»– Eins sollst Du noch wissen, Eins, was bis zu dieser Stunde nur ich und Gott gewußt! Meine ganze Seele ist Liebe! Eine Liebe stärker als die zu meiner Mutter und zu Dir – –!«
»Und wen liebst Du?« fragte Aphtanides , und sein Gesicht und Hals wurden roth.
»Ich liebe Anastasia !« sagte ich – und seine Hand zitterte in meiner, er wurde blaß wie eine Leiche; ich sah es, ich begriff es und ich glaubte, daß auch meine Hand bebte, ich neigte mich zu ihm, küßte seine Stirn und flüsterte: »Ich habe es ihr nie gesagt, sie liebt mich vielleicht nicht! – Bruder denke daran, ich sah sie täglich; sie ist an meiner Seite aufgewachsen, Eins mit meiner Seele!« –
»Und Dein soll sie sein!« sagte er, »Dein! – ich darf Dich nicht belügen und will es auch nicht. Auch ich liebe sie! – Aber morgen ziehe ich fort! in einem Jahre sehen wir uns wieder, dann seid Ihr verheirathet, nicht? – Ich besitze einiges Gold, es sei Dein, Du mußt, Du sollst es nehmen!« Still wandelten wir über die Felsen; es war später Abend, als wir an meiner Mutter Hütte standen.
Anastasia hielt uns die Lampe entgegen, als wir hereintraten, meine Mutter war nicht dort. Sie blickte wunderbar wehmüthig auf Aphtanides .
»Morgen gehst Du von uns!« sagte sie, »wie mich das betrübt!« –
»Dich betrübt!« sagte er, und mir schien ein Schmerz darin zu liegen, groß wie mein eigener. Ich konnte nicht reden, er aber faßte ihre Hand und sagte: »Unser Bruder dort liebt Dich, er ist Dir theuer! Sein Schweigen beweist eben seine Liebe.« –
Anastasia zitterte und brach in Thränen aus; da sah ich nur sie, dachte nur ihrer, schlang meinen Arm um ihren Leib und sagte: »Ja, ich liebe Dich!« Sie drückte ihren Mund auf meinen, legte ihre Hände um meinen Hals; aber die Lampe war auf den Fußboden gefallen, es war dunkel um uns her, wie in dem Herzen des armen Aphtanides .
Vor Tagesanbruch stand er auf, küßte uns Alle zum Abschied und zog fort. Meiner Mutter hatte er sein Geld für uns gegeben. Anastasia war meine Braut und nach wenigen Tagen meine Gattin!
Das alte Haus.
Dort unten in der Straße stand ein altes, altes Haus. Es war fast dreihundert Jahre alt; so stand es auf dem Balken zu lesen, auf welchem in und mit Tulpen und Hopfenranken die Jahreszahl angebracht war. Da las man ganze Verse, in der Schreibart der alten Zeit, und über jedem Fenster war ein Gesicht in dem Balken ausgeschnitzt, das allerlei Grimassen machte. Die eine Etage ragte ein ganzes Stück über der andern hervor, und dicht unter dem Dach war eine bleierne Rinne mit einem Drachenkopf. Das Regenwasser sollte aus dem Rachen herauslaufen, es lief aber aus dem Bauche, denn die Rinne hatte ein Loch.
Alle andern Häuser in der Straße waren noch neu und hübsch, mit großen Fensterscheiben und glatten Wänden. Man sah es ihnen deutlich an, daß sie nichts mit dem alten Hause zu thun haben wollten. Sie mochten wohl denken: »Wie lange soll das Gerumpel noch zum allgemeinen Skandal in der Straße stehen? Das Gesimse steht so weit vor, daß Niemand aus unsern Fenstern sehen kann, was auf jener Seite dort vorgeht! Die Treppe ist so breit, wie eine Schloßtreppe, und so hoch, als führe sie auf einen Kirchthurm. Das eiserne Geländer sieht ja aus, wie die Thür zu einem Erbbegräbnisse, und messingene Knöpfe sind darauf – es ist wirklich zu albern!«
Gegenüber standen auch neue und nette Häuser, und die dachten wie die andern; aber am Fenster saß hier ein kleiner Knabe mit frischen, rothen Wangen; mit klaren, strahlenden Augen, und dem gefiel das alte Haus besonders gut und zwar sowohl im Sonnen- wie im Mondscheine. Und wenn er nach der Mauer hinüberblickte, wo der Kalk abgefallen war: dann konnte er die wunderbarsten Bilder herausfinden, gerade wie die Straße früher ausgesehen hatte, mit Freitreppen, Gesimsen und spitzen Giebeln; er konnte Soldaten sehen mit Hellebarden, und Dachrinnen, die wie Drachen und Lindwürmer umher liefen. – Das war so recht ein Haus zum Anschauen, und da drüben wohnte ein alter Mann, der in ledernen Kniehosen ging und einen Rock mit großen Messingknöpfen und eine Perücke trug, der man es ansah, daß sie eine wirkliche Perücke war. Jeden Morgen kam ein alter Mann zu ihm, der bei ihm rein machte und Gänge für ihn besorgte. Uebrigens war der Alte in den Kniehosen ganz allein in dem alten Hause. Zuweilen kam er an die Fensterscheiben und sah hinaus, und der kleine Knabe nickte ihm zu, und der alte Mann nickte wieder und so wurden sie bekannt, und so wurden sie Freunde, obgleich sie niemals mit einander gesprochen hatten. Aber das war ja auch gar nicht nöthig.
