>>Wir müssen etwas tun, was ihre Aufmerksamkeit erregt, ohne dass sie misstrauisch werden ... <<
Chong schwieg einen kurzen Moment, dann kam ihm eine Idee. >>Kannst du einen Orgasmus vortäuschen?<<
>>Du stellt vielleicht Fragen ... <<
>>Ich möchte dich nur bitten, dass du gleich laut und aus vollem Hals zu stöhnen beginnst. Kriegst du das hin?<<,
>>Ja ... ich glaub' schon.<<
Chong tastete sich an der Wand entlang bis er sicher war, dass er die verschlossene Tür des Containers vor sich hatte, und postierte sich seitlich daneben.
>>Alles klar. Dann leg' mal los ... zeig's mir, Baby ... <<
Mina zuckte gleichgültig mit den Achseln, holte tief Luft und begann zu stöhnen, was das Zeug hielt.
Chong horchte angestrengt, doch anscheinend tat sich draußen nichts.
>>Das haben sie wohl nicht gehört. Versuch's noch ein wenig lauter.<<
>>Dann schrei' ich mir fast die Lunge aus dem Hals.<<
>>Mach schon.<<
Mina startete ihren nächsten Stöhnversuch, während Chong weiterhin aufmerksam lauschte.
Da war etwas ... Schritte ... Schritte von schweren Stiefeln ... Sie kamen näher ... und näher ...
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Das einfallende Licht schmerzte und blendete Chongs Augen. Im Türrahmen erschien die Silhouette eines bulligen Mannes, vor dessen Brust eine Maschinenpistole baumelte.
>>Wenn dein Stecher mit dir fertig ist, du geile, dreckige Schlampe, und du mal einen Fick mit einem richtigen Mann ... <<
Der Kerl stolperte über Chongs Fuß und knallte auf den Boden. Ehe er richtig begriff was passiert war, hatte sich Chong bereits mit seinem ganzen Gewicht auf ihn geworfen und seinen Hals gepackt. Mit aller Kraft drückte er seinem Gegner die Luftröhre ab, bis dieser röchelnd erschlaffte. Im Anschluss wurde der Ganove an Händen und Füßen gefesselt. Chong stopfte ihm zur Sicherheit noch ein Taschentuch in den Mund, damit er nicht auf die Idee kam, um Hilfe zu rufen.
>>Schau' mal ganz vorsichtig nach draußen, wie das Wetter ist ... <<
>>Aber ganz vorsichtig<<, entgegnete Mina, wobei sie behutsam durch die offenstehende Tür hinausspähte. >>Alles ruhig. Verdächtig ruhig ... <<
Es war heller Tag und sie befanden sich an Deck irgendeines Schiffes. Überall waren mannshohe Kisten zu erkennen, doch so sehr Mina auch umherspähte, sie konnte nirgends auch nur eine einzige Menschenseele entdecken. >>Am anderen Ende des Schiffes sehe ich ein rechteckiges Loch ... vermutlich eine Treppe, die in die Tiefe führt. Dahinter erhebt sich ein meterhoher Aufbau mit Fenstern. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, hinter den Fenstern scheinen sich Leute zu bewegen ... <<
>>Das ist unser Ziel. Aber zunächst sollten wir machen, dass wir hier rauskommen. Solange der Container korrekt von außen verschlossen ist, werden die Typen keinen Verdacht schöpfen.<<
Chong nahm die MP an sich und trat zögernd auf das Deck hinaus ins Freie. Allmählich gewöhnten sich seine Augen wieder an das Tageslicht. Tageslicht? Chong erschrak, wie die Zeit verronnen war, denn immerhin zeigte seine Swatch zehn Uhr morgens und das verstärkte die Sorgen um seine Tochter immens, da seit dem späten gestrigen Abend, als er beschlossen hatte noch ein wenig zu joggen endlose Stunden verflossen waren ... Innerlich fluchte und schimpfte er über sich und seine Dummheit, seine Tochter allein zu Hause zu lassen. Verdammt, warum hatte er sich auch auf eine Auseinandersetzung mit diesem jungen Halbstarken am Seine-Ufer eingelassen? Was hatte er damit beweisen wollen? Der überlegene Mann kämpft nicht. Siegen ohne zu kämpfen, das ist die einzige, die wahre Kunst , hörte Chong in Gedanken die Stimme seines Meisters San. Dein hitziges Temperament wird dich eines Tages noch in Schwierigkeiten bringen ...
Mina folgte Chong ins Freie. Rasch verriegelten sie die Tür des Containers.
