>>So ein Mist<<, fluchte Han leise, denn ausgerechnet jetzt ging das Benzin endgültig zur Neige und der unbekannte Kerl kam langsam näher wie ein Wolf der wusste, dass seine Beute in der Falle saß.
Han hüpfte rasch vom Rücken der Harley und stutzte irritiert, denn der Mann änderte urplötzlich seine Richtung, um geradewegs auf eine Ansammlung von Mülltonnen zuzuschwenken.
>>Maaaaaamiiiiii<<, kreischte dahinter auf ein Mal eine angsterfüllte Kinderstimme und Han spürte, dass es höchste Zeit wurde zu handeln.
>>Meine Tochter bekommst du nicht, du Scheißkerl.<<
Han musste mit ansehen, wie der Mann ihr Kind grob am Arm zerrte, wobei sein Gesicht durch ein geradezu grotesk wirkendes Grinsen entstellt wurde.
>>Hör endlich auf, mir mit deiner verdammten Plärrerei auf den Geist zu gehen, sonst setzt es was<<, brüllte der Mann das Mädchen an.
Su-Lin zuckte zusammen, als hätte man ihr einen Stromschlag verpasst.
>>Liebes, tu' was der böse Mann dir sagt. Mami ist gleich bei dir. Hab' keine Angst ... <<
Der Kerl fuhr wütend herum. Seine braunen Augen funkelten bösartig, als er mit der freien Hand ein Stilett aus seiner Jackentasche hervorkramte.
>>Versuch's, du verdammte Schlampe. Komm schon, du Nutte. Ich werde dich gleich bis zum Hals aufschlitzen.<<
Der Kerl lachte irre als in der Ferne Sirenengeheul ertönte.
>>Die Polizei wird bald hier sein. Lassen Sie mich und meine Tochter gehen und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen werde.<<
>>Unannehmlichkeiten?<< Der Mann äffte linkisch Hans Tonfall nach. >>Unannehmlichkeiten, die wirst du gleich haben, Schätzchen, nicht ich ... <<
Überraschenderweise gab der Kerl Su-Lin einen Schubs, dass sie aufschreiend zu Boden stürzte, während er sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihre Mutter warf. Han nahm hilflos wahr, wie sie zu Boden gerissen wurde, spürte heißen, übel riechenden Atem in ihrem Gesicht. Der Mann lag über ihr und hatte vor ihr das Messer in die Kehle zu rammen. Mit aller Verzweiflung setzte Han sich zur Wehr. Dann ging alles rasend schnell. — Reifen quietschten. Türen knallten. Schwere Stiefelschritte. Schüsse ...
Han musste mit ansehen, wie durch eine Kugel ein großes Stück des linken Schläfenknochens ihres Peinigers förmlich zerfetzt wurde und sich nun Blut und Hirnmasse auf ihren Oberkörper ergoss. Angewidert rollte sie den Toten von sich und übergab sich röchelnd. Jemand legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter. Sie blickte hinauf zu dem freundlich-mitfühlenden Uniformierten und fühlte sich schwach erleichtert.
>>Alles in Ordnung?<<
Sie nickte kraftlos. >>Wo ist … <<
>>Ihr Kind?<<, vollendete der Polizist Hans Satz, wobei er einem weiteren Beamten ein Zeichen gab.
Kurz darauf huschte Su-Lin kreidebleich in die Arme ihrer Mutter, doch Han ahnte instinktiv, dass der Albtraum noch lange nicht vorbei war ...
***
Chong hatte seine Füße kaum an Deck, als ihm irgendjemand von hinten hart den Lauf einer MP in den Rücken rammte. Er strauchelte, verlor das Gleichgewicht und knallte auf seine Knie. Irgendwer trat ihm plötzlich schmerzhaft in die Seite und er biss auf die Zähne, schluckte den Schmerz, der von seinen brennenden Rippen ausging. Wie durch einen dichten, undurchdringlichen Nebel sah Chong ein paar schwarze Sandalen vor sich. Er blickte wie ein Betrunkener in die Höhe, sah verschwommen eine weiße Hose und nach einer Ewigkeit tauchte das zu der Hose passende Gesicht in weiter Ferne auf. Ein grinsendes, bösartiges Gesicht mit asiatischen Zügen.
