Sie kamen in ein Bad, wo viele Fremde waren und unter diesen eine wunderschöne Königstochter, welche die Krankheit hatte, daß sie allzuscharf sah, was sehr beunruhigend war.
Sogleich merkte sie, daß der Neuangekommene eine ganz andere Person sei, als alle die Andern. »Man sagt, daß er hier ist, um seinen Bart zum Wachsen zu bringen; aber ich erkenne die rechte Ursache: er kann keinen Schatten werfen!«
Nun war sie neugierig geworden, und daher ließ sie sich auf der Promenade mit dem fremden Herrn sogleich in ein Gespräch ein. Als eine Königstochter brauchte sie nicht erst viel Umstände zu machen, deshalb sagte sie gerade heraus zu ihm: »Ihre Krankheit besteht darin, daß Sie keinen Schatten werfen können.«
»Ihre Königliche Hoheit müssen sehr auf dem Wege der Besserung sein,« sagte der Schatten. »Ich weiß, Ihr Uebel besteht darin, daß Sie allzuscharf sehen; aber das hat sich gegeben; Sie sind wieder hergestellt. Ich habe einen ungewöhnlichen Schatten. Sehen Sie nicht die Person, die stets neben mir geht? Andere Menschen haben einen gewöhnlichen Schatten; aber ich liebe das Gewöhnliche nicht. Man giebt oft seinen Dienern feineres Tuch zur Livree, als man selbst trägt, und so habe ich meinen Schatten sich zu einem Menschen herausputzen lassen; ja, Sie sehen, daß ich ihm sogar einen Schatten gegeben habe. Das kostet sehr viel, aber ich liebe es, etwas Apartes zu haben.«
»Wie,« sagte die Prinzessin »sollte ich mich wirklich erholt haben? Dieses Bad ist das beste, welches es giebt; das Wasser hat in unseren Zeiten ganz wunderbare Kräfte. Aber ich reise noch nicht von hier fort, denn jetzt wird es erst amüsant; der fremde Prinz – denn ein Prinz muß es sein – gefällt mir außerordentlich gut. Wenn nur sein Bart nicht wächst, denn dann reist er wieder ab.«
Am Abende in dem großen Ballsaale tanzten die Königstochter und der Schatten zusammen. Sie war leicht, aber er war noch leichter; einen solchen Tänzer hatte sie noch nie gesehen. Sie sagte ihm, aus welchem Lande sie sei, und er kannte das Land; er war da gewesen, aber damals war sie abwesend; er hatte durch die Fenster des Schlosses gesehen, sowohl von unten, wie von oben: er hatte das Eine und das Andere erfahren, und daher konnte er der Königstochter antworten und Anspielungen machen, über die sie sehr erstaunte. Er mußte der klügste Mann der Erde sein; sie bekam einen großen Respect vor Allem, was er wußte. Und als sie wieder mit ihm tanzte, ward sie verliebt in ihn; und das bemerkte der Schatten sehr, denn sie hätte ihn beinahe mit ihren Augen durch und durch gesehen. Sie tanzten noch einmal, und sie war nahe daran, es ihm zu sagen; aber sie war vernünftig, sie dachte an ihr Land und Reich und an die vielen Menschen, über die sie regieren sollte. »Ein kluger Mann ist er,« sagte sie zu sich selbst, »das ist gut; und ganz vortrefflich tanzt er, das ist auch gut: aber sollte er wohl gründliche Kenntnisse haben? Das ist ebenso wichtig; er muß examinirt werden.« Und nun richtete sie sogleich eine schwierige Frage an ihn, daß sie selbst nicht darauf hätte antworten können; und der Schatten machte ein sonderbares Gesicht.
»Darauf können Sie mir nicht antworten,« sagte die Königstochter.
»Das habe ich schon in meinen Kinderjahren gelernt,« sagte der Schatten; »ich glaube sogar mein Schatten, der dort an der Thüre steht, würde darauf antworten können.«
»Ihr Schatten?« sagte die Königstochter; »das wäre sehr merkwürdig.«
»Ich sage es nicht als bestimmt, daß er es kann,« sagte der Schatten; »aber ich mochte es fast glauben. Er ist mir schon so manches Jahr gefolgt und hat gar Vieles von mir gehört: ich möchte es glauben. Aber Ihro Königliche Hoheit erlauben mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß er so stolz darauf ist, für einen Menschen zu gelten, daß er, wenn er bei guter Laune sein soll – und das muß er sein, um richtig zu antworten – ganz wie ein Mensch behandelt sein will.«
»Das gefällt mir!« sagte die Königstochter.
Und nun ging sie zu dem gelehrten Manne an der Thür; und sprach mit ihm von Sonne und Mond, von den grünen Wäldern und von den Menschen nah und fern, und der gelehrte Mann antwortete sehr klug und sehr gut.
