»Jepp, wir sind heute Morgen in der Frühe wiedergekommen. Was hast du sonst noch Schönes in der Mache?«
»Ich arbeite zurzeit an einem Unsichtbarkeits-Trank. Allerdings funktioniert er noch nicht richtig, bisher wurden nur die Füße unsichtbar. Es ist echt blöd, wenn plötzlich deine Haxen nicht mehr sichtbar sind. Aber ich arbeite dran.« Nachdenklich betrachtete er mich von oben bis unten. »Wie siehst du eigentlich aus? Rennst hier mit Bermudas und Adiletten herum? Ist wohl schön warm draußen, wie?«
»Ja, herrliches Wetter. Du solltest auch öfter vor die Tür gehen. Überhaupt hängst du viel zu viel in geschlossenen Räumen ab. Du solltest mal rausgehen, denn die Weiber tragen wieder Dekolleté und Kleider. Da wirst selbst du feucht unter der Zunge. Überhaupt solltest du dich mal mit einem weiblichen Wesen treffen und ein wenig Druck abbauen!«, riet ich ihm, doch er winkte nur ab.
»Ach, du kennst mich doch. Welche Frau würde sich schon mit mir abgeben?«
»Hey, es gibt viele Mitarbeiterinnen, die auf dich stehen, nur du merkst mal wieder nichts. Halt dich ran, es geht schon das Gerücht herum, du wärst ein warmer Bruder.«
»Das sagst du so leicht. Du hast es beim weiblichen Geschlecht viel leichter als ich. Du gehst einfach auf ein weibliches Wesen zu und fragst: ›Haste Bock auf Ficken?‹«
»Na ja, die Zeiten sind nun vorbei, ich bin jetzt glücklich verheiratet. Lassen wir die Katze mal aus dem Sack. Ich bin nicht zwecks einer Partnervermittlung gekommen, sondern wegen Agnirs Unterricht. Amanda drängt mich, der Junge müsste in die Schule. Nur kann er nicht in eine normale Schule gehen, da würde er durch sein schnelles Wachstum auffallen. Deshalb soll ich fragen, ob es Schulen für Vampir-Hybriden gibt.«
… Damit habe ich nur ein wenig die Tatsachen verschleiert. Ich bin niemand, der andere um einen Gefallen bittet. Und das Wort »Bitte« ist außer für Amanda, sowieso nicht in meinem Wortschatz vorhanden. Ich bettele doch nicht Cornelius an! Schließlich habe ich auch meinen Stolz. Nein, ich wollte es so einfädeln, dass Connie von allein auf die Idee kam, Agnir als Schüler zu nehmen...
»Du bist glücklich verheiratet, fragt sich nur, ob Amanda es auch ist«, lächelte er verschmitzt in sich hinein. »Du meine Güte. Es gibt vielleicht eine Handvoll Vampir-Hybriden. Und soweit ich weiß, gibt es auch kein Internat für sie. Die wenigen werden von ihren Eltern unterrichtet«, meinte Connie und betrachtete den verursachten Schaden an der Waschmaschine eingehend.
»Ich würde sowieso nicht wollen, dass der Junge nach außerhalb kommt. Er soll bei uns, in einer ganz normalen Familie aufwachsen!«, reklamierte ich. »Annie ist nicht mehr die Jüngste und kümmert sich ohnehin schon aufopfernd um ihn. Amanda hat keine Zeit, das weißt du wohl am besten. Und ich kann ihn nicht unterrichten, weil mir die letzten 600 Jahre an Bildung fehlen. Das, was ich weiß, ist allemal nur rudimentär zu nennen. Okay, inzwischen weiß ich Folgendes: Niemand wohnt in einem Brockhaus und ein Analyst ist auch kein Gerät für die Darmspieglung...«
Nicht nur Cornelius lachte herzhaft, auch Wilbur kicherte leise. Der Graue schüttelte den Kopf und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge.
»Verzeih mir die Bemerkung, aber deine Familie ist alles andere als normal. Jedenfalls solange du der Familienvorstand bist... Na, du bist mir eine Marke. Tja, was machen wir mit dem Jungen?«
»Ha, ha, du Komiker! Keine Ahnung, gerade das bereitet mir Kopfschmerzen«, verriet ich ihm. »Er ist jetzt nicht besser als andere Kinder, aber hat uns schon ziemlich oft zum Staunen gebracht. Als er gerade das Laufen lernte, bauten wir Gittertüren vor die Treppe, damit er da nicht hinunter purzelte. Und was machte der kleine Kerl? Er drückte auf den Fahrstuhlknopf und ging unten im Gebäude spazieren... Ziemlich pfiffig, nicht wahr? Er sah immer, wie Annie den Fahrstuhl holte, um mit dem Hund Prince Charles hinunterzufahren. Du weißt, er ist ein Basset-Hound, nicht gerade leicht und mit seinem langen Rücken darf er keine Treppen steigen.«
»Ja, ziemlich pfiffig, das hat er eindeutig nicht von dir geerbt«, schmunzelte Connie. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und musste mich mäßigen, ihn nicht zu würgen.
