Ich muss zugeben, ich hatte damit überhaupt kein Problem. Entsprach eben meiner Auffassung von einem Leben als Hausmann und, immerhin, Teilzeitkünstler.
Die Geburt unseres Sohnes Louis ließ uns solche Unstimmigkeiten aber rasch vergessen. Auch dieses Ereignis stimulierte meine Fresszellen und bald wusste ich nicht mehr, was eine Erkältung überhaupt ist.
Der Effekt hielt leider nur zwei Monate, dann wollte Tina „… nur ein paar Tage zu Tante Else, mal etwas ausspannen!“
Ich spannte sogleich aus und zwar mit einer handfesten Angina. Offenbar war meinen Fresszellen allein das Wort Urlaub unverdaulich. Traten dann die anschließenden Infekte noch scheinbar ohne kausalen Zusammenhang auf, konnte man, besonders Tina, doch recht bald wieder das altbekannte Muster ausmachen. Ob Wochenendausflüge an den Gardasee oder Kaffee-Einladungen bei meinen Schwiegereltern, stets entschuldigte mich termingerecht eine dem Ereignis angemessene Unpässlichkeit.
Um vor mir selbst das Gesicht zu wahren, schob ich es auf den Stress, den zwei Kinder (immens) gegenüber einem Kind (gegen Null) eben mit sich bringen. Ich kam ja praktisch nicht mehr ans Klavier, weil immer eines der Kinder schrie oder schlief, oder schlimmer, sich bis zur Body-Halskrause vollgeschissen hatte.
Ich gebe zu, auch hier ruhte die Hauptlast auf Tinas Schultern. Das fand ich grundsätzlich auch nicht verkehrt. Schließlich war es mir nicht gegeben, unsere Kleinen zu stillen. Außerdem war meine, zumindest mentale, Wandlung noch nicht ganz vollzogen und der Mann in mir fand es ganz und gar natürlich, dass die Mutter seiner Kinder diese auch stillt; vielleicht nicht unbedingt drei Jahre lang. Dass Tina schon während dieser Zeit voll arbeitete, machte die Sache natürlich nicht einfacher; zumindest nicht für sie. Doch verstand sie diesen Zustand allenfalls als einen vorübergehenden - sobald ich wieder einen Hit hätte, sollte gefälligst ich mich wieder um das Überleben der Familie kümmern. Die Hoffnung daran hält sie bis heute über Wasser. Mich auch.
Im gleichen Maße, wie sich Tinas berufliche Belastung in immer dünnere Lüfte schraubte, stürzte ihre Geduld mit meinem künstlerischen Sonderstatus in dunkle Tiefen. Öfter hörte ich jetzt den Satz: „Ich kann nicht mehr!“ Ihre Toleranz gegenüber meinen Termininfekten, die nun häufig dann auftraten, wenn es ihr mal wieder zu viel wurde mit dem Wickeln, Stillen, Korrigieren, Zwischenstillen, Stundenvorbereiten, Abpumpen, Unterrichten, Stundennachbereiten usw., war allenfalls noch in Globuli-Potenzen erahnbar. Doch ich beschwerte mich nicht. Ich wollte nicht herausfinden, was sie mir neben Borretsch-Blüten sonst noch ins Essen schmeißen würde!
Mittlerweile sind einige Jahre ins Land gegangen. Ich kann sagen, ich habe mich ganz gut eingelebt, in meine Rolle als Hausmann. Böse Zungen behaupten, das sei auch nicht weiter schwer, wenn man eine Mutter hat, die einem wöchentlich das Haus putzt, eine Schwiegermutter, die täglich kocht und eine Schwiegergroßmutter, die stündlich für die Übernahme der Kinder zur Verfügung steht. Da muss ich ganz klar sagen: stimmt! Vielleicht alles Gründe dafür, dass ich nicht mehr so oft krank bin: Meine Konstitution hat sich etwa im gleichen Maße stabilisiert, wie sich Tina mit ihrer Aufgabe als Ernährerin abgefunden hat. Trotzdem lässt sie mir immer noch den Freiraum, mich kreativ auszutoben und gibt mir das Gefühl, ich könne es als Musiker doch noch zu etwas bringen. Am liebsten zu ganz viel Geld. Denn dann, und das sagt sie unmissverständlich, „... höre ich sofort auf zu arbeiten!“
Die Angst vor herausfordernden Situationen ist aber geblieben, wobei mich nicht jede gleichermaßen ängstigt. Betrachte ich einmal ganz nüchtern die Häufigkeit und die Zeitpunkte der Infekte der letzten Jahre, kann ich ein ganz klares Muster erkennen. Demnach ängstigt mich eines offenbar ganz besonders: Kofferpacken!
