»Na also.« Kobas schien erleichtert. »Nur keine unnötige Aufregung. Dass hier Leute kommen und gehen, wissen wir doch.«
Die Frau stieg, die Handtasche unter dem Arm, aus und öffnete die Hintertür. Kobas richtete sich auf, schüttelte die Decke von seinen Schultern.
Er trug einen dunkelgrauen Regenmantel mit hochgeschlagenem Kragen. Sein Haar war ein bisschen durcheinander. Er schaute auf die Uhr, wartete noch einige Sekunden, nickte und kletterte aus dem Wagen. In der Hand hielt er eine gelbe Plastiktüte. Die beiden schritten los.
Fast geräuschlos öffnete sich die gläserne Doppeltür. Von dort aus waren es nur wenige Schritte bis zum Fahrstuhl. Die Frau fuhr nach oben. Kobas blieb zurück und ging ungeduldig auf und ab. Dabei vermied er es, in den Bereich der Lichtschranke, die die automatische Glastür steuerte, zu geraten.
Regelmäßig warf er einen Blick in die Tiefgarage, wandte sich dann wieder dem Fahrstuhl zu. Der seitlich angebrachte Leuchtknopf zeigte ihm an, dass der Fahrstuhl ununterbrochen in Betrieb war.
Durch ein schmales, hohes Fenster aus Glas konnte Kobas die Ankunft der Fahrstuhlkabine beobachten.
Seine Hand fasste in die Plastiktüte und holte eine Faschingsmaske heraus, die ein lachendes Chinesengesicht darstellte. Mit einer schnellen Drehung wandte er sich ab, setzte sich die Maske auf und versteckte sich, nur wenige Schritte entfernt, in einer schwach beleuchteten Nische.
Die Fahrstuhltür öffnete sich. Kobas drehte sich nicht um. Seine Hand griff wieder in die Plastiktasche, umfasste eine Pistole.
Der Absatz eines Frauenschuhs schlug zweimal gegen die Kabinenwand – das war das Zeichen.
Kobas zog die Hand mit der Pistole aus der Plastiktüte und schritt zum Fahrstuhl, dessen Tür nun offen stand. Die Frau mit Perücke und Sonnenbrille hielt drinnen einen Mann unter Kontrolle. Auch sie hatte eine Pistole, allerdings mit aufgesetztem Schalldämpfer, in der Hand.
»Los, raus!«, befahl Kobas, und seine Stimme klang dumpf unter der Chinesenmaske.
Der Mann trat aus dem Lift. Er war etwa fünfzig, mit dunklem Anzug bekleidet, und er hatte einen braunen Aktenkoffer aus Leder bei sich. Die Frau folgte ihm dicht, die Pistole auf seinen Rücken gerichtet.
Kobas prüfte mit einem Seitenblick, ob sich sonst niemand in der Tiefgarage aufhielt. Da er nichts Unvorhergesehenes entdecken konnte, trieb er den Mann, dessen Gesicht von Angst gezeichnet war, vor sich her.
»Los«, sagte Kobas, als sie beim Wagen angekommen waren. »Dreh dich um!»
Der Mann zögerte. Kobas nahm ihm den Aktenkoffer ab.
»Dreh dich um!«, wiederholte er.
Die Frau steckte die Pistole mit dem Schalldämpfer in die Handtasche, öffnete den Kofferraum und kam mit einer aufgezogenen Spritze in der Hand zurück.
Der Mann sah dies nicht, da er sich bereits umgedreht hatte. Die Nadel bohrte sich in seinen Körper. Er verkrampfte sich, und seine gespreizten Finger versuchten sich, am lackierten Blech des Wagendachs festzuhalten. Nur langsam, ein Stöhnen auf den Lippen, sank er zusammen.
Die beiden packten den leblosen Körper, zerrten ihn hinter den Wagen, hoben ihn mit aller Kraft hoch, rissen an seinen Kleidern und schubsten ihn über den Rand des Kofferraums.
Dann machte sich die Frau daran, die Taschen des Bewusstlosen zu durchsuchen, was durch die Lage seines Körpers nicht ganz einfach war, und fand ein schwarzes Etui. Auch die goldene Armbanduhr nahm sie ihm ab.
Kobas beobachtete unterdessen die Umgebung.
»Hier«, sagte die Frau, übergab ihm die Uhr und das schwarze Etui. Kobas band die Uhr um sein Handgelenk, klappte anschließend das Etui kurz auf. Es enthielt Ausweise. Er steckte es ein und schlug dann heftig den Deckel des Kofferraums zu.
Hastig riss Kobas sich die Chinesenmaske vom Gesicht, warf sie zusammen mit dem Plastikbeutel und der Pistole ins Innere des Wagens.
»Dein Haar«, sagte die Frau. Mit beiden Händen richtete sie seine Frisur, schaute sich dann prüfend sein Gesicht an. »Gut«, nickte sie.
