»Es setzt was für das Ferkel!« sagte Christinchen.
»Komm wir gehen nach unserm Hause!« sagte Ib, »das ist hier im Walde!« und sie gingen weiter; sie geriethen auf einen Fahrweg, aber nach Hause führte der Weg nicht und es wurde finster und sie fürchteten sich. Die wunderbare Stille, welche ringsum herrschte, wurde durch garstiges Schreien der großen Horneule oder anderer Vögel unterbrochen; endlich verliefen sie sich Beide in ein Gebüsch; Christinchen weinte und Ib weinte, und als sie sodann eine Weile geweint hatten, streckten sie sich in das dürre Laub und schliefen ein.
Die Sonne stand hoch am Himmel als die beiden Kinder erwachten, es fror sie, aber in der Nähe von ihrer Lagerstätte, auf dem Hügel, strahlte die Sonne durch die Bäume, dort wollten sie sich wieder erwärmen, und von dort aus, meinte Ib, würden sie das Haus seiner Eltern sehen können; aber sie waren weit von dem Hause entfernt, in einem ganz andern Theile des Waldes. Sie kletterten diese Anhöhe hinan und befanden sich an einem Abhange, einem klaren durchsichtigen See gegenüber; die Fische standen darin in großen Schaaren an dem Wasserspiegel, von den Sonnenstrahlen beleuchtet; was sie hier Alles erblickten, kam ihnen ebenso unerwartet als plötzlich; aber dicht neben ihnen prangte ein Haselnußstrauch voll der schönsten Nüsse, und nun pflückten sie die Nüsse ab, knackten sie auf und aßen die feinen jungen Kerne, die sich erst kürzlich gebildet hatten – aber es war ihnen doch noch eine Ueberraschung, ein Schrecken vorbehalten. Aus dem Gebüsche trat eine große, alte Frau hervor, deren Haar tief schwarz und glänzend war; das Weiße in ihren Augen leuchtete wie bei Mohren; auf dem Rücken trug sie ein Bündel, in der Hand einen Knotenstock; sie war eine Zigeunerin. Die Kinder verstanden nicht gleich, was sie sagte; sie zog drei große Nüsse aus der Tasche hervor; drinnen in diesen, erzählte sie, lägen die schönsten, herrlichsten Dinge, es seien Wünschelnüsse.
Ib blickte sie an, sie sprach so freundlich, daß er sich zusammen nahm und sie fragte, ob sie ihm die Nüsse schenken wollte, und die Frau gab sie ihm und pflückte sich vom Haselnußstrauche andere, eine Tasche voll.
Ib und Christinchen blickten die drei Wünschelnüsse mit großen Augen an.
»Ist wohl in dieser Nuß ein Wagen mit zwei Pferden?« fragte Ib.
»Ib, da drinnen ist eine goldene Carosse mit goldenen Pferden!« sagte die Frau.
»Dann gieb mir die Nuß;« sagte Christinchen, und Ib gab sie ihr, die fremde Frau knüpfte die Nuß in ihr Halstuch ein.
»Ist wohl in dieser Nuß hier so ein kleines hübsches Tuch wie Christinchen da um den Hals hat?« fragte Ib.
»Es sind zehn Halstücher darin!« sagte die Frau, »es sind feine Kleider, Strümpfe, Hut und Schleier drin.«
»Dann will ich auch die haben!« sagte Christinchen, und Ib gab ihr auch die zweite Nuß; die dritte war ein kleines schwarzes Ding.
»Die mußt Du behalten,« sagte Christinchen, »und die ist auch schön.
»Und was ist denn darin?«
»Das Allerbeste für Dich!« antwortete die Zigeunerin.
Und Ib hielt die Nuß recht fest. – Die Frau versprach, sie wolle die Kinder auf den richtigen Weg führen, damit sie sich nach Hause finden könnten, und nun ging es weiter, freilich in einer ganz andern Richtung als sie hätten gehen müssen, aber deshalb darf man noch lange nicht der alten Frau nachsagen, daß sie die Kinder stehlen wollte.
Auf dem wilden Waldpfade begegneten sie dem Waldvoigt, derselbe kannte Ib, und durch seine Hilfe kamen denn auch Ib und Christinchen nach Hause; wo man sich ihretwegen sehr geängstigt hatte; es wurde ihnen verziehen und vergeben, obgleich sie allerdings Beide in der That verdient hätten, daß »es was gesetzt hätte« erstens weil sie das Ferkel ins Wasser hatten fallen lassen, und zweitens weil sie davongelaufen waren.
