen kleinen Menschen herzustellen?
Sollten sie ihn auch nur bei einem Versuch ertappen, mit menschlichen Genen zu ‘spielen‘, wäre das das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere. Und nicht nur das: Die strafrechtlichen Konsequenzen mochte er sich gar nicht ausmalen. Genauso wenig rosig die Situation, wie die internationale Presse über ihn herfallen würde. Wenn Nick Messco und diese mysteriösen UNO und US-Vertreter hier nicht ihre schützende Hand darüber hielten, war dieses Projekt nicht durchführbar.
Obwohl, diese beiden Herren hatten sich auch nach der anregenden Diskussionen rund um das Thema Verkleinerung abseits gehalten. Sie saßen zwar mit an den Tischen, machten sich aber allenfalls Notizen.
Sie wurden auch von Dr. Messco nicht namentlich vorgestellt. Niemand kannte ihre Namen, Titel und ihre Funktion. Das war schon ein sehr sonderbares Projekt.
Das Projekt mit dem nichts sagenden Titel ,Terra‘.
Sollte das Gremium seine Idee tatsächlich weiterverfolgen, wäre die Arbeit von Johann auf Jahre hinaus gesichert. Er würde die besten und neuesten Technologien nutzen können. Forschungsgeld würde in unerschöpflichen Mengen zur Verfügung gestellt.
Er stellte sich vor, wie er alleine den Baukasten des Menschen beherrschen konnte. Johann Baptist Schellberg wusste sehr wohl wie weit seine Kenntnisse bereits gediehen waren. Das Genmaterial von Säugetieren so zu manipulieren um das Größenwachstum beeinflussen, das war sein alleiniges Werk.
Natürlich wusste Schellberg, dass das Größenwachstum der Menschen von einem Wachstumshormon der Hirnanhangdrüse produziert wird. Doch dieses Hormon war nur für das Gesamtlängenwachstum eines Säugers mitverantwortlich. Schellberg hatte nicht vor in diesen Hormonhaushalt einzugreifen. Seine Stellschrauben waren die Gene. Johann war fest davon überzeugt, dass sich dort der wahre, der einzige Schlüssel befand.
Bei dem Film mit den Mäusen hatten er und seine Leute schon getrickst. Die Mäuse waren natürlich in dieser Form wie sie in dem Film zu sehen waren, tatsächlich eine Fälschung. Wenn es so einfach wäre, Lebewesen nach Belieben zu verkleinern oder zu vergrößern, dann würden sich seine Forschungen erübrigen. Er hatte der Einfachheit halber, mit extrem kleinen Zwergmäusen experimentiert.
Die Mäuse aus den anderen Terrarien waren völlig andere, viel größere Arten. Aber einen Erfolg konnte er trotzdem verbuchen:
Читать дальше