1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 >>Die Bullen. In deren Augen bin ich nichts. Eine wertlose dumme, kleine Schlampe ... sonst nichts<<, entgegnete Mina geringschätzig. >>Wahrscheinlich könnte ich auf offener Straße vergewaltigt werden und die ... <<
>>So ein Mist<<, fluchte Chong dazwischen.
>>Was ist passiert?<<
>>Der Akku deines Handys ist leer. Heute geht aber auch alles schief ... << Chong reichte ihr das Telefon zurück. >>Und die Batterien der Taschenlampe werden auch nicht ewig halten. Wenn es uns nicht gelingt, einen Weg nach draußen zu finden, bevor die Maglite den Geist aufgibt, sind wir so gut wie tot ... <<
Mina deutete im fahlen, staubigen Licht der Taschenlampe auf die unzähligen Seitengänge. >>Was nun ... wo lang ... irgendeine Idee?<<
>>Wenn ich von der Skizze auf deinem Rücken ausgehe, dann müssen wir uns rechts halten, um zumindest in die Nähe einer U-Bahn-Station zu kommen ... <<
>>Was nützt uns das?<<
>>Ich bin mir nicht sicher ... wir könnten probieren, uns bis zu einer U-Bahn-Station durchzuschlagen ... vielleicht treffen wir unterwegs irgendwo auf eine Tür, ein Gitter oder etwas Ähnliches ... etwas, das wie ich hoffe die Katakomben mit den U-Bahnen verbindet ... <<
>>Und der nächstgelegene, öffentliche Ausgang aus den Katakomben ... <<
>> ... müsste nach meinen Berechnungen etwa drei bis vier Kilometer von unserem jetzigen Standpunkt entfernt in südöstlicher Richtung liegen ... wenig aussichtsreich, da wir nicht auf geradem Weg zum Ziel laufen können, sondern den Umweg über endlose Gänge nehmen müssen ... <<
Schließlich entschieden sie sich für den zweiten Seitengang zu ihrer Rechten, der nach einigen Minuten flotten Fußmarsches eine sanfte Biegung machte. Eine Schar Fledermäuse schoss, vom Licht der Lampe aufgeschreckt, quietschend über ihre Köpfe hinweg. Chong stellte beruhigt fest, dass der vor ihnen liegende Gang sich nicht weiter zu verzweigen schien. Die Decke befand sich nur wenige Zentimeter über seinem Kopf und die Luft roch schlecht, stickig und seltsam modrig. Noch immer waren sie gezwungen auf ihrem Weg über zahllose Gerippe und Knochen, die lautlos und geradezu gespenstisch den Boden förmlich pflasterten, hinwegzusteigen.
>>Der Typ am Telefon ... wer war das? Kennst du ihn? Und wie kommt er ausgerechnet in deine Wohnung?<<
Chong erzählte in knappen Worten von seiner Auseinandersetzung mit den Typen am Ufer der Seine. >>Der Rest war für den Kerl nicht schwer ... schließlich hatte Su-Lin mit schwarzer Tinte irgendwann Familiennamen und Anschrift auf die Innenseite des ledernen Schlüsseletuis gekritzelt.<<
Mina schwieg nachdenklich. Bestand denn die ganze Welt nur noch aus gewaltversessenen Verrückten?
Der Gang schien geradezu endlos zu sein. Chong hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren. >>Und das ist noch nicht das Schlimmste ... meine Frau — sie ist Stewardess — ist wahrscheinlich längst mit ihrem Flieger gelandet. Hoffentlich ist sie nicht ... << Chong schwieg, er wollte und konnte den Gedanken, der ihn gerade peinigte, nicht zu Ende denken. Im Licht der Taschenlampe wirkte sein Gesicht bleich, fast gespenstisch, mit sorgenreichen Ringen unter den sonst so freundlich dreinschauenden Augen.
>>Psst ... war da nicht was? ... es hat sich angehört wie Schritte ... <<
Beide lauschten angestrengt in die sie umgebende Dunkelheit und so sehr Chong auch den Lichtkegel der Taschenlampe umherwandern ließ, es war unmöglich irgendetwas zu erkennen.
>>Vermutlich nur eine Ratte.<<
>>Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, da ist jemand ... hinter uns<<, erwiderte Mina, doch Chong schüttelte den Kopf.
