»Du willst, dass wir den kleinen Roten sozusagen bei uns aufnehmen? Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt? Ich weiß nicht mal, ob ich ihn überhaupt leiden kann!«, gab ich zu bedenken.
»Er soll ja nicht bei euch wohnen, wäre schön, wenn er mal mit Agnir spielen könnte. Vielleicht auch mal zum Essen bleiben darf. Und im Sommer könnten die Kinder draußen zelten«, äußerte Connie. »Du weißt, dass er das Gelände nicht verlassen darf, er würde zu sehr durch sein Aussehen auffallen, aber er soll sich auch nicht wie ein Gefangener fühlen.
»Spielen? Ich weiß ja noch nicht mal, wie alt der Knabe ist«, wehrte ich ab.
»Und? Wie alt sind wir denn, hm? Jedes intelligente Wesen spielt gern. Wir spielen beide, auch wenn es Kartenspiele, Backgammon oder Schach ist.«
»Da hast du auch wieder wahr. Okay, ich frage mal Amanda, was sie davon hält. Dann gebe ich dir Bescheid. Sag Agnir aber noch nichts davon, nicht dass er nachher enttäuscht ist, falls es nicht klappt!«
»Was sollte denn dagegen sprechen?«
»Keine Ahnung, wer weiß, vielleicht zündelt Ructus, oder übt einen negativen Einfluss auf meinen Sohn aus.«
»Quatsch, er zündelt doch nicht! Okay, dann sind wir uns also einig«, nickte Connie.
»Mehr oder weniger«, grummelte ich. »Komischer Deal. Ich drücke dir mein Kind aufs Auge und dafür habe ich deinen Problemfall an der Backe...«
Eine Frau ist eine Person, die dauernd in den Spiegel sieht, außer wenn sie eine Parklücke verlässt...
(Unbekannter Verfasser)
N achdem das nun geklärt war, ließen wir Cornelius in Ruhe weiter seine seltsamen Studien betreiben.
»Gut, Agnir. Wir sehen uns dann morgen, so gegen acht, halb neun, okay?«, lächelte Connie und winkte uns hinterher.
»Ja, bis morgen!«, winkte der frischgebackene ABC-Schütze zurück. »Hurra! Ich gehe in die Schule!«, jubilierte er bis nach draußen vor die Tür. Dann schien im das Fischen wesentlich mehr zu interessieren. Zumindest brauchte er dafür keinen Helm.
Ich zog mir die Klamotten bis auf die Badehose aus und begab mich ans Ufer.
»So, mein Sohn. Siehe zu und lerne!«
Flink ließ ich mich vom Steg ins Wasser gleiten. Agnir folgte mir begeistert, indem er mir beinahe auf den Rücken sprang. Und das, obwohl ich ihm schon tausend Mal sagte, er solle nicht vom Steg springen.
»Habe ich dir gesagt, du sollst mir folgen?«, fragte ich genervt.
»Aber, wie soll ich sonst sehen, wie du Fische fängst?«, entgegnete er kleinlaut.
»Okay, da hast du recht«, nahm ich ihm die Unsicherheit.
Für alle anderen musste diese Szene wohl eher befremdlich wirken. Wir Vampire fangen regulär eigentlich gar keine Fische. Und schon gar nicht mit Angel oder Netz. Doch Agnirs Fähigkeiten mussten gefördert werden und so kam ich auf die Idee mit dem Fischen, was er überaus begeistert aufnahm. Ein Jäger bleibt immer ein Jäger, auch unter Wasser.
»Und du sollst nicht immer ins Wasser pinkeln!«, meinte ich kopfschüttelnd.
»Das machen die anderen Schwimmer doch auch!«, wehrte er sich.
»Stimmt, da hast du auch wieder recht. Aber doch nicht vom Steg! Pack deinen Piepmatz wieder ein und lass uns anfangen«, lachte ich. So tauchten wir wieder unter und gleich setzte ich einem dicken Karpfen nach. Als ich das widerliche Vieh ans Ufer spuckte, jagte Agnir schon seinen ersten, eigenen Fisch.
Da auch andere gerne im See angelten, setzte ich schon im letzten Sommer ein paar Karpfen aus, um sie, wenn mich Lust und Laune packte, jagen zu können. Ha, ich bin hier der Hecht im Karpfenteich! Nur, hätte ich damals schon gewusst, dass ich so schnell einen jagenden Sohn bekäme, wären von mir gleich ein gutes Dutzend mehr ausgesetzt worden. Ab und zu tauchte Agnirs nasser Blondschopf auf, denn im Gegensatz zu mir, muss er immer wieder Luft schnappen. Schließlich ist er ein halber Mensch und braucht Sauerstoff. Wogegen wir Untoten eigentlich darauf verzichten können. Endlich spuckte er seinen ersten selbst gefangenen Fisch aus. Als ich sah, was er dabei für ein angewidertes Gesicht zog, konnte ich mich vor Lachen kaum halten. Agnir musste bisher noch nie jemanden beißen, um an sein benötigtes Blut zu kommen. In dieser Hinsicht war er ein echtes Flaschenkind. Wahrscheinlich befand er sich auch in einem Gewissenskonflikt.
