Eines Abends saß der Fremde auf seinem Altan; in der Stube dicht hinter ihm brannte ein Licht, und so war es natürlich, daß sein Schatten auf die Wand des gegenüberstehenden Hauses fiel; ja, da saß er zwischen den Blumen auf dem Altan; und wenn der Fremde sich bewegte, so bewegte sich auch der Schatten. –
»Ich glaube, daß mein Schatten das einzige Lebendige ist, was man drüben sieht,« sagte der gelehrte Mann. »Sieh, wie hübsch er dort zwischen den Blumen sitzt; die Thür steht nur angelehnt; nur sollte der Schatten so gescheidt sein und hineingehen, sich drinnen umsehen, dann zurückkommen und mir erzählen, was er da gesehen. »Ja, Du würdest Dich dadurch nützlich machen,« sagte er wie im Scherz. »Sei so gut und tritt hinein! Nun, wirst Du gehen?« Und dann nickte er dem Schatten zu und der Schatten nickte wieder. »Nun, geh nur, aber bleibe nicht ganz weg!« Und der Fremde erhob sich, und der Schatten auf dem Altane gegenüber erhob sich auch; der Fremde kehrte sich um; ja, wenn Jemand genau darauf Acht gegeben hätte, so würde er gesehen haben, wie der Schatten gerades Weges durch die halbgeöffnete Altanthür des gegenüberliegenden Hauses in demselben Augenblicke hineinging, wo der Fremde in seine Stube zurückging, und den langen Vorhang herabfallen ließ.
Am nächsten Morgen ging der gelehrte Mann aus, um Kaffee zu trinken und Zeitungen zu lesen. »Was ist das!« sagte er, als er in den Sonnenschein kam. »Ich habe ja keinen Schatten mehr! So ist er also wirklich gestern Abend fortgegangen und nicht zurückgekommen; das ist ja recht verdrießlich!«
Das ärgerte ihn; aber nicht so sehr deswegen, weil der Schatten fort war, sondern weil er wußte, daß es eine Geschichte gebe von einem Manne ohne Schatten; – alle Leute zu Hause kannten ja diese Geschichte; und kam nun der gelehrte Mann nach Hause und erzählte seine eigene Geschichte, so würden sie sagen, daß es nur eine Nachäffung von ihm sei; und das hatte er nicht nöthig, von sich sagen zu lassen. Er wollte daher nicht davon sprechen, und das war vernünftig von ihm gedacht. Am Abende ging er wieder auf seinen Altan hinaus; das Licht hatte er zwar hinter sich gesetzt, denn er wußte, daß der Schatten stets seinen Herrn zum Schirme haben will; aber er konnte ihn nicht herauslocken. Er machte sich klein, er machte sich lang; aber da war kein Schatten, da kam kein Schatten. Er sagte: »Hm, Hm!« aber das half nichts.
Das war ärgerlich; doch in den warmen Ländern wächst Alles so geschwind, und nach Verlauf von acht Tagen merkte er zu seiner großen Freude, daß ihm ein neuer Schatten aus den Beinen herauswuchs, wenn er in den Sonnenschein kam: die Wurzel mußte also geblieben sein. Nach drei Wochen hatte er einen leidlichen Schatten, der, als er sich auf die Rückreise nach den nördlichen Ländern begab, immer mehr und mehr wuchs, sodaß er zuletzt so lang und so groß war, daß er gut die Hälfte hätte abgeben können.
Als der gelehrte Mann nach Hause kam, schrieb er Bücher über das, was es Wahres in der Welt, und was es Gutes darin giebt, und was da Hübsches ist, und es vergingen Tage, und es vergingen Jahre – es vergingen viele Jahre.
Da sitzt er eines Abends in seiner Stube, und leise klopfte es an seine Thür. »Herein!« sagte er; aber Niemand kam; da öffnete er die Thür; da stand ein so außerordentlich magerer Mensch vor ihm, daß ihm wunderlich zu Muthe wurde. Uebrigens war der Mensch äußerst fein angezogen: es mußte ein vornehmer Mann sein.
»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?« fragte er.