>>Willkommen<<, sagte Maurice Cheng lässig. Er blies den Rauch seiner Zigarette weit von sich. >>So sieht man sich also wieder ... << Cheng schob sich genüsslich die Zigarette zwischen die schmalen, kalten Lippen und sog den Rauch tief ein. >>Ich würde sagen, diesmal sind deine Karten ziemlich mies, denn wir werden dich endgültig zum Teufel jagen. Ich hasse nichts mehr, als wenn irgendein gottverfluchter Hurensohn wie du sich in meine Geschäfte einzumischen droht.<< Chengs Augen funkelten kalt.
>>Sagen wir doch statt Geschäfte besser Drogendealerei<<, entgegnete Chong ebenso eisig.
Chengs Grinsen wurde schlagartig breiter. >>Wir wär's mit einem kleinem Trip? Wolltest du nicht schon immer mal wissen wie es sich anfühlt, wenn Dope durch deine Adern rauscht? Haltet den Scheißkerl fest ... <<
Chong musste hilflos mit ansehen, wie sein Gegenüber eine aufgezogene Spritze aus einem kleinen Koffer entnahm. Es dauerte nicht lange, bis sich die Kanüle scharf in seine rechte Armvene bohrte. Er hatte plötzlich das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren, so als ob Zeit und Raum sich in Luft auflösen würden. Chengs Gesicht schwoll zu einer überdimensionalen, dämonischen Fratze an, während Chong auf einer rasanten Achterbahnfahrt durch ein diffuses Meer aus Licht und Farben raste. Er streckte unbeholfen seine Hand aus, doch sie fühlte sich seltsam taub und tot an. Er versuchte verzweifelt auf die Beine zu kommen und schlug der Länge nach hin. Cheng blies den Rauch von sich, beugte sich hinab und drückte die Zigarette auf Chongs Arm aus.
>>Das hier ist nur das Vorspiel, mein Freund. Du wirst um deinen Tod noch winseln, verlass' dich drauf.<<
>>Vorher werde ich dich töten<<, stieß Chong mühsam zwischen den Lippen hervor.
>>Du denkst wohl nie ans Aufhören, was?<< Unverhofft und brutal trat Cheng zu ...
***
Als die Schüsse losdonnerten, tat Mina instinktiv das einzig Richtige: Sie ließ sich gerade noch rechtzeitig mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser treiben und stellte sich tot.
Nach einer endlos langen Ewigkeit wagte sie es schließlich den Kopf ein wenig aus dem Wasser zu heben und nach Luft zu schnappen. Alles um sie herum schien unter einer geradezu erdrückenden Stille zu leiden. Sie sah die weiße Jacht unmittelbar vor sich, sah wie sich kleine Wellen sanft an ihrem Bug brachen.
Langsam schwamm sie weiter.
Ihr Herz hämmerte in wildem Rhythmus, denn sie rechnete jede Sekunde damit, dass irgendwer an Bord sie unter Beschuss nehmen würde, doch bislang blieben die tödlichen Kugeln aus. Sie umschwamm das langsam dahintreibende Schiff und machte bald darauf am Heck eine wichtige Entdeckung: Keine 50 Zentimeter über der Wasseroberfläche befand sich ein mehr als zwei Meter breites Gitter, auf welchem ein motorbetriebenes Schlauchboot befestigt war. Eine mannsbreite Leiter führte dahinter am Heck des Schiffes in die Höhe. Mina löste mit zittrigen Fingern die beiden Taue, mit denen das Boot festgezurrt worden war. Es kostete sie keine große Mühe das Schlauchboot ins Wasser zu ziehen. Schließlich stemmte sie sich mit beiden Händen in die Höhe und zog sich an Bord. Der Motor sprang laut und rasch an wie das Brüllen eines Löwen.
>>Verdammte Scheiße! Diese elende, ausgelutschte Fotze versucht mit dem Schlauchboot abzuhauen.<<
Dann zerhackte das Rattern von mehreren Maschinenpistolen die Stille über dem Wasser und Mina wusste, dass sie alles, wirklich alles tun würde, um zu überleben. Vielleicht würde sie irgendwo auf Hilfe treffen. Sie steuerte das Boot mit Vollgas geradewegs auf einen kleinen schwarzen Punkt am Horizont über den Wellen zu. Der Punkt wurde rasch größer und mutierte zu einem Schiff — einem Patrouillenboot der französischen Küstenwache. Doch sie war nicht allein mit der Küstenpolizei auf dem Wasser, denn die weiße Jacht hatte nunmehr ihre Fahrt wieder aufgenommen und jagte wie der Teufel hinter dem schlanken Boot der Asiatin her. Das Patrouillenboot änderte plötzlich seinen Kurs, bis es sich fast quer zur Fahrtrichtung der jungen Frau befand, während die Jacht stetig aufholte.
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