>>Selbst, wenn uns jemand gefolgt sein sollte, so wird es Zeit, von hier zu verschwinden. Hier können wir nicht bleiben. Wir müssen weiter. Falls tatsächlich einer von den Kerlen mit den Maschinenpistolen sich an unsere Fersen geheftet haben sollte, hat er gegen unsere Beretta eindeutig bessere Karten in der Hand ... komm ... <<
Der Gang machte eine weitere sanfte Biegung und endete schließlich vor einer offenstehenden, massiven Stahltür. Chong stach mit dem Lichtstrahl der Taschenlampe in die Dunkelheit dahinter und stellte fest, dass vor ihnen ein kreisrunder, staubig-grauer Raum lag, dessen Grundfläche gut und gerne 20 Meter maß.
>>Sieh' dir das an ... weißt du, was das ist?<< Er ließ den Lichtkegel langsam an der spinnwebenbehangenen, abgerundeten Wand in die scheinbar endlose, dunkle Höhe wandern. >>Die Wand verläuft konisch nach oben. Das Ganze sieht aus wie ein riesiger Betonkegel, den man vor langer Zeit in den Boden eingelassen hat.<<
Mina folgte Chong in den Raum hinter der Stahltür. >>Du meinst ... ein Bunker?<<
Chong nickte. >>Dort drüber ... schräg gegenüber ... ist sogar noch die alte, verrostete Stahlleiter an der Wand zu erkennen ... die führt nach oben ... <<
>>Ins Freie?<<
>>Möglicherweise ... ich werde raufklettern und nachsehen, ob es einen Weg nach draußen gibt oder nicht ... <<
>>Kommt nicht infrage. Und ich soll in der Zwischenzeit allein hier unten rumhängen, oder was?<<, protestierte Mina energisch, doch Chong lächelte gelassen.
>>Okay, okay ... ich bleib' hier unten und du kletterst ... aber es kann durchaus sein, dass die alten Sprossen unter deinen Füßen durchbrechen und dein hübscher Körper aus etwa 20 Meter Höhe wie ein Stein in die Tiefe fällt.<<
>>Na schön, aber was, wenn ... <<
Chong schnitt ihr mit einer wegwerfenden Handbewegung plötzlich und unerwartet das Wort ab.
>>Hier ... für den Fall der Fälle<<, fügte er hinzu, nachdem er ihr kurz und bündig Beretta und Taschenlampe in die Hand geklatscht hatte, denn er hatte für sein Empfinden bereits genug diskutiert. >>Es wäre nett, wenn du mir mit der Taschenlampe ein wenig Licht spenden würdest, während ich nach oben klettere.<<
>>Geht in Ordnung<<
Mina richtete unvermittelt den Strahl in Chongs Gesicht. Der wendete sich geblendet ab und begann nun vorsichtig seinen Aufstieg an der alten Leiter.
>>Kannst du schon was erkennen?<<
>>Nur eine dunkelhaarige Lady, die zu viele Fragen stellt<<, hallte es von oben herab.
Mina sah angespannt, dass Chong nun fast drei Viertel der Strecke hinter sich gebracht hatte, als ein Geräusch sie plötzlich herumfahren ließ. Das Geräusch ... es hatte sich angehört wie ... Atmen ... oder besser leises Keuchen, nicht sehr weit weg, aber auch nicht ganz nah ... Sie zuckte zusammen. Instinktiv spürte sie, dass sich in dem Gang, durch den sie gemeinsam mit dem Chinesen gerade erst auf den Bunker gestoßen war, irgendetwas Bedrohliches, Gefährliches befand.
>>Hey ... lässt du Männer eigentlich gerne im Dunkeln stehen?<<, rief Chong verdutzt in die Tiefe.
Doch Mina reagierte nicht, denn eine Gestalt schälte sich gerade vor ihren Augen wie ein dunkler, unheimlicher Geist aus der düsteren Umgebung heraus und bewegte sich auf sie zu. Wie hypnotisiert verfolgte Mina die Bewegungen des lautlosen Schattens, der sich zielstrebig auf sie zubewegte, als plötzlich etwas ihren Arm traf. Sie schrie laut und lang gezogen auf, denn die unheimliche Gestalt hatte sich mit einem Mal auf sie geworfen und hart zu Boden gerissen. Die Taschenlampe war ihr ebenso aus den Händen geglitten wie die Beretta.
>>Was zum Teufel ... mein Gott<<, flüsterte Chong, als er nach unten sah und erkannte, was sich da am Boden abspielte.
Mina lag am Boden und wurde gerade von irgendeinem Kerl, der rittlings auf ihr saß, ziemlich übel gewürgt.
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