1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 >>Lass' sie in Ruhe, du Mistkerl. Runter von ihr. Wenn du sie anfasst, schlag ich dir den Schädel ein ... <<
Die Gestalt blickte ungläubig nach oben. >>Ach ja?<<
Der Kerl löste seine Finger vom Hals der benommen daliegenden jungen Frau, doch nur, um nach der in der Nähe liegenden Beretta zu grapschen und die Mündung auf Chong zu richten. Chong hing unterdessen fast fünfzehn Meter über dem Boden an der Leiter und starrte wie gebannt auf den Lauf der Beretta, während die Thailänderin bewusstlos oder gar tot am Boden lag.
Der Kerl spuckte verächtlich. >>Fahr zur Hölle.<<
Chong zählte innerlich bis fünf. Er hoffte nur, dass es schnell gehen, dass die Kugel in sein Herz oder Hirn einschlagen würde, wenn der Typ endlich zum Abdrücken bereit war. Er schloss die Augen und erwartete das Ende, während er fühlte, wie ihm das Herz sprichwörtlich im Halse hämmerte. Dann gab es endlich einen ohrenbetäubenden Knall, als sich aus der Beretta ein Schuss löste.
***
Acht Stunden zuvor im Sheraton Hotel, Paris.
Der Mann, der gerade kritisch den Sitz seines Anzuges im Garderobenspiegel betrachtete, hatte volles, dunkles Haar, welches mit seinen geheimnisvollen, schwarzen Augen harmonierte. Sein Spiegelbild schenkte ihm schließlich ein zufriedenstellendes, entspanntes Lächeln und so zupfte er noch ein letztes Mal an seiner Krawatte, setzte als Teil seiner Tarnung eine Brille auf, die aus Fensterglas bestand und schenkte sich schließlich einen Whisky ein. Ohne Zweifel war er ein Orientale, doch die Angaben in seinem gefälschten Pass wiesen ihn als britischen Staatsbürger aus. Karem-Abu Jossr hatte mit jener Rolle kein Problem, denn neben nahezu akzentfreiem Englisch beherrschte er nicht nur vier weitere Sprachen fast perfekt, sondern er verfügte über eine sehr hohe soziale Intelligenz, was es ihm leicht machte, im Rahmen seines Planes einen Ungläubigen zu imitieren, der offiziell als Geschäftsmann unterwegs war. Schließlich trat er ins Schlafzimmer, um einen kleinen Radiowecker — ein Mitbringsel — auf sieben Uhr einzustellen. Er hatte weder vor in jenes Hotel zurückzukehren, noch wollte er irgendwelche verwertbaren Spuren hinterlassen. Deswegen würde am nächsten Morgen pünktlich um sieben Uhr eine geballte Ladung C4-Sprengstoff explodieren und das gesamte Appartement in die Luft jagen.
>>Es lebe Mr. Weston<<, rief Jossr fröhlich, während er den Rest seines Glases austrank.
Weston war der Name von Jossrs britischer Tarnidentität. Jossr warf noch einen kurzen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr, dann nahm er die fertig gepackte, schwarze Aktentasche vom Bett und verließ sein Appartement. Wer ihm begegnete, hätte ihn ohne Weiteres für einen freundlichen, aber harmlosen Buchhalter halten können. Er pfiff vergnügt einige Töne eines alten amerikanischen Schlagers vor sich hin, grüßte lächelnd die ihn umgebenden Leute in dem geräumigen, hellen Fahrstuhl, der mit leisem, monotonem Summen abwärtsfuhr, und drückte schließlich dem völlig verdutzten, uniformierten Trottel an der Rezeption ein mehr als großzügiges Trinkgeld in die Hand.
Milde, warme Luft umarmte ihn angenehm, als er auf die recht belebte Straße hinaustrat und ein Taxi nahm. Er ließ sich von dem Taxifahrer ein wenig durch die Pariser Innenstadt kutschieren, vertrat sich die Beine, nahm ein neues Taxi und während der Wagen dahinpreschte studierte Jossr aufmerksam die Umgebung, doch er konnte keine Verfolger ausmachen, was ihm auch sehr unwahrscheinlich schien. >>Aber sicher ist sicher<<, flüsterte er leise zu sich selbst.
Er war nicht so dumm, sich von dem Fahrer direkt zum Ort seiner Verabredung fahren zu lassen, denn früher oder später würden die Bullen seine Fährte wittern, spätestens dann, wenn sein Hotelzimmer in die Luft flog. Gut möglich, dass sich dann der Fahrer an ihn erinnerte ... Nein, es erschien ihm besser, weil sicherer, sich von dem Chauffeur nicht unmittelbar an seinem geplanten Ziel, sondern irgendwo in der Nähe absetzen zu lassen. Die restliche Strecke würde er schließlich zu Fuß gehen.