Der kleine Knabe hörte seine Eltern sagen: »Der alte Mann da drüben hat es sehr gut; aber er ist allein!«
Am nächsten Sonntage wickelte der kleine Knabe Etwas in ein Stück Papier, ging damit vor die Hausthür und sagte zu Dem, welcher die Gänge für den Alten besorgte: »Höre! Willst Du dem alten Mann da drüben Dieses von mir bringen? Ich habe zwei Zinnsoldaten; dieses ist der eine, er soll ihn haben, denn ich weiß, daß er ganz allein ist!«
Und der alte Aufwärter sah vergnügt aus, nickte und trug den Zinnsoldaten in das alte Haus. Nachher wurde herübergeschickt, ob der kleine Knabe nicht Lust habe, selbst zu kommen und seinen Besuch zu machen. Und dazu gaben ihm seine Eltern Erlaubniß: und so kam er nach dem alten Hause.
Und die Messingknopfe auf dem Treppengeländer glänzten weit stärker als sonst: man hätte glauben sollen, daß sie wegen des Besuches polirt worden wären. Und es war ganz so, als ob die ausgeschnitzten Trompeter – denn auf der Thüre waren Trompeter ausgeschnitzt, die in Tulpen standen – aus Leibeskräften bliesen; ihre Backen sahen weit dicker aus, als früher. Ja, sie bliesen: »Schnetterengdeng. Der kleine Knabe kommt'. Schnetterengdeng!« – Und dann ging die Thür auf. Der ganze Hausflur war mit alten Portraits behängen, mit Rittern in Harnischen und Frauen in seidenen Kleidern: und die Harnische rasselten und die seidenen Kleider rauschten! – Und dann kam eine Treppe, die ging ein großes Stück hinauf und ein kleines Stück herunter, und dann war man auf einem Altan, der freilich sehr gebrechlich war, mit großen Löchern und langen Spalten; aus ihnen allen wuchs Gras heraus, denn der ganze Altan, der Hof und die Mauer war mit so vielem Grün bewachsen, daß es aussah, wie ein Garten; aber es war nur ein Altan. Hier standen alte Blumentöpfe, die Gesichter und Eselsohren hatten; die Blumen wuchsen aber so, wie es ihnen beliebte. In dem einen Topf wuchsen nach allen Seiten Nelken über, das heißt: das Grüne davon, Schößling auf Schößling; und die sprachen ganz deutlich: »Die Luft hat mich gestreichelt, die Sonne hat mich geküßt und mir auf den Sonntag eine kleine Blume versprochen, eine kleine Blume auf den Sonntag!«
Und dann kamen sie in ein Zimmer, wo die Wände mit Schweinsleder überzogen waren, und auf dem Schweinsleder waren Goldblumen eingepreßt.
»Vergoldung vergeht,
Schweinsleder besteht!«
sagten die Wände.
Und da standen Stühle mit hohen Rücklehnen, mit Schnitzwerk und mit Armen an beiden Seiten! »Setzen Sie sich!« sagten sie. »Uh! wie es in mir knackt! Nun werde ich gewiß auch Gicht bekommen, wie der alte Schrank! Gicht im Rücken! Uh!«
Und dann kam der kleine Knabe in die Stube, wo der alte Mann saß. »Dank für den Zinnsoldaten, mein kleiner Freund!« sagte der alte Mann. »Und Dank dafür, daß Du zu mir herüber gekommen bist!«
»Dank! Dank!« oder »Knick! Knack!« sagten alle Möbel. Es waren ihrer so viele, daß sie sich beinahe einander im Wege standen, um den kleinen Knaben zu sehen.
Und mitten an der Wand hing ein Gemälde, eine schöne Dame, jugendlich und fröhlich aussehend, aber so gekleidet, wie in alten Tagen! mit Puder im Haar und mit Kleidern, die steif standen. Die sagte weder »Dank« und »Knack«, sah aber mit ihren milden Augen auf den kleinen Knaben herab, der sogleich den alten Mann fragte: »Wo hast Du Die her?«
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