„Woher willst du das wissen?“, schluchzte Holly, die ihre weinende Tochter ansah.
„Kein Schwefelgeruch, kein Feuer, keine Klauen, keine Hörner. Außerdem hat er ein Spiegelbild.“
„Und ich mag Sonnenlicht, ich kann Kreuze berühren, ohne gleich zu verbrennen und bin nicht wasserscheu.“, ergänzte Magnus. Stefania fiel ihrer Mutter um den Hals.
„Wie wärs, wenn wir diesen Ort erst einmal gegen einen anderen tauschten? Nachdem ich mich erleichtert gehabt haben werde.“, schlug Kyonna kurvenreich vor.
„Gute Idee.“, pflichtete Magnus ihr bei.
„Dass ich mich erleichtere?“
„Dass wir den Ort wechseln.“
„Mommy, er ist kein Teufel.“, schluchzte Stefania und das Unglaubliche geschah: Kyonna strich ihrer Enkelin sanft über den Kopf und säuselte: „Da wirst du wohl recht haben, Kleines.“
Da Will bei Freunden war, konnten sie sich im Wohnzimmer versammeln. Eine strahlende Großmutter ließ es sich dabei nicht nehmen, ihre Enkelin herunterzutragen wie ein kleines Kind, und das Mädchen auf ihrem Schoß zu platzieren, ein ganz neues Gefühl für Kyonna und Stefania, die sich das aber gerne gefallen ließ. Das neue Paar wurde dabei von einer staunenden Tochter und Mutter beobachtet. Als sie saßen, begann Holly.
„E …“
„Nicht schon wieder.“, bat Magnus. Holly wirkte irritiert und sah ihn fragend an.
„Keine erneute Entschuldigung.“, erklärte er.
„Ja, sicher, entschuldige, aber das alles ist so … so unglaublich; ich war einfach überfordert. Nein, ich bin noch immer überfordert.“
„Nimm es einfach hin, wie es ist.“, trompetete Kyonna fröhlich und küsste Stefania. „Ihr glaubt gar nicht, welche Last von mir gefallen ist, seit die Sache endlich heraus ist.“
„Welche Sache?“, fragte ihre Tochter begriffsstutzig.
„Dass er ihr Vater ist.“ Stefania hob den Kopf und blickte von einem zum anderen.
„Wer ist mein Dad?“ Sie sah ihre Mutter an, die aber ihre Fußspitzen plötzlich sehr interessant fand.
„Wer?“, fragte sie ihre Oma.
„Äh …“ Kyonna wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
„Wer?“ Diesmal sah Steffi Magnus an, der sie anlächelte.
„Es sieht wohl so aus, als hätte es mich getroffen.“, schmunzelte er. Stefania bekam große Augen, sprang vom Schoß ihrer Großmutter und erklomm denselben ihres Vaters.
„Is ja toll. Wenn ich mir meinen Vater hätte aussuchen können, wärst auch du es geworden.“, lispelte sie und umarmte den Unsterblichen mit ihren kleinen Armen. Magnus genoss einerseits das Gefühl, von seiner Tochter umarmt zu werden, andererseits aber wirkte er ziemlich hilflos. Er hob die Arme, ließ sie wieder sinken, wusste nicht, wohin mit ihnen, bis er sich einen Ruck gab und den kleinen Körper ebenfalls, erst vorsichtig, dann aber mit sanftem Druck umarmte. Er seufzte vor Wohlbehagen.
All die rationalen Gedanken, die ihn seit je her umgetrieben hatten, und die letztlich Vaterschaften bisher verhindern konnten, traten in den Hintergrund; er gab sich einfach diesem neuen Gefühl hin und fand Gefallen an ihm.
„Ich habe es gewusst, seit du mich das erste Mal berührt hast.“, flüsterte die Kleine in sein Ohr und er nickte leicht. Laut sagte sie: „Du bist älter als Mom.“, und dachte sich etwas dabei.
„Ja, das ist wohl so.“, gab er zu.
„Bist du so alt wie Grandma?“
„Schön wärs.“, erklärte Kyonna.
„Noch älter?“ Magnus ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie ein Spiel spielte.
„Nun ja …“
„So alt wie Will?“
„Steffi!“, bemühte Holly erzieherische Methoden.
Dann sagte eine Weile niemand etwas, was ganz erstaunlich war, denn unter ihnen befand sich schließlich Kyonna, die sonst Mühe hatte, ein paar Minuten zu schweigen. Doch die Frau, die nun auch mit dem Herzen Großmutter sein konnte, und dies auch wollte, saß mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck auf dem Sofa und betrachtete geradezu liebevoll den Vater ihrer Enkeltochter, der Stefania immer noch sanft an sich drückte.
