… Seit über einem halben Jahr wohne ich zusammen mit Amanda und ihrem Anhang in dieser stillgelegten Psychiatrischen Klinik. Das Gebäude steht ebenfalls auf dem großen, von üppiger Vegetation umwucherten, eingezäunten Grundstück unserer Organisation, nur näher in Richtung der Hauptstraße. Patienten gibt es schon lange keine mehr. Das einzige, traurige Überbleibsel dieser Klinik ist der alte, struppige Kater Joey, der damals dem Beruf der Therapie-Katze nachging. Nach einer ausgiebigen Renovierung stand das Gebäude leer, und da ich nicht mehr unterirdisch wohnen wollte, bekam ich die Erlaubnis, hier mein Quartier aufzuschlagen. Anfang August letzten Jahres zog ich ein und lebte hier gänzlich allein im großen Haus. Das Gebäude diente lange Zeit zu reinen Alibizwecken, um neugierigen Beobachtern keinen Grund für weitere Fragen zu geben. Und da es eine Privatklinik war, wissen die meisten Leute nicht, ob sie überhaupt noch Patienten aufnimmt. Bei Nachfragen wird darauf hingewiesen, dass keine Therapieplätze in absehbarer Zeit zur Verfügung stünden. Mittlerweile haben wir einen Kredit aufgenommen und sind dabei, das große Haus, das wir scherzhaft »Villa Ballerburg« nennen, in unseren Besitz übergehen zu lassen. Ja, ich weiß. Es ist voll spießig, als Vampir einen Kredit aufzunehmen, aber meine Kinder sollten ein schönes Zuhause bekommen. Und schöner, als hier inmitten heilsamer Natur, kann kein Kind aufwachsen. Ein Großteil ist schon abbezahlt, weil wir Amandas vorheriges Haus veräußerten und damit ein gutes Stück des Kredits tilgen konnten. Wir verdienen beide nicht schlecht und von daher finden wir diese Entscheidung äußerst sinnvoll. Auf dem Grundstück befindet sich auch der firmeneigene Reitstall mit Reithalle; und so konnte Saschas Pony gleich dort untergebracht werden. Das erspart ihr sehr viel Fahrerei und eine Menge Zeit. Der einzige Nachteil ist, dass Sascha keine Freundinnen mitbringen darf. Es ist einfach nicht gut, wenn Kinder mitbekommen, dass es wirklich Orks, Oger, Zentauren, Einhörner, Vampire und andere fragwürdige Lebewesen gibt, die ständig die Wege des Grundstücks passieren. Die Kinder würden unweigerlich über das Gesehene reden und dann wäre unsere schöne Tarnung dahin. Doch Sascha kann jederzeit ihre Freundinnen besuchen. Der Chauffeurdienst »Nana« bringt sie hin und holt sie anschließend pünktlich wieder ab. So müssen wir uns auch keine Sorgen machen, die Freundinnen von Sascha könnten entdecken, dass mit ihrem Bruder irgendetwas nicht stimmt, weil er innerhalb eines halben Jahres von einem Säugling zu einem fast Sechsjährigen wurde. Als Ausrede für das Besuchsverbot dient der Vorwand, ihr neuer Vater würde in der Nachtschicht arbeiten und brauche tagsüber seine Ruhe...
Im Spielzimmer ist noch ein abschließbarer Kühlschrank vorhanden, in dem wir unsere alkoholischen Getränke verstauen. Seit die Kinder im Haus wohnen, habe ich all meinen Alkohol dort deponiert. So wurde gewährleistet, dass sich keines der Kinder eine Alkoholvergiftung zuzog. Ja, und natürlich musste ich meine Waffen in einem Waffenschrank deponieren, der nur mit meiner Code-Karte und meinem Iris-Scan geöffnet werden kann. Dabei muss ich meine Kontaktlinsen herausnehmen, sonst tut sich da rein gar nichts.
