In diesem Stadium wurde ich vom New Yorker Büro auf den Fall angesetzt. Ich sollte verdeckt ermitteln und versuchen, die Leute zu finden - wir waren uns von Anfang an sicher, dass es sich um mehrere Täter handeln musste -, die für die Morde verantwortlich waren. So streifte ich durch Kneipen und Bars, die von der Fundstelle aus in einem Radius von zwanzig Meilen aufgefunden worden waren.
Anfangs hörte ich nur das übliche Geschwätz angetrunkener Kleinstadtbewohner. Jeder hier hatte seine eigene Theorie über die Morde, sogar von Außerirdischen wurdegefaselt, bis ich eines Abends Zeuge eines leise geführten Gesprächs wurde.
Zwei Männer mittleren Alters saßen etwas abseits an der Theke einer kleinen Bar, die ich in den vergangenen Tagen schon des Öfteren besucht hatte. Den einen kannte ich schon vom Sehen, der andere Gast aber war mir unbekannt. Aus dem Gespräch konnte ich bruchstückhaft heraushören, dass der Unbekannte versuchte, seinen Gesprächspartner anzuwerben. Der Unbekannte hatte einen militärisch kurzen Haarschnitt und wirkte sehr durchtrainiert. Nach einer Weile ging er fort, und zurück blieb der offenbar tief in Gedanken versunkene andere Mann. Ich musste herausfinden, um was es in dem Gespräch gegangen war. Also bestellte ich zwei Drinks und rückte näher an ihn heran. Zunächst war er misstrauisch, im Verlauf des Abends und weiterer Getränke wurde er dann doch noch gesprächig. Er berichtete mir von einer Vereinigung, die sich Gruppe Phönix nannten. Diese Leute waren sehr konservativ und rassistisch. Mein Gesprächspartner war erschrocken über die krassen, gewaltbereiten Äußerungen des PhönixMitglieds und wollte deshalb in der nächsten Zeit Bars meiden, um diesen Leuten aus dem Weg zu gehen. Er hatte sichtlich Angst, ich hingegen wollte und musste jeder Spur nachgehen, die mich möglicherweise zu dem Täterkreis führen konnte. Also warum nicht hier beginnen? Gleich am nächsten Tag informierte ich mich im Internet über diese ominöse Gruppe. Ich fand nur sehr wenige Informationen. In entsprechenden Foren wurde jedoch erschreckend offen dem Rassismus gehuldigt und unverblümt eine weiße Vorherrschaft gefordert, um die minderwertigen Rassen< in die Schranken zu weisen. Doch niemand sprach direkt von der Gruppe Phönix und der ihr untergeordneten Odin Force. Trotzdem gab es diese Organisationen, und ich vermutete, dass diese Leute etwas mit den Morden zu tun hatten. Dieser Frage wollte ich auf den Grund gehen, und so wartete ich in der Bar einige Tage auf das Auftauchen des militärischen anmutenden Mannes. Eine Woche später war es so weit. Der Kerl kam herein und schaute sich suchend um. Ich hatte mir extra paramilitärische Kleidung gekauft und gab mich entsprechend progressiv. Laut schimpfte ich über die Ungerechtigkeit der Welt und die der Gruppen, jeder wisse ja wohl, wen ich damit meine, die das ganze Finanzsystem steuerten und damit Elend über alle rechtschaffenen Leute brächten. Ich dachte schon, ich hätte etwas zu dick aufgetragen - der Wirt schaute mich ganz verwundert an - als der Militärische auf mich zugeschritten kam. Er versuchte mich zu beruhigen, was ich zu Anfang nicht zuließ. Er blieb aber hartnäckig, und schon bald fing er mit seinem Anwerbungsgespräch an. Kurz gesagt, schon am nächsten Tag wurde ich der Ortsgruppe vorgestellt, durchlief am folgenden Wochenende einen Eignungstest, der meine sportliche und moralische Eignung prüfen sollte. Da ich erstaunlich gut abschnitt, wurde ich unter großem Tamtam feierlich aufgenommen und musste einen Treueeid ablegen. So wurde ich Woche um Woche weiter nach oben empfohlen, da meine Eignung für den militärischen Arm der Organisation nicht zu übersehen war. Schließlich wurde ich Mitglied einer mobilen Einheit mit dem heroischen Namen Odin Force. In dieser Gruppe, die mit allen Arten moderner, beweglicher Waffen ausgestattet war, besuchte ich weitere Fortbildungskurse. In abgelegenen Gegenden wurde trainiert, die Wälder im nördlichen Territorium des New York State waren nun mein neues Zuhause. An den abendlichen Lagerfeuern wurde von vergangenen Einsätzen geschwärmt, allerdings nie in Anwesenheit sogenannter Offiziere. Was ich da erfuhr, ließ mir den Atem stocken, obwohl ich das Gerede am Anfang als angeberisches Geschwätz abtat. Doch nach und nach glaubte ich den Geschichten. Natürlich hatte es in meiner Karriere bei der Odin Force kleinere Straftaten seitens meiner >Kameraden
Schon am frühen Morgen waren wir angewiesen worden, das Gelände zu sichern, da hoher Besuch angekündigt war. Wir verteilten uns rund um eine große Lichtung, die ab und zu als Landeplatz für Helikopter genutzt wurde. Ich stand, ganz in schwarz gekleidet, mit einer geladenen M16 in der Armbeuge am Rand des Waldes. Um Punkt neun Uhr hörte ich das Knattern eines nahenden Hubschraubers. Kurz darauf schwebte eine schwarz lackierte Maschine ohne jegliche Kennung heran und landete sanft in der Mitte der Lichtung. Mehrere Männer in dunklen Anzügen verließen den Helikopter. Aus reiner Neugier schaute ich durch mein Fernglas zu den Männern hinüber. Was ich sah, war ein Schock für mich: Ich kannte einige der Männer dort drüben. Gerade wurde der stellvertretende FBI-Direktor Stuart Melanscy vom Lagerkommandanten Rudgar Kruger begrüßt. Direkt daneben standen, breit lächelnd, Staatssekretär Wilson Mac Adams und Senator Samuel Benjamin aus Nevada. Hinter diesen Repräsentanten der Vereinigten Staaten von Amerika hatten sich zwei meiner Kollegen postiert, die ich aus dem Washingtoner Büro kannte: Joe Curtis und Mike Stellino. Ich fragte mich, was diese Männer hier zu suchen hatten. War diese ganze Organisation ein getarntes Projekt des FBI? War ich einer falschen Fährte auf der Spur? Das konnte doch nicht sein.
