>>Hätte ich mir fast denken können<<, sagte Han mehr zu sich selbst als zu ihrer Tochter. >>Festhalten! Wir biegen ab.<<
Das Motorrad legte sich mit seiner gewaltigen Masse so stark auf die Seite, dass Hans Knie fast den Boden streifte, als sie an der folgenden Kreuzung rechts abbogen, doch der blaue Wagen blieb ihnen unerbittlich auf den Fersen. Han warf einen flüchtigen Blick auf die Benzinanzeige der Harley, um festzustellen, dass der Tank fast leer war. Ein dunkler Schatten huschte unheilvoll über ihr Gesicht.
>>So ein Mist<<, fluchte sie leise, dann kam ihr eine Idee.
Sie nahm das Gas weg, bis die Maschine an den Straßenrand rollte.
>>Los. Spring ab. Schnell. Versteck' dich.<<
Su-Lin blickte ihre Mutter verständnislos an. >>Aber Mama.<<
>>Keine Widerrede. Mach was ich dir sage. Los, beeil dich.<<
Das Mädchen sprang schließlich vom Sozius, um sich hinter ein paar Mülltonnen zu kauern.
Man muss im Leben wissen, wann man kämpfen muss , hatte Chong früher einmal zu seiner Frau gesagt.
>>Du hast recht, mein Lieber<<, flüsterte sie leise.
Dann wendete sie mit ruhiger Entschlossenheit das Motorrad und steuerte geradewegs auf ihren Verfolger zu ...
***
Mina sah es zuerst.
Luftblasen, die ganz in ihrer Nähe aus der Tiefe des kühlen Meerwassers aufstiegen. Dicht unter der Wasseroberfläche schwebte ein dunkler, schwarzer Schatten langsam auf sie und Chong zu.
Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, seit der Frachter in die Luft geflogen war, nur vereinzelt trieben Trümmer im Wasser. Stumme Zeugen der Katastrophe, die Chong und seine Begleiterin nur mit viel Glück überlebt hatten.
>>Da drüben. Was ist das?<<
Chong schwamm herum und blickte in die Richtung, in welche Mina deutete. >>Ich glaube, wir kriegen gleich Besuch. Sieht aus wie ein Froschmann ... <<
Er holte tief Luft und tauchte. Jetzt konnte er den anderen genau vor sich sehen. Es war ein Taucher, der langsam auf ihn zu glitt. Seine Harpune zielte unmittelbar auf Chongs Kopf und das wollte diesem gar nicht gefallen ... Chong sah, wie der Kerl, der sich nur wenige Meter von ihm entfernt befand, abdrückte. Blitzschnell bewegte sich etwas silbrig Glänzendes durchs Wasser. Chong machte eine Drehung und tauchte zur Oberfläche zurück, um nach Luft zu schnappen, wodurch das Geschoss haarscharf an ihm vorbei glitt.
>>Vorsicht<<, kreischte Mina urplötzlich. >>Hinter dir.<<
Chong fuhr herum. Der Froschmann hatte ihn ganz offensichtlich schneller erreicht, als er es erwartet hatte. Dafür hielt der Taucher jetzt in seiner rechten Hand ein großes Marinemesser mit nachtschwarzem Griff, bereit auf Chong einzustechen. Der andere war ein richtiger Riese mit Bärenkräften, wie Chong feststellen musste, denn obwohl es ihm gelang, den Arm des Angreifers zu fassen und ihm das Messer zu entwenden, zog der Kerl ihn wie eine Spielzeugpuppe zu sich heran, um seine massigen Pranken wie zwei Schraubstöcke um seine Oberkörper zu legen. Chong hatte das Gefühl, als versuchte jemand ihm das Rückgrat zu brechen, während der harte, kontinuierliche Druck der gegnerischen Arme allmählich sämtliche Luft aus seinen Lungen presste. Das Blut in Chong Schläfenarterie begann wild zu pulsieren, zu klopfen, zu hämmern, als der andere ihn unter Wasser zog. Tiefer und tiefer sanken die beiden Männer in ihrem gnadenlosen Ringen, das nur einer von ihnen überleben würde, dem Meeresgrund entgegen. Chong schaffte es schließlich, dem Froschmann das Mundstück seines Atemgerätes zu entreißen. Der verdrehte schlagartig die Augen, schlug und zappelte wie ein Fisch, als sich Chongs Rechte in seine Leber bohrte. Tausende Luftblasen stiegen aus dem stumm geöffneten Mund des Mannes auf und endlich spürte Chong, wie sich die Umarmung seines Gegners zu lockern begann, als der Körper des Tauchers erschlafft.
Chong tat einen tiefen Zug aus dem Mundstück und ließ den Sauerstoff in seine brennenden Lungen strömen. Wenig später tauchte er der Wasseroberfläche entgegen, während der bewusstlose Taucher durch das Gewicht seines Atemgerätes unbarmherzig in die Tiefe gezogen wurde, seinem sicheren Tod entgegen.
