Und die kleine Seejungfer erhob ihre verklärten Augen gegen Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Thränen in ihren Augen, – Auf dem Schiffe war wieder Lärm und Leben; sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen; wehmüthig starrten sie den perlenden Schaum an, als ob sie wüßten, daß sie sich in die Fluthen gestürzt habe. Unsichtbar küßte sie die Stirn der Braut, fächelte den Prinzen an und stieg mit den übrigen Kindern der Luft auf die rosenrothe Wolke hinauf, welche den Aether durchschiffte.
»Nach dreihundert Jahren schweben wir so in das Reich Gottes hinein!«
»Auch können wir noch früher dahin gelangen!« flüsterte eine Tochter der Luft. »Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen hinein, wo Kinder sind, und für jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, welches seinen Eltern Freude bereitet und deren Liebe verdient, verkürzt Gott unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir durch die Stube stiegen, und müssen wir aus Freude über dasselbe lächeln, so wird ein Jahr von den dreihundert Jahren abgerechnet; sehen wir aber ein unartiges und böses Kind, so müssen wir Thränen der Trauer vergießen, und jede Thräne legt unserer Prüfungszeit einen Tag zu!«
Ib und Christinchen.
In der Nähe von dem klaren Strome Gudenau in Nordjütland, im Walde, welcher sich an dessen Ufern hin und weit in das Land hinein erstreckt, erhebt sich ein großer Landrücken und zieht sich, einem Walle gleich, durch den Wald, An diesem liegt westwärts ein Bauernhaus, umgeben von magerem Ackerlande; der Sandboden schimmert durch die spärlichen Roggen- und Gerstenhalme, die hier wachsen. – Es sind einige Jahre her; die Leute, die hier wohnten, bebauten das Feld, hatten außerdem drei Schafe, ein Schwein und zwei Ochsen; kurz, sie nährten sich ganz gut, hatten zu leben, wenn man das Leben nimmt wie es kommt, ja, sie hätten es wohl gar dahin bringen können, zwei Pferde zu halten, aber sie sagten wie die andern Bauern der Gegend: »das Pferd frißt sich selber!« – es zehrt so viel wie es nährt. Jeppe-Jäns bestellte sein Feld im Sommer; im Winter machte er Holzschuhe, und alsdann hatte er auch einen Gehilfen, einen Burschen, der, wie er, es verstand die hölzernen Schuhe stark aber leicht und »mit Façon« zu machen; sie schnitzelten Schuhe und Löffel, und das brachte Geld, man würde Jeppe-Jansens Unrecht gethan haben, hätte man sie arme Leute genannt.
Der kleine Ib, der siebenjährige Knabe, das einzige Kind im Hause, saß dabei und sah den Arbeitern zu, schnitzelte an einem Stocke, und schnitt sich wohl auch zuweilen in den Finger; aber eines Tages hatte es Ib mit zwei Stückchen Holz so weit gebracht, daß sie wie kleine Holzschuhe aussahen, und diese wollte er Christinchen schenken; und wer war Christinchen? Sie war des Kahnführers Töchterlein, fein und zart, wie ein herrschaftliches Kind; hätte sie Kleider darnach gehabt, es würde Niemand geglaubt haben sie sei aus der Hütte von der nahen Haide. – Dort wohnte ihr Vater, welcher Witwer war und sich davon nährte, daß er auf seinem großen Boote Brennholz aus dem Walde nach dem nahen Gute Silkeborg mit seinem großartigen Aalfange und Aalwehr, zuweilen auch gar bis nach dem entfernten Städtchen Randers fuhr. Er hatte Niemand, der Christinchen hätte unter seine Obhut nehmen können; deshalb war denn auch das Mädchen fast immer bei ihm im Boote oder im Walde zwischen Haidekraut und Heidelbeergesträuch; mußte er einmal ganz nach dem Städtchen hinauf, nun so brachte er Christinchen, das ein Jahr jünger als Ib war, über die Haide zu Jeppe-Jänsens hinüber.
Ib und Christinchen vertrugen sich in allen Stücken, sie theilten sich in Brot und Beeren, wenn sie hungrig waren, sie wühlten gemeinschaftlich in der Erde, sie liefen und krochen spielend überall umher; und eines Tages wagten sie sich gar, Beide ganz allein, auf den großen Landrücken hinauf und eine weite Strecke in den Wald hinein; einmal fanden sie dort einige Schnepfeneier, und das war ein großes Ereigniß.
