1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Ohne anzuklopfen spähte ich vorsichtig durch die nur Spalt breit geöffnete Tür. Die Luft war rein. Ructus saß an einem, für seine Verhältnisse ziemlich großen Tisch, streckte die Zunge beim Schreiben ein wenig heraus und wirkte im Großen und Ganzen sehr konzentriert. Vom grauen Zausel fehlte allerdings jede Spur. Leise traten Agnir und ich ein. Sofort musterte mein Sohn den kleinen Teufel neugierig von oben bis unten. Ructus wirkt durch seine geringe Körpergröße sehr kindlich, doch wie alt er wirklich ist, kann ich nicht sagen. Sein Gesicht strahlte noch rötlicher als sonst. Sogar sein Kopf schien zu qualmen. Als er mich sah, machte er äußerst erschrocken, sofort einen gekonnten Satz unter den Tisch.
»Hey, wir kommen in Frieden! Krieg dich mal wieder ein!«, beruhigte ich ihn. Unzweifelhaft besitzt er ein ausgeprägt gutes Gedächtnis. Er hatte nicht vergessen, wie ich ihm in Jodhpur Prügel angeboten hatte, falls er uns verraten sollte. Nun hatte sich die Grundvoraussetzung jedoch geändert. Nur vermutete er, dass das allerdings nicht auf ihn bezogen war. Zum Glück ging Agnir auf ihn zu und erklärte ihm die Lage: »Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist doch nur mein Papa!«
»Ja? Wie kommst du denn mit dieser Tatsache zurecht?«, fragte Ructus skeptisch.
»Och, ganz gut!«, grinst Agnir und warf einen neugierigen Blick in das aufgeschlagene Schreibheft des Teufels. Sofort fühlte er sich bemüßigt, ihn zu korrigieren.
»Au Backe! Häuser schreibt man mit äu und nicht mit eu! Und die Mehrzahl eines Apfels sind Äpfel, und nicht Apfeln...«
Ich schaltete mich ein: »Gut, das könnt ihr ja unter euch ausmachen... Ructus? Wo ist eigentlich Cornel...«
Zum Beenden der Frage kam ich nicht mehr, weil nebenan eine heftige Detonation erklang, die die Grundfeste des Gebäudes erschütterte. Die starke Stahltür, die uns vom angrenzenden Labor trennte, bekam eine heftige Beule, deren Ausbuchtung in unsere Richtung zeigte. Geräuschvoll rollte etwas sehr Schweres davon.
»Oh, ist schon klar. Er ist da drin! Richtig?«
Der Rote nickte heftig und nahm wieder unter seinem Schreibtisch Deckung ein. Klar erkennbar, dass er die Charaktereigenschaften seines Lehrers nur zu gut kannte.
»Siehst du, Agnir... Jetzt weißt du, warum du den Helm aufsetzen solltest!«, machte ich ihm die Lage klar. Ab nun würde der Fahrradhelm Agnirs ständiger Begleiter werden. »Ihr beiden bleibt schön wo ihr seid, ich sehe mal nach dem Rechten!«
Da sich im Labor nebenan nichts tat, öffnete ich vorsichtig die verbeulte Stahltür. Hinter einer Reihe Arbeitstische tauchte Cornelius´ grauer Schopf auf: »Ist gar nichts passiert!«
»Das nennst du also ›nichts passiert‹? Woran bastelst du? An einem neuen Sprengstoff?«, erkundigte ich mich gar nicht weiter überrascht.
»Hm, was? Mein Gehör ist im Moment leicht beeinträchtigt... Eigentlich probierte ich dort in der Waschmaschine gerade ein von mir erfundenes Waschmittel aus. Es dient dazu, die Wäsche schneller trocknen zu lassen, sodass der Gebrauch eines Trockners überflüssig wird. Das spart unglaublich viel Energie und verbessert die Emissionswerte!«, brüllte er, kam aus seiner Deckung hervor und ordnete sich das wirre Haar.
… War mal wieder klar, dass er irgendetwas erfand, das mit Wäsche in Verbindung stand. Schon immer hatte er ein Faible für alles, was mit dem Wäschewaschen zu tun hatte. Andere Forscher kümmern sich um solche weltbewegende Dinge wie einem Heilmittel gegen Krebs. Connie ist dagegen ganz anders gepolt. Schon immer schenkte er solchen Sachen eine besondere Aufmerksamkeit, die alle anderen für Firlefanz hielten. Ich kann mich gut daran erinnern, als wir noch zusammen bei meinem Schöpfer in der Vampir-Festung wohnten, wie er mir stolz ein Fass, aufgehangen an einem Gestell präsentierte, an dem eine Kurbel befestigt war. Nun, ich besaß schon immer recht wenig Fantasie und konnte mir nicht vorstellen, was das komische Ding darstellen sollte. Da ein Fass involviert war, dachte ich, es werde wohl etwas mit Wein, oder Bier zu tun haben. Connie verneinte meine Vermutung und stellte das Gerät als eine Waschmaschine!!! vor. Da war ich aber so etwas von begeistert...
