1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 >>Opfern?<<
Jossr nickte erneut. >>Sie werden versuchen, mit den erbeuteten Waffen die Amerikanische Botschaft zu stürmen, Moskau anzugreifen. Ich rechne nicht damit, dass auch nur einer von ihnen überlebt. Die Welt wird nach Russland blicken, während wir hier, im Herzen Europas, den wirklichen, tödlichen Schlag ausführen werden.<<
Jossr zauberte sein Laptop hervor, wartete, bis die Internetverbindung stand, um eine kurze, verschlüsselte E-Mail abzusenden. Dann trennte er rasch die Verbindung wieder um sicherzugehen, dass man ihn nicht als Absender der E-Mail ausfindig machen konnte. Jossr rieb sich zufrieden die Hände, denn er konnte sicher sein, dass sich nun Tausende Kilometer entfernt ein tödliches Selbstmordkommando in Marsch setzte.
>>Hast du dabei nicht etwas übersehen?<<, warf der Mann namens Mamoud vorsichtig ein.
>>Die beiden Kampfhubschrauber? Die fliegen dem Konvoi etliche Kilometer voraus und werden vermutlich schon in ihren Kasernen sein, wenn wir zuschlagen ... wenn nicht ... << Jossr zuckte gleichgültig mit den Achseln. >>Aber jetzt wollen wir uns wichtigeren Dingen zuwenden ... << Aus einer Schublade kramte er ein Miniaturmodell des Eiffelturms hervor, das er achtlos auf den Tisch fallen ließ. >>Bumm ... <<
Mina starrte benommen zu dem bewaffneten Kerl, der dicht neben ihr stand und mit einer Pistole gerade auf ihren chinesischen Begleiter zielte. Chong hing noch immer an der alten, verrosteten Stahlleiter, etliche Meter über dem Erdboden und erwartete den alles beendenden, tödlichen Schuss. Im spärlichen Licht der Taschenlampe war es ihm nicht möglich das Gesicht des Mannes unter ihm zu erkennen, so würde er also nie erfahren von wem er letztlich erschossen worden war. Doch es kam völlig anders, denn aus irgendeinem Grund schrie der Kerl schmerzerfüllt auf. Es knallte ohrenbetäubend, als die Beretta das Feuer eröffnete. Chong stellte erleichtert fest, dass er enormes Glück gehabt hatte, denn die tödliche Kugel hatte ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt. Das Geschoss schlug dicht neben seinem Kopf in die Wand, wodurch sich ein feiner Sprühregen aus Betonsplittern und Staub in seinen Haaren niederließ.
>>Hier<<, flüsterte kaum hörbar eine Frauenstimme. >>Lass' dich zu Boden fallen ... jetzt ... <<
Chong zögerte keine einzige Sekunde. Wie ein Feuerwehrmann ließ er sich blitzschnell an den beiden Holmen der Leiter in die Tiefe hinabgleiten. Kaum hatte er den Boden des ehemaligen Bunkers erreicht, als auch schon der ganze umliegende Raum in pechschwarze, undurchdringliche Finsternis fiel, denn die Maglite hatte ganz offensichtlich endgültig ihren Geist aufgegeben.
Chong horchte angestrengt in die Dunkelheit. Ganz in seiner Nähe hörte er gedämpftes Keuchen, dann das leise Knirschen von Schuhen, die sich vorsichtig über den unsichtbaren Boden tasteten. Chong zog ein vergoldetes Feuerzeug hervor. Es war ihm in die Hände gefallen, als er sich einige Zeit zuvor — auf der Flucht vor seinen Verfolgern — aus jenem schmuddeligen Abwasserkanal auf einen schmalen Betonsteg hinaufgezogen hatte, unmittelbar neben einer blutüberströmten Leiche. Chong hatte instinktiv geahnt, dass ihm das Feuerzeug noch nützlich sein würde. Die kleine Flamme erhellte nun schwach den Raum. Ein paar Meter vor sich konnte Chong seinen Gegner ausmachen, der glücklicherweise mit dem Rücken zu ihm stand.
>>He ... suchst du vielleicht mich? Ich bin hier ... <<
Wütend fuhr der Kerl wie eine tödlich gereizte Giftschlange herum, als Chong die Flamme verlöschen ließ, wodurch schlagartig alles erneut in dämonischer Finsternis versank. Instinktiv sank er zu Boden, rollte sich ab, als auch schon die Kugeln über ihn hinwegpfiffen. Er setzte in der Dunkelheit beide Handflächen auf den Boden, um mit einer Beinschere die Füße seines Gegners anzugreifen. Durch das Mündungsfeuer der Beretta konnte er ziemlich genau ausmachen, wo der andere sich befand. Der fiel förmlich wie ein vom Blitz gefällter Baum zu Boden, nachdem Chong seine Technik angebracht hatte. Ehe der Kerl auch nur die geringste Chance hatte, erneut auf die Beine zu kommen, war Chong — geschmeidig wie eine Katze, lautlos und gefährlich — bereits über ihm und versetzte ihm ein halbes Dutzend Faustschläge in Gesicht und Leber, bis der Kerl schließlich regungslos zusammensackte.