»Ist er hier?«, fragte Cornelius neugierig.
Nickend zeigte ich in Richtung Tür. »Ja, er korrigiert gerade die Rechtschreibung von diesem Ructus. Agnir kann nämlich schon lesen und schreiben. Seine Schwester Sascha hat es ihm beigebracht«, bemerkte ich.
Cornelius betrachtete verwundert beim Verlassen des Raums die Beule in der Trenntür. Unauffällig folgte ich ihm. Die beiden Kleinen saßen am Tisch und schrieben fleißig. Zwischendurch zeigte Agnir Ructus die ein oder andere Sache, die er besser machen konnte.
»Hallo, ihr beiden. Es geht bei euch recht ruhig zu. Darf ich mal sehen?«, fragte Connie und sah sich ihre Arbeiten an. »Sehr schön! Das habt ihr sehr gut gemacht!«
»Hallo, Onkel Cornelius!«, begrüßte mein Sohn ihn freudig. Sie sahen sich nicht allzu oft.
»Sag ruhig Cornelius, oder Connie zu mir. Wenn du mich Onkel nennst, dann fühle ich mich so alt!«, lachte er meckernd. »Helm... , äh, Agnir, du bist schon wieder ein ganzes Stück gewachsen!«
»Ja, bin ich. Ach... Ich heiße jetzt Triple A!«, bekundete er und ich verdrehte die Augen.
»Ich dachte du heißt jetzt Helmut, weil du einen Helm trägst...«
»Den Helm habe ich ihm aufgesetzt. Das mit dem ›Triple A‹, das hat er von Gungnir aufgeschnappt! Da gibt man dem Kind so schöne Namen, und er will Triple A heißen! Klingt wie ein verunglückter Superheld... Oder, wie hießen eigentlich diese flauschigen Viecher aus der Episode von Raumschiff Enterprise?... Trippel?«, hakte ich nach. Doch von Connie konnte ich nicht erwarten, dass er sich jemals Star Trek angesehen hatte.
»Die hießen Tribbles... Aus der Episode: Kennen Sie Tribbles?«, antwortete Connie wie aus der Pistole geschossen.
... Aha! Jetzt kenne ich ein weiteres Geheimnis meines Blutbruders. Er ist ein verkappter Trekki!...
»Agnir, würde es dir gefallen, wenn ich dich zusammen mit Ructus unterrichte?«, fragte Cornelius.
Agnir nickte aufgeregt: »Das wäre super! Ich will nämlich mal das Gleiche wie meine Mama werden!«
»Was? Ärztin?«, fragte Connie grinsend.
»Nein, Arzt! Und den Witz hat Papa heute schon gemacht!«, erwiderte er naseweis.
»Gut, wenn du willst, kannst du ab morgen bei mir Unterricht nehmen. Papier und Bücher bekommst du gestellt. Schulranzen, Federtasche und Zirkel musst du selbst mitbringen. Ach ja, ihr habt die regulären Ferienzeiten, so wie andere Kinder auch. Noch Fragen?«, wandte Connie sich ganz allgemein dem Raum zu.
»Au fein! Wir wollen nämlich zu Pfingsten mit dem Boot die Küste entlangfahren! Ganz bis nach Norwegen! Dort zeigt mir Papa, wo er geboren wurde«, berichtete Agnir.
»Sehr schön!«, meinte Connie. »Ragnor, kann ich mal kurz unter vier Augen mit dir reden?«, fragte er und nickte in Richtung Labor.
»Klar, aber die zwei Augen von Wilbur lässt du hier! Das geht ihn nichts an!«
»Na gut, Wilbur. Bleib bei den Jungs und mache keinen Quatsch!«
Die Kröte wurde vorsichtig vom grauen Zausel auf dem Tisch abgesetzt. Zu schade, ich hatte keinen Strohhalm dabei, sonst hätte ich Agnir zeigen können, wie man einen Frosch aufbläst.
»Ja, was gibt´s denn?«, hakte ich nach und schloss hinter uns die Tür.
»Wenn ich schon so nett bin, deinen Sohn zu unterrichten, dann kannst du mir auch einen kleinen Gefallen tun, oder?«
»Äh, ja... Und das wäre?«, fragte ich voller Misstrauen. War klar, dass er von mir ebenfalls einen Gefallen einfordern würde. Auf so etwas war ich schon gefasst.
»Na ja, es geht um Ructus. Er tut sich ein wenig schwer, seit er hier bei uns ist. Von den Großen wird er nicht akzeptiert und die Zwerge mögen ihn nicht. Deshalb wäre es doch ganz nett, wenn er vielleicht bei euch öfter zum Spielen vorbeikommen könnte. Schließlich habt ihr doch genug Platz. Es wäre auch nett für Agnir, wenn er jemanden hat, mit dem er ein bisschen auf dem Grundstück herumstreifen könnte.«
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