»Äh, toll! Die Natur wird es dir sicherlich danken. Vor allem, weil du nicht auch noch die gesamte Umgebung ausgelöscht hast. So wie es aussieht, hast du noch deine Augenbrauen und verletzt bist du auch nicht. Vielleicht solltest du den Sprengs... Äh, das Waschmittel zu Simon bringen. Ich denke, er kann daraus sicherlich eine sinnvollere Sache machen, als damit eine Waschmaschine in die Luft zu jagen! Wir könnten es in Türschlösser spritzen, dann macht es uns den Weg auf jeden Fall frei.«
»Türen öffnen?«, fragte er lautstark. »Du brauchst doch nichts zum Türen öffnen, entweder du trittst sie ein, oder du gehst durch die Wand!«, kicherte mein Blutsbruder und putzte sich seinen schneeweißen Kittel ab. Früher lief er immer in so komischen Gewändern herum, woraufhin ich die Vermutung hegte, er hätte ein Faible für Frauenkleider. Zum Glück hatte sich das inzwischen geändert. Nun sah er wie der etwas verwirrte Doktor einer Krankenhausserie aus.
Ich hob den Deckel des Frontladers auf. Mutmaßlich das Teil, das zuvor so eindrucksvoll die Tür eindellte. Das Glas war gesprungen, aber noch ganz. Überall lagen Unterhosen, Socken und Unterhemden herum. Alles leicht angeschwärzt. Na, das nenne ich mal »Kochwäsche«...
»Du hast da was auf dem Kopf«, machte ich ihm verständlich.
»Was? Ich habe doch keinen Kropf!«, brüllte er zurück.
Genervt verdrehte ich die Augen und gestikulierte in Richtung seiner Haare.
»Ach, die Kröte? Hey, das ist mein neuer Mitarbeiter. Ach was, wohl eher alter Mitarbeiter. Den kennst du doch auch. Das ist Wilbur!«
...Oh, nein! Nicht dieser blöde, depperte Dschinn! Wenn es einen geben sollte, den ich überhaupt nicht ausstehen kann, dann ist es dieser Wilbur!...
»Das ist Wilbur? Normalerweise rennt er doch immer im Rock herum, getarnt als Mensch in Form eines zierlichen, mädchenhaften Ägypters!«, entfuhr es mir.
»Was? Ah, langsam kommt mein Gehör zurück... Ach ja, wie du weißt, baute Wilbur letztens ein wenig Mist in Libyen. Dafür sollte er hundert Jahre in Gewahrsam bleiben, aber ihr musstest ihn ja aus der Silberkammer herausholen!«
»Hey, hör mal, was hätten wir denn machen sollen? Du hattest dich irgendwo am Arsch der Welt verkrochen und warst unauffindbar! Es ging um Leben und Tod. Also haben wir ihn mit einer kleinen Aktion aus den Silberkammern herausgeholt. Was uns übrigens eine ganze Woche Küchendienst bescherte!«, entrüstete ich mich.
»Ja, ja! Und das war nobel von Pistillum, es hätten auch zwei Wochen werden können. Wie dem auch sei. Nach eurem Bruch entfloh Wilbur und versteckte sich in der Dämonendimension, wo ihr ihn mit Mara folglich auch wiedersaht. Nun, Mara bat beim Chef um Milde für Wilbur, und die hat er von Ambrosius Pistillum bekommen. Vorerst bleibt Wilbur in Krötengestalt, und wenn er schön brav ist, darf er wieder jede x-beliebige Gestalt annehmen und in Freiheit leben. Bis dahin, ist er sozusagen mein persönlicher Mitarbeiter und steht unter ständiger Beobachtung. Alchemie lag ihm schon immer. Er ist ein wandelndes Rezeptbuch.«
»Hey, redet mal nicht so, als wäre ich nicht da!«, beschwerte sich der Kröten-Wilbur.
Wir ignorierten ihn einfach.
»Ha, geschieht ihm ganz recht, dieser kleinen, hässlichen Kröte. Alchemie liegt ihm? Ja, das sehe ich... Hat er das Rezept fürs Waschmittel erfunden?«
Nebenbei pflückte ich Connie eine Socke von der Schulter.
»Nein, i wo! Das ist mein Rezept gewesen. Dummerweise ist es noch nicht ganz ausgereift. So wie es aussieht, ist das Waschmittel schon in der Maschine verpufft...«, resümierte Connie, kraulte sich den Bart und guckte an die Decke, als vermute er dort die Lösung seines Problems. Dann bemerkte er erst leicht verstreut, dass ich seine Heiligen Hallen betreten hatte: »Was machst du eigentlich hier? Warst du nicht zuletzt irgendwo in Mexiko?«, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
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