Bei unseren Mini-Versuchstieren konnten wir eine bis zum Tod ausgeprägte Agilität feststellen. Ihre Krankheitsanfälligkeit war bei weitem geringer als bei den anderen. Das liegt unter anderem daran, dass sich Viren und andere Krankheitserreger, die den Mäusen bisher gefährlich werden konnten, sich nun schwerer tun, in die winzigen veränderten Zellen einzudringen. Die kleine Maus ist besser geschützt. Das wird natürlich nicht lange so bleiben, weil Viren und Bakterien extrem anpassungsfähig sind. Womöglich werden andere bisher ungefährliche Krankheiten für die neuen kleineren Tiere interessant. Hier fehlen logischerweise Erfahrungswerte.
Wie würde sich solch ein Szenario beim Menschen verhalten?
Hierzu möchte ich ihnen eine Simulation vorführen.“
Es folgte ein kleiner computeranimierter Film der die Vorteile und Lebensumstände von verkleinerten Menschen darstellte.
Nach Beendigung des Filmclips, stand Professor Messco auf und ging zu ihm aufs Podium. Er stellte sich neben ihn und sprach ebenfalls ins Mikrophon, damit ihn alle hören konnten.
„Mr. Schellberg. Bei allem Respekt. Meinen sie das im Ernst oder wollten sie uns nur ein wenig aufheitern? Das ist Ihnen aber in jedem Fall gelungen.“
Messco begann zu klatschen und alle stimmten mit ein. Dann klopften alle mit den Fingerknöcheln auf den Tisch.
„Professor Messco, verehrte Zuhörer, liebe Kollegen. Ich weiss, es klingt abstrakt und wie aus einem Science Fiktion Film. Bedenken Sie aber bitte die Möglichkeiten es zu tun, sind latent vorhanden. Der Auftrag lautete in alle Richtungen zu denken, ohne Tabus. In welche Richtung soll ein Molekularbiologe denken? Sie haben uns eindringlich gebeten, über den Tellerrand zu blicken. Das habe ich getan.
Bedenken sie die schieren Fakten. Wenn der Mensch tatsächlich nur noch ein Viertel seiner jetzigen Größe besitzen würde, bietet die Erde Platz für mindesten das vier- bis fünffache an Menschen. Wir würden Platz in Hülle und Fülle zur Verfügung haben.
Die offiziellen Zahlen besagen, dass momentan weltweit pro Tag ca. 250 000 Menschen geboren werden. Sterben müssen hingegen täglich etwa 115 000 Menschen. Das heißt, wenn ab morgen nur noch kleinwüchsige Menschen geboren werden würden, wären nach nur einem Jahr bereits 45 Millionen kleine Menschen unter der Weltbevölkerung. Die Großen, jetzt noch, ‚Normalen‘, hätten durch die Sterberate um 20 Millionen abgenommen. Damit wäre bereits nach zehn Jahren, der Anteil der Kleinen auf etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung angewachsen. Das ist enorm, bedenken sie das bitte.
Wenn man so ein Programm anwerfen würde, gäbe es in spätestens 120 Jahren überhaupt keinen, ‚Großen‘ Homo Sapiens mehr. Das ist ein Zeitrahmen, der in Anbetracht der Menschheitsgeschichte und dem Erdalter völlig unbedeutend ist. Nach diesem Zeitraum, würde man es sich gar nicht mehr vorstellen können, dass der Mensch einmal ein Längenmaß von zwei Metern erreichte. Wir können es uns doch auch nicht vorstellen, dass in grauer Vorzeit durch unsere Welt Tiere mit 35 Tonnen Lebendgewicht gestapft sind.
Ich betone nochmals: Mir ist es Ernst und es soll kein Witz sein.“
Messco beugte sich zum Mikrophon.
„Ich schlage vor, wir machen eine kleine Pause.“
Einige begannen zu klatschen und schnell entwickelte sich ein richtiger Applaus für Johann, den Vordenker. Messco breitete lächelnd die Hände aus. Er packte Schellberg freundschaftlich am Arm und sie verliessen das Podium.
Dieser wurde bereits umringt von vielen anderen, die auch sofort aufgesprungen waren.
Die bereits bei seinen ersten Ausführungen begonnene ausgelassene Heiterkeit war keine Momentstimmung gewesen. Sie war immer noch vorhanden und hatte alle Anwesenden erfasst. Die Fragen prasselten auf Schellberg nur so herein.