Nach einer Weile wurde ein gefesselter Mann zu der Gruppe gebracht. Mit angeekeltem Gesichtsausdruck blickte der Senator ihn an. Dann sagte er etwas zu ihm und spuckte verächtlich aus. Das Gesicht des Gefesselten war mit Blutergüssen übersät, was auf eine vorangegangene Folterung hindeutete. Der stellvertretende FBI-Direktor gab dem Agenten Curtis einen kurzen Wink, worauf dieser mit einer lässigen Bewegung seine Dienstwaffe zog und dem Gefangenen ohne Zögern in den Kopf schoss. Der Mann brach sofort zusammen und blieb liegen. Die Gruppe setzte ihr Gespräch fort, als sei nichts geschehen. Nach weiteren fünf Minuten brachten vier Odin-Mitglieder eine offenbar recht schwere Kiste herbei und verluden sie in den Hubschrauber. FBI-Agenten, Staatssekretär und Senator verabschiedeten sich vom Kommandanten und verschwanden einer nach dem anderen in der Maschine. Kurz darauf startete der Hubschrauber und flog dicht über den Baumwipfeln davon.
Zwei Stunden später lag noch immer der Leichnam auf der Lichtung, gut sichtbar für jeden. Vor dem Haupthaus sammelten sich die Männer. Den leise geführten Unterhaltungen entnahm ich, dass es sich bei dem Erschossenen um einen FBI-Agenten handelte. Dieser Mann war für die Entsorgung der Leichen verantwortlich gewesen, die später auf den Müllhalden gefunden worden waren. Ich vermutete, dass der Agent die Toten mit Absicht dort platziert hatte, um die Ermittlungsbehörden aufmerksam zu machen. Ich kannte den Mann nicht, was aber auch nicht verwunderlich war, da über dreißigtausend Mitarbeiter des FBI in den USA tätig sind. Das ich die Insassen des Helikopters identifizieren konnte, war schon ein großer Zufall.
Doch ehe ich weitere Schlussfolgerungen ziehen konnte, fuhren große Lastwagen auf das Haupthaus zu und hielten direkt davor. Wir wurden in Teams eingeteilt und eilten zu fünf bereitstehenden Geländewagen. Kurz darauf startete der Konvoi zu einem mir unbekannten Ziel. Wir mussten nicht weit fahren. Uber holprige Landstraßen gelangten wir nach einer halben Stunde in ein kleines, abgelegenes Tal. Dort befand sich ein alter, nicht mehr in Betrieb befindlicher Flughafen, der im Wesentlichen nur noch aus einer rissigen, mit Unkraut überwucherten Landebahn bestand. Windschiefe, rostige Hangars und ein nur noch in Fragmenten erhaltener Tower bildeten eine morbide Kulisse. Die Lastwagen hielten am Rand der Landebahn, unsere Geländewagen fuhren weiter direkt in die Hangars. Dort wurden wir von bewaffneten Männern empfangen, die uns eilig aus den Fahrzeugen winkten. Gruppenweise wurden wir zur Sicherung des Flugfelds losgeschickt. Im Laufschritt begaben wir uns zu den angewiesenen Positionen. Tiefes Brummen, verbunden mit einem leichten Vibrieren der Luft, kündigte die unmittelbar bevorstehende Landung eines größeren Flugzeugs an. Kurz verdeckte ein Schatten die Sonne, und schon setzte eine graue Hercules C-130 zur Landung an. Die dreißig Meter lange und fünfunddreißig Tonnen schwere Maschine setzte sicher auf und kam nach erstaunlich kurzem Bremsweg zum Stehen.
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