Wolken am Horizont
Schlimme Erinnerungen ritzen sich so unbarmherzig ins Gedächtnis, wie ein defekter Lesekopf in eine Festplatte. Eine solche Erinnerung ist die, an die Augen meiner Frau. Eigentlich hat sie ja wunderschöne. Doch an jenem Sonntagmorgen vor einigen Monaten waren sie furchtbar. Nosferatumäßig.
Tina muss wohl darauf gewartet haben, dass ich endlich aufwachte. Ach, hätt’ ich es nur nicht getan. Aber, zu spät. Zu ihrem Vampirblick gesellte sich sogleich eine leichenkalte Stimme, die sich wie ein Grabtuch auf meinen Verstand legte. Gern hätte ich mich gleich wieder unter die Decke verzogen. Doch ihr Blick lähmte mich und ich musste sie anstarren, wie das Karnickel die Schlange. Zischelnd wanden sich ihre Worte um meine Gehirnwindungen.
„Seit Jahren arbeite ich von früh bis spät, bekomm’ nachts kaum Schlaf, weil entweder eines der Kinder rotzt oder du. Ich hab mich nie beschwert, wenn unsere Freunde in den Urlaub fuhren, und ich ihnen mit der Hoffnung nachwinkte, nächstes Jahr würdest du in den Ferien bestimmt nicht krank sein.“
Was nun folgte, war eine minutiöse Aufzeichnung unserer gesamten Ehe. Das glich schon beinahe einer Herr-Ober-die-Rechnung-bitte-Szene. Wobei mir schon schwante, wer am Ende würde zahlen müssen. Und ich fühlte, wie der Boden unter meinen Füßen zu bröckeln begann. Diesmal würde ich nicht davon kommen.
Wie eine Ratte durch die enge Kanalisation, kroch die Angst langsam und schnuppernd durch meine Adern, ließ sich vom pulsierenden Blut bereitwillig mitreißen und verteilte sich binnen weniger Augenblicke in meinem ganzen Körper. Panisch blickte ich mich um. Doch jeder Fluchtweg schien abgeschnitten, bewacht durch erbarmungslose Wächter, die allein einer Herrin dienten, der, die sie geschaffen hatte, die sie in jahrelanger Vorbereitung wohldurchdacht, abgewogen, auf der Zunge hin und her probiert, die schlechten ausgespuckt und sich die guten einverleibt hatte: Worte! Tinas Worte. Einem scharfen Schwert gleich, hieb ein jedes tief in mein Bewusstsein und ich spürte, wie sie durch die klaffende Wunde in meinen Geist drangen und die Kontrolle über meinen Körper erlangten. Ich wollte fortlaufen, doch meine Beine versagten mir den Dienst, hatten, ob der schieren Übermacht, hasenfüßig die Waffen gestreckt und erwarteten untertänig den Befehl der neuen Potentatin.
Der kam prompt, hart und kompromisslos: „Diese Sommerferien fahren wir in Urlaub, da kann kommen was will!“
Dann schlängelte sie wieder aus dem Bett und ließ mich schockstarr zurück. Nur langsam kehrten meine Vitalfunktionen zurück. Doch das brauchten sie eigentlich nicht – ich würde die nächsten Wochen sowieso nicht überleben!
Hypochonder, ich!
Das ist nun etwa drei Monate her. Ich lebe. Noch. Eigentlich Zeit genug, um wieder zu einem geregelten Leben zu finden. Nicht für mich. Allenfalls Zeit genug für meine Angst, sich wieder einzunisten bis in den kleinsten Körperwinkel, sich zu manifestieren, sich Ausdruck zu geben, in Form eines Infekts. Und je näher der Zeitpunkt unseres Urlaubes rückt, kann ich Tina gegenüber immer schlechter verbergen, dass mein persönliches Wunschurlaubsziel mit unserem derzeitigen Wohnort eigentlich ziemlich identisch ist.
Egal, diesmal, das hat mir Tinas Fledermausblick unmissverständlich klar gemacht, komm ich nicht drum herum. Ich muss in Urlaub!
Wie sich das für Normaldenkende wohl anhört:
„Was, verreisen müssen Sie? Sie Ärmster!“
„Nicht wahr?“
„Wo werden Sie denn gezwungen, sich zwangs-zu-erholen?“
„In der Toscana, in Punt’Ala.“
„Oh Gott, ist das nicht dieses elysische Fleckchen Erde am Saume des Mittelmeers, umrahmt vom wunderbaren toskanischen Archipel, mit den weltberühmten weißen Samtsandstränden, die von türkis-klarem, flauschig warmem Meerwasser umspült werden?
„Ja.“
„Dessen mediterrane, unvergleichlich herrliche Flora jedem einmal da Gewesenen eine ungefähre Vorstellung vom Paradies verleiht?“
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