Ib war noch nie auf der Haide gewesen, wo Christinchens Vater wohnte und auch nicht auf dem Strome gefahren; aber endlich einmal sollte das auch geschehen; Christinchens Vater hatte ihn dazu eingeladen und am Abende vorher folgte er diesem über die Haide nach dessen Hause.
Am nächsten frühen Morgen saßen die beiden Kinder hoch auf dem im Boote aufgeschichteten Brennholze und aßen Brot und Heidelbeeren. Christinchens Vater und sein Gehilfe trieben das Boot durch Stangen vorwärts, sie hatten die Strömung mit sich, und in schneller Fahrt ging es den Strom entlang, durch die Seen, welche derselbe bildet, und die oft durch Wald, Schilf und Röhricht wie verschlossen erschienen, aber doch immer die Durchfahrt gestatteten, wenn auch die alten Bäume sich über die Gewässer neigten, und die Eichen ihre abgeschälten Zweige hervorstreckten, als wenn sie die Hemdärmel abgestreift hätten und ihre knorrigen, nackten Arme zeigen wollten; alte Erlen, welche der Strom vom Ufer losgeschwemmt, klammerten sich mit ihren Wurzeln fest am Uferboden an und sahen aus, als wären sie kleine Waldinseln; die Wasserlilien wiegten sich auf dem Strome; es war eine herrliche Fahrt! – und endlich gelangte man bis an das große Aalwehr, wo das Wasser durch die Schleusen brauste; – das war zu schön, meinten Ib und Christinchen.
Damals war dort keine Fabrik und auch kein Städtchen; nur das alte große Gehöft mit seinem kärglichen Ackerbetrieb mit wenigen Leuten und wenigem Vieh war dort zu sehen, und das Gebrause des Wassers durch die Schleuse, das Schreien der wilden Enten war das ganze rege Leben Silkeborgs. – Nachdem das Brennholz ausgeladen war, kaufte der Vater Christinchens sich ein Bündel Aale und ein geschlachtetes Ferkel, welches Alles in einen Korb gethan und hinten in das Boot gestellt wurde. Darauf ging es stromaufwärts wieder zurück, aber der Wind war günstig und da man die Segel aufzog, war es so gut als hätte man zwei Pferde vorgespannt.
Als man sich auf dem Strome ungefähr dem Orte gegenüber befand, wo der Gehilfe des Kahnführers landeinwärts nur eine kurze Strecke vom Ufer entfernt wohnte, wurde das Boot vertäuet und die beiden Männer gingen ans Land, nachdem sie zuvor den Kindern eingeschärft hatten, sich ruhig zu verhalten. Aber das thaten die Kinder nicht, wenigstens nur sehr kurze Zeit, mußten sie doch m den Korb hinein gucken, m welchem die Aale und das Ferkel lagen; das Ferkel mußten sie haben, in der Hand halten, befühlen, betasten, und da sie dies zu gleicher Zeit thun wollten, so geschah es, daß sie es ins Wasser fallen ließen, dort trieb nun das Ferkel mit der Strömung davon, und das war eine entsetzliche Begebenheit.
Ib sprang ans Land und lief vom Boote eine kleine Strecke fort, und Christinchen sprang ihm nach; »nimm mich mit Dir!« rief sie, und in wenigen Augenblicken befanden sie sich tief im Gebüsch, sie sahen nichts mehr, weder das Boot, noch den Strand; sie liefen noch eine kleine Strecke weiter, dann fiel Christinchen zu Boden und weinte; Ib hob sie aber wieder auf.
»Folge mir!« sagte er. »Drüben liegt das Haus!« – Aber das Haus lag nicht drüben. Sie wanderten immer weiter, über das dürre, raschelnde, vorjährige Laub, über herabgefallene Baumzweige, und es knackte unter ihren kleinen Füßen; bald darauf hörten sie ein lautes durchdringendes Rufen, – sie blieben lauschend stehen, darauf schrillte der Schrei eines Adlers durch den Wald, es war ein garstiger Schrei und sie erschraken dabei, aber vor ihnen, drinnen im Walde, wuchsen die schönsten Blaubeeren in unglaublicher Menge; das war zu einladend als daß sie nicht hätten bleiben sollen, sie blieben auch und aßen von den Beeren und bekamen einen blauen Mund und blaue Wangen. Aber nun hörten sie von Neuem das frühere Rufen.
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