Kobas schlüpfte aus dem Regenmantel, den ihm die Frau abnahm, und ergriff den braunen Aktenkoffer des Mannes. Dann lief er auf die Glastür zu, die ihm den weiteren Weg freigab. Im Fahrstuhl lehnte er sich an die Kabinenwand. Die kurze, aber gelungene Aktion hatte ihn Kraft gekostet.
Der Fahrstuhl stoppte. Kobas verließ die Kabine und durchquerte mit schnellen Schritten eine Empfangshalle, erreichte die Drehtür, die auf die Straße hinaus führte. Draußen stand eine schwarze Limousine.
Kobas näherte sich dem Wagen. Der Fahrer machte sich daran, die Tür zum Fond zu öffnen, legte kurz die Hand an seine Mütze und grüßte auf diese Weise. Kobas stieg, den Aktenkoffer voran, in den Wagen.
Sie fuhren los. Kobas hob den Kopf und warf einen Blick durch die gläserne Trennscheibe. Der Fahrer hatte nichts bemerkt. Die Verkleidung schien perfekt zu sein und funktionierte. Er hielt ihn tatsächlich für Jan van Rooyen!
Kobas betätigte die Gegensprechanlage. »Fahren Sie mich zu Frau Kahn«, verlangte er vom Fahrer.
Dass eine solche Anordnung nicht üblich war, wusste Kobas. Und er wusste auch, dass Jan van Rooyen seinem Fahrer nie eine nähere Erklärung gab. Trotzdem drückte er erneut die Taste der Gegensprechanlage und sagte: »Frau Kahn hat sich heute krank gemeldet, was im Moment sehr schlecht ist.«
Er sah, wie ihm der Fahrer mit Kopfnicken zustimmte.
»Sie brauchen nicht auf mich zu warten«, sprach Kobas weiter.
Der Fahrer nickte wieder. Er kannte den Weg zu Frau Kahns Wohnung, denn Frau Kahn war seit Jahren Jan van Rooyens persönliche Sekretärin. Und da war es schon öfters vorgekommen, dass wichtige Unterlagen bei ihr zuhause abgeholt werden mussten, wenn auch nicht vom Chef persönlich.
Es war heiß im Fond. Kobas wischte sich mit der Hand über die Stirn, griff dann nach einer Zeitung, schlug sie auf und tat, als würde er darin lesen. Erst als der Wagen zum Stillstand kam, legte er sie wieder zur Seite.
Kobas stieg so schnell aus, dass der Fahrer nicht dazu kam, ihm die Tür zu öffnen. Den Aktenkoffer in der Hand, schritt er auf das moderne Haus zu, in dem Frau Kahns Wohnung lag. Ihr Wagen stand direkt davor. Bei der Haustür angekommen, klingelte er. Hinter ihm fuhr der Fahrer mit der Limousine davon. Fast gleichzeitig surrte der elektrische Türöffner.
Im fünften Stock angekommen, öffnete ihm die Frau die Wohnungstür. Ohne ein Wort zu sagen, trat Kobas ein. Auf dem runden Holztisch lag die gelbe Plastiktüte, daneben die schwarze Perücke und die Sonnenbrille. Kobas ging zum Fenster, schaute auf die Straße hinunter.
»Wenn er nur nicht frühzeitig zu sich kommt«, sagte er.
Die Frau lächelte und kam auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen. Ihre Hände berührten sein Gesicht, die Finger fuhren die Rundung seines Kinns ab. »Ist alles gut gelaufen?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete er trocken.
»Hat der Fahrer nichts bemerkt?«, wollte sie weiter wissen.
»Nein, aber vielleicht wäre es besser gewesen, mich nicht von ihm hierher fahren zu lassen.«
»Das musste sein«, antwortete sie ihm. »So was wie ein erster, ungefährlicher Test. Mach dir da also mal keine Sorgen.«
»Van Rooyen muss aus dem Kofferraum, bevor er zu sich kommt«, sagte Kobas.
Sie verließen die Wohnung, stiegen in Frau Kahns Wagen und fuhren los. Kobas hatte die gelbe Plastiktüte, einschließlich der schwarzen Perücke und der Sonnenbrille, mitgenommen.
Frau Kahn saß am Steuer. Der Wagen raste über eine Landstraße, bog dann in einen schmalen Weg ab, holperte später über einen Waldweg und kam vor einem kleinen Holzhaus zum Stillstand. Kobas und die Frau stiegen aus.
»Bringen wir ihn rein«, sagte Kobas.
Bevor sie den Kofferraum öffneten, holte die Frau Perücke, Sonnenbrille, Pistole und Chinesenmaske aus dem Wagen. Die Chinesenmaske übergab sie Kobas, der sie sich gleich aufsetzte. Mit der Perücke und der Sonnenbrille machte sie sich selbst unkenntlich, wozu sie kurz einen kleinen Spiegel zur Hilfe nahm.
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