Holly allerdings sah man an, dass sie mentale Schwerstarbeit leistete. Sie nagte an ihrer Unterlippe, rang die Finger und starrte auf das Teppichmuster. Magnus hingegen schien zu schlafen. Er hatte den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen und sein Mund sah aus, als ob er lächelte. Ruhig hob und senkte sich sein Brustkorb, auf dem Stefanias Oberkörper ruhte, der von dieser Bewegung leicht gewiegt wurde; auch sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen.
Doch das täuschte. Sie tauschten, wenn schon keine Gedanken, so aber doch Gefühle aus. Unbestimmte und unbestimmbare, mit normalen Worten nicht beschreibbare Gefühle, die tief aus ihrem Innersten kamen und jetzt den jeweils anderen erreichten. Normale Menschen hätte diese emotionale Kommunikation wahrscheinlich in den Wahnsinn getrieben, womit kein bösartiger Wahnsinn gemeint ist, sondern eher ein Gefühl unendlichen Wohlbehagens und Friedens mit sich und der Welt, was allerdings die Alltagstauglichkeit solcher Menschen in ähnlicher Weise beeinträchtigt hätte, wie eine handfeste Paranoia oder Phobie. Bei Vater und Tochter führte diese Prozedur allerdings dazu, dass sie sich näher kennenlernten, sich näherkamen, wie zwei Menschen sich nur nahekommen können.
„Bitte.“, durchbrach Holly die Stille. Kyonna sah ihre Tochter überrascht an, als ob sie vergessen hätte, dass diese auch im Raum war und spitzte die Lippen. Magnus und Stefania schlugen synchron die Augen auf, wie hätte es auch anders sein sollen.
„Bitte.“, wiederholte Holly und richtete einen flehenden Hundeblick auf den Vater ihrer Tochter. Der lupfte die Kleine etwas an, küsste sie auf die Wange, rutschte auf dem breiten Sessel etwas zur Seite, setzte sich gerade hin und ließ Steffi neben sich sitzen, dann sah er die Mutter seiner Tochter erwartungsvoll an und fragte: „Bitte?“ Kyonna kicherte leise.
„Kann. Mir. Das. Alles. Mal. Jemand. Erklären?“, fragte sie langsam und betonte jedes Wort mit Gesten.
„Ist doch ganz einfach.“, erklärte die vorlaute Kyonna gut gelaunt. „Der Typ da hat mal Sex mit mir gehabt, ist der Vater deiner Tochter, ist zweitausend Jahre alt, hat sich aber gut gehalten, er …“ Sie war leiser geworden und brach jetzt mit einem Kopfschütteln ab. Ratlos geworden blickte sie ebenfalls Magnus an.
„Sag bitte, dass das nicht stimmt.“, hauchte sie ganz kleinlaut. Drei Augenpaare waren jetzt gespannt auf ihn gerichtet. Er sah von einer zur anderen, setzte ein Lächeln auf und sagte: „Nein.“ Erleichtert sanken Kyonna und Holly in die Polster zurück, Steffi hingegen kicherte ein Kinderkichern, wie es Kinder kichern, wenn jemandem ein sanfter Streich gespielt wird. Dies wiederum machte Holly, die ihre Tochter kannte, misstrauisch, so dass sie sich rasch wieder aufrichtete und ihren Körper mit Spannung versah.
„Was, nein?“, fragte sie sicherheitshalber. Magnus sah sie fröhlich an.
„Ich sage nicht, dass das nicht stimmt, meine Nase ist lang genug.“ Er kniff Stefania ein Auge zu, was wiederum zu einem Kichern führte.
„Was hat das mit deiner Nase zu tun?“
„Kennst du die Geschichte von Pinocchio?“ Holly überlegte.
„Dann stimmt es doch?“, ließ sie alle Hoffnung matt fahren.
„Falls ausgeschlossen werden kann, dass du von jemand anderem schwanger geworden warst, stimmt der zweite Teil, für den ersten haben wir eine Zeugin.“
„Kann ich ausschließen.“, ergab sie sich halb, hatte jedoch noch Hoffnung, was den dritten Teil anbelangte. An andere Teile mochte sie gar nicht denken.
„Gut.“ Er drückte Steffi an sich. „Dann kannst du Daddy zu mir sagen, falls du möchtest.“ Die Kleine strahlte lückenhaft.
„Was ist mit dem dritten Teil?“, hauchte Holly und erntete ein ernstes Lächeln.
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