Christinchen brachte man zu ihrem Vater auf der Haide und Ib blieb in dem Bauernhäuschen am Saume des Waldes und des großen Landrückens. Das Erste, was er nun Abends that, war, die kleine schwarze Nuß aus seiner Tasche hervorzuholen, welche das »Allerbeste« in sich schließen sollte; – er legte sie vorsichtig zwischen Thür und Thürangel nieder, klemmte darauf die Thüre zu, und die Nuß knackte richtig auf, aber Kern war nicht viel darin zu sehen: sie war wie mit Schnupftabak oder schwarzer, fetter Erde gefüllt; sie war taub oder wurmstichig wie man sagt.
»Ja, das dachte ich mir gleich!« sagte Ib, »wie sollte auch in der kleinen Nuß Platz sein für das Allerbeste! Christinchen wird eben so wenig herauskriegen aus ihren zwei Nüssen, weder feine Kleider, noch eine goldene Karosse!«
Der Winter kam heran, und das neue Jahr trat ein; ja es verstrichen mehrere Jahre.
Ib sollte endlich confirmirt und eingesegnet werden, und ging deshalb einen Winter zu dem Pfarrer weit im Dorfe drüben, um zu lernen. Um diese Zeit besuchte der Bootsmann eines Tages die Eltern Ib's und erzählte, daß Christinchen nun in Dienst zöge und daß es ein wahres Glück für sie sei, in solche Hände zu fallen und einen solchen Dienst bei solch' braven Leuten zu bekommen: denkt einmal! sie zieht zu den reichen Wirthsleuten in Herning-Krug, weit gen Westen, viele Meilen von Ib entfernt; dort soll sie der Krügerin zur Hand gehen und in der Wirtschaft beistehen, und später, wenn sie sich wohl anläßt und dort confirmirt und eingesegnet ist, wollen die Leute sie behalten als ihre Tochter.
Und Ib und Christinchen nahmen Abschied von einander. »Die Brautleute« nannte man sie, und sie zeigte ihm beim Abschiede, daß sie noch die zwei Nüsse habe, die er ihr damals bei ihrer Irrfahrt im Walde gegeben, und sie sagte ferner, daß sie in ihrer Truhe die kleinen hölzernen Schuhe aufbewahre, die er als Knabe geschnitzelt und ihr geschenkt habe. Darauf trennten sie sich.
Ib wurde eingesegnet; aber er blieb im Hause seiner Mutter, er war ein flinker Holzschuhmacher geworden; im Sommer bestellte er das Feld, seine Mutter hielt keinen Knecht mehr dazu, er that es allein, denn sein Vater war längst gestorben.
Nur selten, und alsdann höchstens durch einen Postillon oder einen Aalbauern erfuhr man etwas über Christinchen. Es erging ihr jedoch wohl bei den reichen Krügersleuten, und als sie eingesegnet war, schrieb sie einen Brief an ihren Vater und darin auch einen Gruß an Ib und dessen Mutter; im Briefe stand geschrieben von sechs neuen Hemden und einem schönen Kleide, welches Alles Christinchen von ihrer Herrschaft zum Geschenke erhalten habe. Das waren freilich gute Nachrichten.
Im nächsten Frühjahr klopfte es eines Tages an die Thüre der alten Mutter unseres Ib, und siehe da, der Kahnführer und Christinchen traten ein; sie war auf einen Tag zum Besuch angekommen, ein Wagen war vom Herning-Kruge nach dem nächsten Kirchdorfe abgeschickt, und die Gelegenheit hatte sie benutzt, um einmal wieder die Ihrigen zu sehen. Schön war sie wie ein feines Fräulein, und hübsche Kleider hatte sie an, die gut gearbeitet und zwar eigens für sie gemacht waren. Sie stand da im vollen Putze, und Ib war in seinen Alltagskleidern. Er konnte kein Wort hervorbringen; zwar ergriff er ihre Hand und hielt dieselbe fest in der seinigen und war recht innig erfreut, aber den Mund konnte er nicht in Gang bringen; das konnte aber Christinchen, sie sprach und erzählte immer fort, und küßte auch Ib ohne Weiteres gerade auf den Mund.
»Kanntest Du mich gleich wieder, Ib?« sagte sie; aber selbst als sie später unter vier Augen waren, und er noch immer dastand und ihre Hand in der seinigen hielt, vermochte er nur zu sagen: »Du bist ganz wie eine feine Dame geworden, und ich sehe so zottig aus! Wie habe ich an Dich, Christinchen, und an die alten Zeiten gedacht!«
Und Arm in Arm wanderten sie den großen Landrücken hinan und schauten über den Strom hinaus nach der Haide hinüber, nach den großen mit Ginster überwucherten Hügeln; aber Ib sagte nichts; doch als sie sich trennten, war es ihm klar geworden, daß Christinchen seine Frau werden müsse, hatte man sie doch von Kindesbeinen an die Brautleute genannt; sie seien, so schien es ihm, ein verlobtes Paar, wenn auch Keiner von Ihnen es jemals ausgesprochen hatte.
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