„Meinst du das wirklich ernst, Jo?“
„Ist das ein Fake mit den Mäusen?“
„Wie stellst du dir denn das vor mit deinen Minimenschen? Die werden doch ausgelacht, du Spassvogel.“
„Aber die Idee, an und fürs sich ist doch reizvoll, oder?“
„Aber das klappt doch nie: groß und klein zusammen!“
„Sag mal, habt ihr da vielleicht schon ein bisschen mit den Menschen herumexperimentiert?“
Und so weiter und sofort. Messco hatte sich inzwischen zu seinen Begleitern, die er stets als Vertreter der UNO und der Auftraggeber vorgestellt hatte, gestellt und angeregt mit ihnen diskutiert. Sie beobachteten die Szenerie, die sich um Schellberg gebildet hatte. Messco ging wieder zurück und bahnte sich einen Weg durch den Pulk. Er zupfte Schellberg am Ärmel.
„Jo, kommen Sie doch mal ein bisschen zur Seite. Entschuldigt Leute, ich möchte mal ein paar Worte mit Jo sprechen, alleine.“
Alle nannten ihn von nun an Jo. An seinem Institut wurde er unter den Angestellten nur mit Schelli bezeichnet.
Messco hielt ihn immer noch am Ärmel und schritt mit ihm vom Tisch weg zur dunkleren Wandregion. Die zwei Vertreter der UNO und der Regierungen standen abseits, unterhielten sich und sahen immer wieder zu ihnen herüber.
Sie nickten ihnen freundlich zu. Niemals während der vergangen Treffen, hatten sie sich geäußert oder mit einem der Kongressteilnehmer geredet. Ihr einziger Gesprächspartner war Dr. Messco.
„Nun, Jo, ich darf Sie doch Jo nennen?“
Schellberg nickte unsicher.
„Sagen Sie ruhig Nick zu mir. Nun Jo, im ersten Moment dachte ich ehrlich gesagt, an einen Scherz. Doch dann haben sie mich an meine eigenen Worte erinnert. Kreativität. Grenzenlosem Denken. Tabus über Bord werfen.
Ihre Idee klingt, verzeihen sie mir den Ausdruck, verrückt. Doch in den wenigen Minuten die dieser Entwurf auf mich einwirkte, hatte er Spuren hinterlassen. Ich weiss, vorauf sie hinaus wollen. Glauben sie denn tatsächlich an die Möglichkeit, an einer Verwirklichung ihrer Forschung? Haben sie tatsächlich so kleine Mäuse gezüchtet? Es ist so einfach, wie es aussieht?“
Jo Schellberg wurde das Gespräch doch unangenehm. Er blieb stehen und sah Messco in die Augen.
“Äh, Nick, nicht alle auftretenden Probleme sind bereits gelöst. Das wäre zu vermessen, so etwas zu behaupten. Die Mäuse sind existent. Aber Mäuse sind keine Menschen. Mit ihrer Hilfe und ihren finanziellen Mitteln konnte ich einen der größten Computerrechner der Welt für kurze Zeit benutzen. Bei den Mäusen reichte das vorerst. Für das menschliche Genom und seine unzähligen Verbindungen und Abhängigkeiten bräuchte ich mehrere Computer um die Stränge durchzuarbeiten. Das wird viel Zeit in Anspruch nehmen und es dürfen absolut keine Fehler dabei unterlaufen.
Aber ich halte es für möglich. Ob es international durchführbar ist, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“
„Yeah, Jo, darüber machen sie sich keine Gedanken. Das ist die Aufgabe ganz anderer Herren. Wir sollen denen nur Konzepte liefern.
Ich denke, nach dem Mittagessen sollten wir ihren Vorschlag in der Runde ausgiebig diskutieren.“
Jo Schellberg faltete die Hände und lächelte.
„Ok. Nick, bis später.“
Messco ging zurück zu den beiden UNO und Regierungsvertretern und verschwand mit ihnen aus dem Raum.
Plötzlich wollte jeder mit Schellberg zu Mittagessen. Man traf sich im Speisesaal des Hotels, in dem bereits die Tische gedeckt waren und das Personal auf die Kongressteilnehmer wartete. Jo war unsicher zu wem er sich setzen sollte.
Doch er sich versah, hatten die Leute die Tische zusammen gestellt und er wurde mit Fragen geradezu überschüttet. Das hatte er nicht erwartet. Die Gespräche waren sehr locker und von einer ausgelassenen Art.
Die trockene Stimmung, die die ganzen Treffen über geherrscht hatte, war wie weggeblasen. Es war diese Aufbruchstimmung die nun alle genossen und inspirierten. Nun war das Eis endlich gebrochen. Nun hatte man ein Ziel an das man hinarbeiten konnte. Ein Lichtblick auf den man so lange gewartet hatte..
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