»Was das für ein Mann sein muß, der einen so klugen Schatten hat!« dachte sie. »Es würde ein wahrer Segen für mein Volk und mein Reich sein, wenn ich Den wählte; – ich thue es!«
Und sie wurden bald einig, die Königstochter und der Schatten nämlich; aber Niemand sollte etwas davon wissen, bevor sie in ihr Reich heimgekehrt war.
»Niemand; nicht einmal mein Schatten!« sagte der Schatten, und dazu hatte er seine besonderen Gründe.
Sie kamen nach dem Lande, wo die Königstochter regierte, wenn sie zu Hause war.
»Höre, mein Freund,« sagte der Schatten zu dem gelehrten Manne, »jetzt bin ich so glücklich und mächtig, wie nur Jemand es werden kann; jetzt will ich auch etwas Besonderes für Dich thun. Du sollst bei mir auf dem Schlosse wohnen, mit mir in einem königlichen Wagen fahren und hunderttausend Reichsthaler jährlich haben; aber Du mußt Dich von Allen und Jedem Schatten nennen lassen und darfst es nie sagen, daß Du jemals Mensch gewesen bist; und dann mußt Du jährlich einmal, wenn ich auf dem Altane im Sonnenscheine sitze und mich sehen lasse, zu meinen Füßen liegen, wie es einem Schatten gebührt. Denn ich will Dir sagen, ich heirathe die Königstochter, und heute Abend ist die Hochzeit!«
»Nein, das ist doch zu toll!« sagte der gelehrte Mann. »Das will ich nicht, das thue ich nicht; das heißt, das ganze Land betrügen und die Königstochter dazu! Ich werde Alles sagen: daß ich Mensch bin und Sie Schatten, nur daß Sie Menschenkleider anhaben!«
»Das würde Niemand glauben,« sagte der Schatten; »sei vernünftig, oder ich lasse die Wache rufen!«
»Ich gehe geradeswegs zur Königstochter!« sagte der gelehrte Mann.
»Aber ich gehe zuerst,« sagte der Schatten, »und Du gehst ins Gefängniß!« Und das geschah, denn die Schildwachen gehorchten Dem, von dem sie wußten, daß die Königstochter ihn heirathen wollte. –
»Du zitterst?« sagte die Königstochter, als der Schatten bei ihr eintrat. »Ist etwas vorgefallen? Du darfst heute nicht krank werden, jetzt, da wir unsere Hochzeit feiern wollen!«
»Ich habe das Fürchterlichste erlebt, was man erleben kann!« sagte der Schatten. »Denke Dir – ja, so ein armes Schattengehirn kann nicht viel vertragen! – Denke Dir, mein Schatten ist verrückt geworden; er bildet sich ein, daß er Mensch geworden ist und daß – denke Dir nur! daß ich sein Schatten bin!«
»Dies ist ja schrecklich!« sagte die Prinzessin. »Er ist doch eingesperrt?«
»Das versteht sich; ich fürchte, daß er sich nie wieder erholen wird.«
»Der arme Schatten!« rief die Prinzessin. »Er ist sehr unglücklich; es wäre eine wahre Wohlthat, ihn von seinem Leben zu befreien, und wenn ich recht darüber nachdenke, wie in unserer Zeit das Volk nur allzu bereit ist, die Partie des Geringern gegen die Höheren zu nehmen, da scheint es mir nöthig zu sein, daß man ihn in aller Stille bei Seite schaffe.«
»Das ist allerdings hart, denn er war ein treuer Diener,« sagte der Schatten, und er that, als wenn er seufzte.
»Du bist ein edler Charakter!« sagte die Königstochter und verneigte sich vor ihm.
Am Abend war die ganze Stadt illuminirt und Kanonen wurden abgefeuert: Bum! – Und die Soldaten präsentirten die Gewehre. Das war eine Hochzeit! Die Königstochter und der Schatten traten auf den Altan hinaus, um sich sehen zu lassen und noch einmal ein Hurrah zu bekommen.
Der gelehrte Mann hörte nichts von all diesen Herrlichkeiten – denn er war schon hingerichtet.
Der Freundschaftsbund.
So eben haben wir eine kleine Reise gemacht und schon verlangt uns nach einer größern. Wohin? Nach Sparta, nach Mycene, nach Delphi! Es giebt hundert Orte, bei deren Namen das Herz von Reiselust pocht. Es geht zu Pferde die Bergpfade hinauf, durch Gestrüpp und Gesträuch; der einzelne Reisende erscheint wie eine ganze Karawane. Selbst reitet er mit seinem Agojat voraus, ein Packpferd trägt Koffer, Zelt und Proviant, ein paar Gensdarmen folgen zu seinem Schutze nach. Kein Wirthshaus mit weichen Betten erwartet ihn nach der ermüdenden Tagesreise, das Zelt ist oft sein Dach in der großen, wilden Natur, der Agojat kocht einen Pilau [18]zum Abendessen; tausend Mücken umschwärmen das kleine Zelt, es ist eine klägliche Nacht und morgen führt der Weg über stark angeschwollene Flüsse; sitze fest auf Deinem Pferde, daß Du nicht fortgespült wirst!
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