>>Wir müssen zusehen, dass wir vom Deck verschwinden ... hier draußen geben wir eine wunderbare Zielscheibe ab ... komm' ... << Chong duckte sich, um gleich darauf zu einer der Kisten, die er als Deckung auserkoren hatte, hinüber zu sprinten, doch alles blieb entgegen seiner Erwartung totenstill. Er spähte vorsichtig zu den Fenstern auf der anderen Seite des Decks hinüber. >>Da stimmt was nicht.<<
>>Wie kommst du darauf?<<
>>Ich kann keine Menschenseele mehr in dem Raum entdecken und die müssten doch mittlerweile ihren Kumpel zumindest vermissen. Irgendeiner müsste doch mal den Kopf rausstrecken, aber da tut sich nichts und genau das macht mir Sorgen. Warte hier ... <<
>>Was hast du vor?<<
>>Ich werde rüberkriechen und nachsehen, was da los ist.<< Chong wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, denn für Diskussionen blieb ihm keine Zeit. Vorsichtig pirschte er sich auf dem Bauch näher an das rechteckige Loch, das eine grüne Stahltreppe in sich barg, und lugte in die Tiefe. Nichts. Kein Schuss, kein Geräusch. Er kroch angespannt an der Treppe vorbei, bis er sich unmittelbar an der Wand der Kajüte, direkt unterhalb eines der Fenster befand. Die Stille ringsum zerrte allmählich an seinen Nerven. Stille? Das war es, was Chong so nachdenklich stimmte, denn er vernahm weder Motorengeräusche der Schiffsmaschinen, noch spürte er den leisesten Fahrtwind auf seiner Haut, woraus er schloss, dass das Schiff irgendwo auf offenem Meer vor Anker lag, und das stimmte ihn noch misstrauischer. Er holte tief Luft und lugte vorsichtig über den unteren Rand des Fensters in den Raum, doch er konnte keine Menschenseele ausmachen. In geduckter Haltung sprintete er zu der Tür um die Ecke, stieß sie auf und sprang mit schussbereiter MP vorwärts, doch er ließ sie rasch wieder sinken. Außer angetrunkenen Bierflaschen, unzähligen Seekarten, sowie einem verwirrenden Heer aus Hebeln, Schaltern und Knöpfen konnte er nicht einmal eine Fliege ausmachen.
>>Verdammt, was ist hier los?<<
Chong kehrte zur Treppe zurück. Es ließ sich nicht vermeiden, dass seine Schritte auf den stählernen Stufen ein lautes Echo erzeugten, das von den Wänden ringsum höhnisch widerhallte. Er wusste mit absoluter Sicherheit: Falls unter Deck jemand in einem Hinterhalt auf ihn lauerte, dann war er praktisch schon so gut wie tot ...
Die Treppe mündete in einen schmalen, gerade mal mannshohen Gang und irgendwie hatte es Chong fast schon erwartet, dass es weiter ruhig blieb. Er durchforstete hastig unzählige Räume und spätestens, als er die Mannschaftskajüten sowie den angrenzenden Aufenthaltsbereich und den Maschinenraum abgegrast hatte, war er sich vollkommen sicher, dass das Schiff verlassen worden war.
In Chongs Gedanken tauchte plötzlich das überdimensionale Gesicht von Maurice Cheng auf. Au revoir, mon ami , schien es zu sagen. Ein eiskalter Schauer jagte über Chongs Rücken und er fühlte plötzlich das Blut in seinen Schläfen pochen. Ein gewaltiger Andrenalinschub fegte wie ein Tornado durch seinen Körper.
Das Stresshormon aktivierte Chongs Erinnerungsvermögen. Er erinnerte sich daran, wie viele Jahre zuvor eine Hundertschaft schwer bewaffneter Polizeibeamte in den USA kurz davor gestanden hatte, Chengs Anwesen zu stürmen, um ihn festzunehmen. Tot oder lebendig. Das Grundstück war lückenlos umstellt gewesen. Dazu ein Hubschrauber mit Spezialeinsatzkräften hoch in der Luft über Chengs Villa, um das Dach einzunehmen. Dann kam der Zugriffsbefehl … und mit ihm war alles in die Luft geflogen ... 22 Beamte hatten damals bei dem Versuch Chengs Villa zu stürmen ihr Leben verloren, weitere 17 waren schwer verletzt worden. Chong wusste, er würde die grauenhaften Bilder von verblutenden, schreienden Menschen, zerfetzten, entstellten Gesichtern und abgetrennten Gliedmaßen nie mehr vergessen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf ihn schlagartig die Erkenntnis und er rannte wie der Teufel zurück an Deck. Mina blickte ihn verwundert an, als Chong sie hastig am Arm packte und zur Reling zerrte.
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