>>Mina? Alles in Ordnung?<<
>>Ich bin hier ... ich bin okay<<, kam die prompte Antwort irgendwo aus der Dunkelheit.
Chong zündete erneut das Feuerzeug, um in das erleichterte, wenn auch ein wenig blasse Gesicht der Asiatin zu blicken.
>>Ich fürchte nur ... wir sitzen bis zum Hals in der Tinte. Ohne die Taschenlampe sind wir hier unten so gut wie verloren ... selbst das Feuerzeug wird uns nicht viel nützen ... wird nicht ewig brennen ... <<
Irgendwie hatten beide plötzlich das Gefühl, dass der sie umgebende Raum leicht vibrierte, als hoch über ihren Köpfen ein immer lauter werdendes Summen und Brummen erscholl. Das Geräusch schwoll schließlich geradezu ohrenbetäubend an, um urplötzlich wieder zu versiegen und eisige Stille zurückzulassen.
>>Hast du das gehört?<<
Mina nickte in der Dunkelheit. >>Das klang ganz nach einer U-Bahn ... irgendwo in der Nähe ... über uns ... aber wir kommen hier nicht raus, oder?<<
>>Ich konnte am oberen Ende der Leiter eine eiserne Klappe entdecken. Allerdings ist sie verschlossen.<<
>>Also werden wir hier unten sterben.<<
>>Nicht unbedingt. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, hier rauszukommen ... hier ... halt mal.<< Chong reichte ihr das Feuerzeug.
>>Was hast du vor?<<
>>Ich brauche den Akku deines Handys<<
>>Wozu?<<
>>Diese Akkus sind recht explosiv<<, erwiderte Chong knapp, während er dem bewusstlosen Kerl eine schmutzige Socke auszog.
>>Hier.<< Mina reichte Chong den kleinen, rechteckigen schwarzen Akku, welcher von Chong dankend in Empfang genommen wurde. Sorgsam wickelte er das Gerät in die Socke.
>>Wenn wir Glück haben, funktioniert's. Wenn nicht, hilft nur beten. Ich werde versuchen nach oben zu klettern und das Päckchen irgendwo an der Klappe zu befestigen. Du bleibst hier und passt auf den da auf, damit er keine Dummheiten macht.<< Chong deutete im Licht des Feuerzeugs auf den am Boden liegenden Bewusstlosen. >>Vorher werden wir allerdings unserem ehrenwerten Freund die Flossen hübsch hinter dem Rücken verschnüren. Mit seinem Gürtel.<<
Wenig später lag der Kerl — verschnürt wie ein Päckchen — stöhnend an der Wand. Mina lehnte sich in sicherer Entfernung an, die Beretta schussbereit vor der Brust haltend. Sie war heilfroh, dass sie zumindest die Waffe wiederhatte. Irgendwie fühlte sie sich damit bedeutend wohler.
>>Falls der Kerl irgendwelche Dummheiten machen sollte, jagst du ihm einfach eine Kugel in den Hintern. Wenn du aus Versehen eine andere Körperstelle treffen solltest ... auch nicht schlimm<<, rief Chong, der bereits damit beschäftigt war erneut die Leiter hochzuklettern. >>Es sei denn, du hast Lust darauf ihm ein zweites Mal in die Wade zu beißen ... <<
>>Sehr witzig. Umwerfend komisch.<<
Als Chong das obere Ende der Leiter erreicht hatte, gelang es ihm eine Stelle unmittelbar unterhalb des Falltürschlosses zu ertasten, wo er ein kleines Stückchen Socke einklemmen konnte. >>Hoffentlich funktioniert es<<, murmelte er leise, während er mit dem Feuerzeug den Stoff entzündete.
Erneut ließ er sich an den beiden Holmen in die Tiefe rutschen, als es über ihm, einen heftigen Knall gab, als hätte jemand einen großen Feuerwerkskörper entzündet. Im spärlichen Schein des Feuerzeugs entdeckte er dichten grauen Nebel über sich. Chongs Gesicht wurde allmählich düster, während er kritisch in die Höhe blickte.
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