Der Fahrer war dunkelhäutig, sehr verstockt und schweigsam, und Jossr war dies nur mehr als recht, da der Kerl nicht versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
Einige Zeit später wies Jossr den Fahrer an nach der nächsten Abzweigung am Straßenrand zu halten. Er zückte seine Brieftasche und warf achtlos, während er ausstieg, einige Geldscheine auf den noch warmen Beifahrersitz, was der Fahrer mit einem erfreuten Zahnlückengrinsen registrierte.
Nach einem 15-minütigen Fußmarsch erreichte Jossr ein ziemlich heruntergekommenes Stadtviertel. Irgendwo bellte und knurrte ein Hund. Zielstrebig durchschritt Jossr eine Einfahrt und fand sich schließlich auf einer Müllhalde von Hinterhof wieder. Ein paar Jugendliche prügelten sich gerade miteinander. Jossr achtete nicht sonderlich auf sie, stattdessen stieg er eine schmutzig-graue, steinerne Treppe hinunter, die vor einer ehemals grünen Tür endete. An ihrem Holz war allerdings an vielen Stellen der Lack längst abgeblättert. Nach mehrmaligem Klopfen wurde endlich geöffnet. Ein schlanker, dunkelhaariger Orientale mit schmalen, unbarmherzigen Lippen und stechenden, fanatischen Augen erschien im Türrahmen und musterte Jossr zunächst misstrauisch.
>>Salam, Bruder ... <<
Das Gesicht des anderen erhellte sich plötzlich. >>Komm' doch rein ... <<
>>Ist alles bereit?<<
Der andere nickte lächelnd, während er Jossr in einen Raum führte, in dem fünf weitere junge Männer mit verschlossenen, stummen Blicken an einem Tisch saßen. Junge Männer, die ihr Leben nicht achteten, die den Tod nicht fürchteten, die bereit waren — bereit für ihre heiligen Ziele zu sterben. Allesamt waren sorgsam ausgewählte Schläfer ohne jegliche Vorstrafen, studierte und kluge Köpfe, die bislang weder als radikale Islamisten noch sonst irgendwie auffällig geworden waren. Alles unbeschriebene, weiße Blätter, doch das sollte sich schon bald ändern.
Jossr setzte sich und spürte genüsslich die ehrfürchtig-bewundernden Blicke der anderen Männer auf sich ruhen. >>Wir werden der ungläubigen, westlichen, imperialistischen Welt mit Allahs Segen ein Zeichen setzen ... etwas, was die Anschläge damals in New York noch um ein vielfaches übertreffen wird. Die Welt wird in Blut baden ... <<
>>Was ist es so Großes, Gewaltiges, Bruder?<<
>>Wir werden das Wahrzeichen Frankreichs vom Erdboden fegen<<, entgegnete Jossr mit seinen kalten, durchdringenden Augen emotionslos.
>>Den Eiffelturm?<<
Jossr nickte und jeder im Raum starrte gebannt auf die fanatischen Linien, die sich nun in seinem Gesicht abzeichneten.
>>Und wozu dann die Sache in Russland, Bruder?<<
>>Strategie ... wir bringen unsere Feinde dazu, ihre Augen dorthin zu richten, während wir in Wirklichkeit ganz woanders zuschlagen werden.<< — Wenige 100 Kilometer hinter Moskau wartete derzeit eine 40-köpfige Kämpferschar auf den Befehl zum Angriff.
>>Aber ... das ist doch Wahnsinn ... einen Militärkonvoi angreifen ... mit unserer spärlichen Bewaffnung ... die russische Armee, die du ins Auge gefasst hast, Bruder, verfügt über Kampfhubschrauber und Panzer ... <<
Jossr schlug dem Mann völlig überraschend und unerwartet mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Visage des Zweiflers verzerrte sich vor Wut, als Jossrs Hand ein zweites Mal auf seine Wange klatschte. >>Ist dein Glaube so schwach, dass du an den mir von Allah geschenkten Plänen zweifelst, Mamoud?<<
Der Mann schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf.
>>Gut<<, lächelte Jossr milde, während er fortfuhr: >>Der Militärkonvoi der Russen hat ein Manöver hinter sich. Sie fahren im Gänsemarsch diese Strecke entlang ... << Jossr warf eine Karte auf den Tisch und deutete mit dem Zeigefinger auf einen ganz bestimmten Punkt. >>Hier werden sie eine Brücke überqueren müssen, die von uns mit Sprengstoff versehen ist. Sobald die ersten Fahrzeuge, darunter auch der Lastwagen mit den Waffen die Brücke passiert haben, werden wir alles in die Luft jagen. Unsere Leute springen aus ihren Verstecken wie verabredet, schnappen sich den Wagen mit den Waffen, beladen ihn zusätzlich noch mit Sprengstoff und dann werden sie sich mit Freuden für unsere Sache opfern ... <<
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