Chong hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Keuchend schnappte er nach Luft, als er die Oberfläche endlich wieder erreicht hatte. Er entdeckte Mina wenige Meter hinter sich und winkte ihr kurz zu, doch kaum hatte Mina begonnen in Chongs Richtung zu schwimmen, als ein neues, fremdes und doch zugleich irgendwie vertrautes Geräusch an seine Ohren drang: Motoren. Schiffsmotoren ...
Es dauerte nicht lange, bis eine schneeweiße Jacht am Horizont auftauchte und mit hoher Geschwindigkeit auf die beiden im Wasser Treibenden zuraste. Wenig später zerriss das tödliche Knattern einer Maschinenpistole die Luft und ließ zahllose schäumende, kleine Fontänen in Chongs unmittelbarer Nähe in die Höhe schießen.
>>Achtung. Sie haben vor, uns zu überfahren<<, brüllte Chong dem Mädchen zu, als er erkannte, dass die Jacht geradewegs auf sie zusteuerte.
>>Wir müssen tauchen. Schnell.<<
Chong blieb keine Zeit sich zu vergewissern, ob seine Begleiterin die Botschaft verstanden hatte, denn der Bug des Schiffes war jetzt nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Er holte tief Luft und tauchte abermals hinab, als auch schon die Jacht an der Oberfläche über ihn hinweg raste, so dicht, dass er das durch die Schiffsschrauben verdrängte Wasser hart in seinem Rücken spürte.
Er tauchte hinter der Jacht wieder auf und schnappte nach Luft, als in seiner Nähe ein birnenförmiger Gegenstand auf das Wasser klatschte und detonierte. Die Handgranate ließ sekundenlang einen kreisrunden, wabernden und zischenden Krater entstehen. Meterhohe Wasserfontänen schossen in die Luft. Chong stellte zu seiner Beunruhigung fest, dass die Jacht ihre Fahrt zurückgenommen hatte und nun langsam dahintrieb. Er schluckte schwer, als er auf der Reling fünf bewaffnete Männer entdeckte, deren Pistolen allesamt auf ihn zielten.
>>Du solltest jetzt ganz lieb und artig sein. Sonst werden dir meine Leute deinen gottverdammten Schädel wegblasen<<, hörte Chong hinter den Schützen jemanden rufen, und so streckte er zum Zeichen seiner Aufgabe den rechten Arm aus dem Wasser.
>>Kluges Kerlchen. Bereite dich schon mal auf deine Niederlage vor. Sie wird schmerzhaft, sehr schmerzhaft. Und jetzt holt mir dieses dumme Arschloch endlich an Bord.<<
>>Was ist mit dem Mädchen?<<, rief Chong zurück, als man ihm eine Strickleiter zuwarf.
Der Mann, der hoch über Chongs Kopf an der Reling stand, lachte hämisch.
>>Die Hure? Futter für die Haie … und das wirst du auch bald sein ... <<
***
Ihre Gefühle waren ein einziger Cocktail aus Angst und Erregung, während die schwere Harley auf den Wagen, von dem sie verfolgt worden war zuraste. Han-Yeun atmete tief durch, doch sie musste rasch feststellen, dass ihr Plan nicht aufzugehen drohte, denn ihr Gegner hielt gnadenlos seinen Kurs, statt das Steuer herumzureißen und auszuweichen. Offensichtlich war er entschlossen sie zu rammen. Hans Herz begann plötzlich wild zu hämmern, als ihr klar wurde, auf welch gefährliches Spiel sie sich eingelassen hatte. Der Wagen, auf den sie mit ihrem Motorrad geradewegs zuschoss, war jetzt keine 20 Meter mehr von ihr entfernt.
10 Meter …
5 ...
In letzter Sekunde stellte sich die Harley auf ihr massiges Hinterrad, als die Maschine mit dem Wagen kollidierte. Mit viel Glück setzte der Vorderreifen des Bikes auf der Motorhaube auf. Die Geschwindigkeit der Harley lieferte den nötigen Schub, um die Maschine blitzschnell über Haube, Windschutzscheibe und Dach des Wagens rollen zu lassen. Blech ächzte und stöhnte, als das Motorrad über das Heck des Wagens auf den Asphalt hinabrollte. Han schaffte es nur mit äußerster Mühe, die schleudernde Maschine unter Kontrolle zu halten. Ihr Herz raste, als sie das Bike forsch abbremste, während der Wagen ausbrach und gegen einen Hydranten knallte. Han sah, wie ein dicklicher Mann mit blutiger Stirn sich aus dem Fahrzeug schälte und wie ein Betrunkener auf sie zutorkelte.
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