… Das kenne ich von Cornelius. Einerseits konnte er kaum auf das notwendige Blut verzichten, andererseits meldete sich dann das Gewissen eines Heilers in ihm. Soweit ich weiß, tötete mein Blutsbruder noch nie einen Menschen, um an sein Blut zu kommen. Eigentlich ist das auch nicht nötig, es sei denn, ein Vampir war verletzt und brauchte die 5-6 Liter menschlichen Bluts zur Regeneration seiner Wunden. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kein Vampir muss heutzutage noch einem Hals hinterherjagen. Auch wir leben heute in Zeiten des Tetrapaks. Wir neuzeitlichen Vampire beziehen Blut von Freiwilligen Spendern, die entweder das Geld brauchen, oder einfach für einen guten Zweck spenden. Und wenn ihr mich fragt, ist es ein überaus nützlicher Zweck, wenn sie zur Ader gelassen werden. Das Blut ist klinisch untersucht und frei von Keimen oder Erregern. Im Gegensatz zum Finsteren Mittelalter, wo die Pestilenz wahre Feste feierte. Und das ist in meinen Augen der größte Fortschritt. Nie wieder ungewaschene Hälse, die nach Schweiß oder ungewaschener Haut riechen und auch dementsprechend schmecken. Der Nachteil besteht nur darin, dass man seine überschüssige Energie nun durch andere Tätigkeiten abbauen muss. Auch der Kick bei der Jagd, das Adrenalin und die Furcht in den Augen deines Opfers, gehen durch diese Ernährungsweise flöten. Doch was tut man nicht alles, um des lieben Friedens wegen, und der Zivilisation?...
»Papa? Haben Fische eigentlich Schmerzen?«, fragte Agnir nachdenklich.
»Woher soll ich das wissen? Bisher hat mir noch kein Fisch auf diese Frage geantwortet. Aber ich glaube nicht, sonst würden sie schreien, wenn sie an der Angel hängen«, philosophierte ich wagemutig.
»Hm, stimmt auch wieder!«, nickte mein Sohn zufrieden und tauchte wieder ab.
Blieb zu hoffen, dass er seiner Mutter nicht die gleiche Frage stellte. Sie wüsste höchstwahrscheinlich die richtige Antwort darauf und würde mich somit als Dummkopf entlarven. Nachdem Agnir seinen zweiten Karpfen erlegte, musste ich ihn ein wenig ausbremsen. Sonst würden die Angler, die ihre Rute ins Wasser hielten, nur noch Würmer baden.
»Das hast du sehr gut gemacht, Agnir. Ich bin sehr stolz auf dich. Es reicht jetzt. Wer soll die alle essen, hm? Die zwei bereiten wir heute Abend zu, und den anderen stecken wir in die Kühltruhe, was meinst du?«
»Okay! Wenn wir mit dem Boot fahren, dann darf ich wieder Fische jagen? Im Meer?«, hakte er nach.
»Klar, soviel wie du jagen kannst. Aber bitte keine Seesterne. Die finde ich einfach widerlich!«, grinste ich und legte ihm ein trockenes Badetuch um. »So, wenn du dich abgetrocknet hast, dann zieh dir schnell deine trockene Sachen an. Eine neue Unterhose ist in der Jutetasche. Ich will keinen Ärger mit Nana oder deiner Mama bekommen, klar? Zwar weiß ich nicht, ob du dich erkälten kannst, aber das wollen wir doch nicht ausprobieren, oder?«
Brav nickte Agnir und folgte meinem Rat.
Mich unterdessen, überkam ein seltsames Gefühl. In meinem Schädel ging sofort eine rote Lampe mit der Aufschrift »Alarm« an. Aufmerksam musterte ich die Umgebung, leuchtete jeden Baum und jeden Busch ab. Etwas stimmte nicht. Irgendjemand beobachtete uns. Gerade als ich mich weiter aufmerksam umblickte, kam eine kleine Radlerin angefahren und es ertönte eine Fahrradklingel. Auch Sascha unterlag der Helmpflicht beim Radfahren, nur trug sie einen Reithelm auf dem Kopf. Ihre Füße steckten in Reitstiefeln und die Gerte wippte lustig über den Gepäckträger hinaus. Rasant ging sie in die Bremse, sodass der Kies während ihres gewagten Drifts, heftig aufspritzte.
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