Der schwarze Wächter in der von der abendlichen Sonne in warmen Farben durchfluteten verglasten Rezeption lässt mich einige Aufnahme-Formalitäten erledigen. Nach dem Aufbau der Zelte sind wir erfreut über die Sauberkeit der Camping-Anlagen und nutzen eifrig die warme Dusche, um uns den Staub der langen Fahrt abzuspülen.
Der Morgen begrüßt uns mit vom Tau klatschnassem Rasen und hellem Sonnenlicht am wolkenlosen Himmel. Die Luft ist frisch und rein von Verschmutzungen. Ein paar Meter jenseits des Zaunes, der den Campingplatz vom Wildreservat trennt, bewegt sich äsend ein stattlicher Kudubulle zwischen den Büschen, die in orangefarben bestrahlter Landschaft lange Schatten werfen.
Der erste Teil der heutigen Fahrt geht scharf nach Osten über eine Ebene, die etwa 1370 m hoch liegt. Anfangs blendet noch die Sonne, doch sie steigt bald hoch, um eine für die Insassen des Autos unangenehme Hitze zu erzeugen. Nach einiger Zeit wird es hügelig. Wir können links und rechts der Straße die bis zu 5 Meter hohen Naboom- Pflanzen („euphorbia ingens“) bewundern, die ähnlich wie Kakteen ihre vielen Arme in den tiefblauen Himmel strecken. Sanft laufen grasbedeckte Hänge in die Täler aus. Auf einem Wegweiser steht „University of the North -Turfloop“, die größte schwarze Universität im Lande. Über einen kleinen Pass kommend muss ich langsamer fahren. Felder von Aloen bedecken das Tal, das sich vor uns öffnet. Die Anzahl der Schwarzen, die die Straßen säumen, wird immer größer. In gemäßigtem Tempo passieren wir ein Areal, wo Dutzende von Zelten aufgebaut sind und Busse und Minibusse am Straßenrand geparkt sind. Ein kleiner Wegweiser zeigt nach rechts: „Zion City Moria“.
Die schwarze Sekte der Zion- Christen hat an diesem Ort am Karfreitag, den sie hier ‘Good Friday’ nennen, ihr Jahrestreffen. Millionen von Menschen aus ganz Südafrika versammeln sich hier, um zu beten und zu feiern. Noch in Pretoria wurden wir gewarnt: „Vermeiden Sie es, die Gegend am Karfreitag zu durchqueren! Letztes Jahr waren die Straßen um den Versammlungsplatz so voll gestopft, dass kein Auto mehr durchkam“.
Das ist dieses Jahr offenbar nicht der Fall. Wir passieren in Schrittgeschwindigkeit eine enorme Ansammlung von Menschen, meist in Uniform, doch nirgends werden wir aufgehalten. Die ‘Zion Christian Church’ hat die größte Anhängerschaft im Lande. Zion- Christen tragen ein grünes Abzeichen mit einem silbern glänzenden Stern auf der linken Brustseite der Kleidung. Sie werden von den Weißen besonders gerne als Hilfskräfte in Haus und Garten beschäftigt, weil sie als absolut zuverlässig und ehrlich gelten. „Warum sind hier so viele Polizisten zu sehen?“ will Günter, unser Besucher, wissen. „Du meinst die Sterne auf den Schirmmützen, die die Leute tragen? Viele männliche Zion- Christen tragen diese Kappen, die den gleichen Zweck wie die Abzeichen auf der Brust haben.“
An einigen Stellen der Straße erhaschen wir Ausblicke auf den 2127 Meter hohen Wolkberg, in dessen Naturschutzgebiet man gut wandern kann. Ein paar Kilometer später, als die Berge steiler werden, und wir in vielen Spitzkurven Schluchten ausfahren, meint unser Gast: „Wie bei uns in Süddeutschland: Berge und ein dichter Nadelwald!“ Tatsächlich heißt diese Gegend ‘Black Forest’, nämlich ‘Schwarzwald’. Hier wurden riesige Monokulturen an Kiefernwald angelegt. Die Hänge bis fast zu den Spitzen der Berge sind mit ihnen bedeckt. Holzkohlemeiler qualmen vereinzelt aus dem „grünen Tann“. Wir verlassen den direkten Weg nach Tzaneen, der durch das Letaba-Tal führt, und folgen einer steil ansteigenden gewundenen Paßstraße. Auf der Karte ist ein ungeteerter Weg eingezeichnet, der uns durch die dichten Wälder des ‘De Hoek State Forest’ bis zu einem Wasserfall führen soll. Leider ist die Abzweigung nicht ausgeschildert. „Ich glaube, es muss noch höher hinaufgehen!“ meint Edeltraud. „Laut Karte muss die Abzweigung bald kommen.“
Doch wir stehen vor einem Rätsel. Auf einem Parkplatz studieren wir das Prachtstück von Karte des Fremdenverkehrsamtes, lassen es aber bald ergebnislos bleiben. Vor uns öffnet sich der Ausblick auf eine der großartigen Schluchten Südafrikas. Im strahlenden Glanz der Sonne leuchtet das Grün aus dem Lowveld zu uns herauf. Innerhalb von nur sechs Kilometern senkt sich die Landschaft an der „Großen Randstufe“ um 600m. Der Blick schweift über die Anlage des Hotels „Magoebaskloof“, das die gleichnamige Schlucht dominiert.