»Ja, das dachte ich mir wohl,« sagte der seine Mann, »daß Sie mich nicht kennen würden: ich bin so viel Körper geworden, daß ich Fleisch und Kleider bekommen habe. Sie haben wohl nie daran gedacht, mich in solchem Zustande zu sehen? Kennen Sie ihren alten Schatten nicht? Ja, sie haben gewiß nicht geglaubt, daß ich doch wiederkommen würde. Mir ist es außerordentlich gut gegangen, seit ich zuletzt bei Ihnen war, ich bin in jeder Hinsicht sehr vermögend geworden; will ich mich vom Dienste freikaufen, so kann ich das.« Er klapperte mit einer Menge kostbarer Berlocken, die an seiner Uhr hingen, und steckte seine Hand durch die dicke goldene Kette, die er um den Hals trug; und wie blitzten an allen seinen Fingern Diamantringe! Und Alles war echt! –
»Nein, ich kann nicht zu mir selbst kommen!« sagte der gelehrte Mann. »Was bedeutet alles Dieses?«
»Ja, etwas Gewöhnliches nicht!« sagte der Schatten. »Aber Sie gehören ja auch selbst nicht zu den Gewöhnlichen, und ich bin, das wissen Sie wohl, von Kindesbeinen an in Ihre Fußtapfen getreten. Sobald Sie fanden, daß ich reif genug sei, um allein in der Welt fortzukommen, ging ich meinen eigenen Weg; ich bin in den brillantesten Verhältnissen. Aber mich überkam eine Art Sehnsucht, Sie noch einmal zu sehen, ehe Sie sterben; ich wollte diese Gegenden wiedersehen, man hängt doch stets an seinem Vaterlande. Ich weiß, daß sie einen andern Schatten bekommen haben; habe ich etwas an den oder an Sie zu bezahlen? Haben Sie nur die Güte, es zu sagen.«
»Nein, bist Du es wirklich?« sagte der gelehrte Mann. »Das ist ja merkwürdig! Ich hätte nie geglaubt, daß man seinen alten Schatten jemals als Menschen wiedersehen könnte!«
»Sagen Sie mir nur, was ich zu bezahlen habe,« sagte der Schatten, »denn ich möchte nicht gerne in Jemandes Schuld stehen.«
»Wie kannst Du so sprechen?« sagte der gelehrte Mann. »Von welcher Schuld kann hier die Rede sein? Du bist so frei wie Einer! Ich freue mich außerordentlich über Dein Glück! Setze Dich nieder, alter Freund, und erzähle mir doch ein Wenig, wie das zugegangen ist und was Du dort in den warmen Ländern, in dem uns gegenüberliegenden Hause sahst!«
»Ja, das will ich Ihnen erzählen,« sagte der Schatten und setzte sich; »aber dann müssen Sie mir versprechen, daß Sie niemals zu irgend Jemand hier in der Stadt, wo Sie mich auch antreffen sollten, es sagen wollen, daß ich Ihr Schatten gewesen bin! Ich beabsichtige, mich zu verloben; ich kann mehr als eine Familie ernähren.«
»Sei unbesorgt,« sagte der gelehrte Mann; »ich werde Niemandem sagen, wer Du eigentlich bist. Hier ist meine Hand, ich verspreche es Dir, und ein Mann, ein Wort!«
»Ein Wort, ein Schatten!« sagte der Schatten; denn so mußte der ja sprechen.
Es war aber übrigens äußerst merkwürdig, wie sehr er Mensch geworden. Er war schwarz gekleidet und trug das feinste, schwarze Tuch, lackirte Stiefel und einen Hut, den man zusammendrücken konnte, sodaß er nichts als Deckel und Krempe war, nicht zu sprechen von dem, was wir bereits wissen: den Berlocken, der goldenen Halskette und den Diamantringen. Ja, der Schatten war außerordentlich gut gekleidet, und dies war es gerade, was ihn zu einem ganzen Menschen machte. »Nun will ich erzählen,« sagte der Schatten; und dann setzte er seine Füße mit den lackirten Stiefeln so fest er nur konnte, auf den Arm von dem neuen Schatten des gelehrten Mannes nieder, der wie ein Pudelhund zu seinen Füßen lag. Das geschah nun entweder aus Hochmuth, oder vielleicht auch, damit der neue Schatten daran kleben bleiben sollte. Aber der liegende Schatten verhielt sich still und ruhig, um recht zuhören zu können; er wollte auch wissen, wie man so los kommen und sich zu seinem eigenen Herrn hinauf dienen könne.
»Wissen Sie wer in dem Hause uns gegenüber wohnte?« sagte der Schatten. »Das war das Herrlichste von Allem! es war die Poesie! Ich war drei Wochen da, und das wirkt ebenso sehr, als wenn man dreitausend Jahre »lebte und Alles lesen konnte, was gedichtet und geschrieben ist. Denn das sage ich, und es ist wahr: Ich habe Alles gesehen und ich weiß Alles!«
»Die Poesie!« rief der gelehrte Mann. »Ja, sie lebt oft als Einsiedlerin in den großen Städten. Die Poesie! Ja, ich habe sie einen einzigen, kurzen Augenblick gesehen, aber der Schlaf steckte mir in den Augen: sie stand auf dem Altan und leuchtete, wie das Nordlicht leuchtet: Blumen mit lebenden Flammen. Erzähle, erzähle! Du warst auf dem Altan. Du gingst durch die Thür und dann – – –«
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