Langsam fahren wir Kehre für Kehre die Schlucht hinunter und hoffen, die untere Einfahrt der ungeteerten Straße zu erreichen, die wir vorhin verpaßt haben. Die Straße windet sich durch kühle schattige Wälder, dazwischen verstreut Plantagen mit subtropischen Früchten. Mit abnehmender Höhe über Meeresspiegel ändert sich deutlich die Vegetation.
Der Name der Schlucht „Magoebaskloof“ ist ein Anhaltspunkt für eine turbulente Vergangenheit dieser Region. Makgobo war der Häuptling des Tlou- Stammes. Er führte seine Leute im Jahre 1894 in eine Revolte gegen die Regierung der ‘Zuid- Afrikaansche Republiek’ wegen einer Steuerangelegenheit. Er suchte Zuflucht in den nebligen Abhängen der Berge und in versteckten Schluchten. Die Geschichte berichtet weiterhin, dass dieser Häuptling von Swazi- Kriegern gefangenen genommen und enthauptet wurde. Es geht die Legende, dass sein eingesperrter Geist im Stamm einer Palme in Thabina im Lowveld sein Unwesen triebe. Für Botaniker war diese Palme nur ein grotesker Baum mit einem aufgeblähten Stamm. Für die Stammesältesten war es ein Zauber, der besagte, dass der Geist von Makgobo befreit sein würde, wenn die Schwellung des Stammes den Gipfel der Palme erreicht haben würde. Der Baum jedoch wurde von einem Sturm umgerissen, bevor dieses Ereignis stattfinden konnte.
Ich bremse abrupt. „Da steht doch ‘Debegeni Falls’ auf dem verwaschenen Wegweiser!“ rufe ich, nachdem ich ein winziges Schild am Wegesrand entdeckt habe. Das ist der Name des Wasserfalls, an dem wir nach unserer Planung vorbeigekommen wären. Also versuchen wir unser Glück. Auf der ungeteerten Straße steigt unser VW, eine lange Staubfahne hinter sich herziehend, den steilen Hang hoch. Eine Abzweigung führt uns nach einer Viertelstunde zu einem Parkplatz, wo ein schwarzer Wächter eine kleine Eintrittsgebühr verlangt.
Debegeni-Wasserfall
Der Debegeni- Wasserfall stürzt in einer Serie von Kaskaden 80m in ein tiefes topfähnliches Loch. Daher auch der Name „Debegeni“, der „Platz des großen Topfes“ bedeutet. In früheren Zeiten wurde von dem hier lebenden Stamm geglaubt, der Pool sei die Heimat verschiedener Geister. Geschenke in Form von Ess - und Trinkwaren für übernatürliche Kräfte wurden am Rande des Pools zurückgelassen. Wir rasten im Schatten der hohen Waldgiganten im gut ausgerüsteten Picknickgebiet am Fußende des Wasserfalles.
Ich kann es mir nicht verkneifen, obwohl es nicht allzu warm ist, knapp vor dem herabstürzenden Wasserfall in den Pool zu springen. Das Wasser ist wirklich kalt, doch auf den von der Sonne erhitzten Felsen vor dem Pool bin ich bald wieder aufgewärmt. Nachmittags geht es weiter Richtung Tzaneen. Links und rechts des Weges dominiert die Farbe hellgrün. Sie zieht sich in sanft geschwungener Form die Hügel hinauf. Welche Pflanzen können das wohl sein? Auf der Karte ist etwa an dieser Stelle „Sapekoe Tea Estate Middelkop/Tea Factory eingezeichnet. Ob man die Teefabrik wohl besichtigen kann?
Ich wende den Wagen und lasse ihn die ungeteerten einspurigen Straßen, die zwischen brusthohen, grün leuchtenden Teeanpflanzungen hindurchführen, nach oben fahren, wo auf dem Hügel ein weiß gestrichenes Gebäude aus dem Grün schimmert. Da stehen - wir kommen eben aus einer unübersichtlichen Kurve - an die zwanzig Schwarze in Arbeitskleidung auf der Straße, und noch mehr in einem Teefeld. Ein paar von ihnen tragen gelbe Plastikkörbe voll mit der grünen Ernte. Darüber wölbt sich der stahlblaue Himmel, ein malerisches Bild. Wir schauen die Arbeiter fragend an, und einer von ihnen weist uns den Weg.
Читать дальше