Vor dem Fenster hampelte Barbiel herum. Auch Silent Blob drückte sich im wahrsten Sinne des Wortes an meinem Fenster herum, und zwar in Fladenform. Dracon begnügte sich mit einem schüchternen Winken. Ich ging zur Haustür und öffnete ihnen. »Na, ihr Pfeifen? Los kommt rein!«
Barbiel ist ein Engel. Das ist nicht so daher gesagt, sondern fundierte Tatsache. Dracon ist ein Halbdrache und Silent Blobb ein Wesen, das gänzlich ohne Knochen existieren kann. Mit dem Vorteil, dass er sich in jede noch so kleine Spalte drücken kann und so als unser Türöffner fungiert. Sie gehören zu meinem Team, mit dem ich arbeite. Diese Chaoten sind an und für sich das Letzte, doch haben wir bisher sämtliche Aufträge zur vollsten Zufriedenheit erfüllt, was wohl bedeutet, dass wir trotzdem perfekt zusammenpassen.
Der sensible Barbiel machte mal wieder ein Gesicht, wie zehn Tage Regenwetter. Sein Socken-Monster mit Namen Ernestine hatte er auch wieder mitgebracht. Wir alle lieben Ernestine, auch wenn wir es nicht offen zugeben möchten. Ich tätschelte dem kleinen Monster den Kopf und sofort schnurrte sie grinsend.
»Was ist denn mit dir los, Angelika? Hat dein Friseur dich rausgeworfen, oder was?«, fragte ich im Scherz.
»Nein, wenn das nur so wäre, würde ich meinen Friseur wechseln, aber es geht um Mara«, meinte Barbiel geknickt und kraulte Ernestines Kehle. Mara ist meine Tochter und Barbiel ist über beide Ohren in sie verschossen. Sehr zu meinem Bedauern, denn ich finde, sie hätte etwas Besseres als dieses weichgespülte Geflügel verdient.
»Mara kann dich nicht rausgeworfen haben, denn ihr wohnt nicht zusammen, richtig?«, fragte ich nach.
Bekümmert nickte er. »Das ist es ja eben, ich fragte sie, ob wir nicht zusammenziehen sollten. Sogar einen Heiratsantrag habe ich ihr gemacht, doch sie hat ihn abgeschmettert«, seufzte er schwermütig.
»Tja, Mara liebt eben ihre Freiheit. Ihr müsst ja nicht gleich heiraten, um ein Paar zu sein. Versuch es einfach noch mal in hundert Jahren, ihr habt doch alle Zeit der Welt«, tröstete ich ihn.
»Okay, wenn du meinst«, winkte er resigniert ab.
Wir nahmen unsere Plätze ein, jeder mit einer gekühlten Dose Bier und zockten was das Zeug hielt. Da ich jemanden aus meinem Team des Diebstahls verdächtigen musste, hatte ich schon etwas vorbereitet. Bei Barbiel konnte ich mir hundertprozentig sicher sein, dass er nicht der Dieb war. Er konnte nicht mal ordentlich lügen, ohne rot zu werden. Eigentlich hatte ich jemanden ganz Bestimmten im Auge.
Als Dracon dann mal das Töpfchen aufsuchen musste und anschließend die goldenen Manschettenknöpfe fehlten, die ich als Köder ausgelegt hatte, passte ich ihn ab und nahm ihn mir zur Brust.
»Dracon? Hast du die goldenen Manschettenknöpfe genommen, die ich auf dem Regal im Bad abgelegt habe? Als ich gerade meine Hände wusch, bemerkte ich, sie liegen nicht mehr dort. Also, die Manschettenknöpfe, nicht meine Hände.«
Der Drachenmann bekam ein nervöses Zucken unter dem Auge.
»Isch? Wie kommst du auf so etwas? Isch ´abe keine Manschettenknöpfe genommen!«, wehrte er sich.
»Meinst du dämlicher Froschfresser, ich würde dich unbegründet verdächtigen?«, pöbelte ich zurück. »Ich habe Beweise! Sogar auf Bild festgehalten! Komm mit!«, zog ich ihn mit mir zurück ins Badezimmer. Die anderen bekamen nichts von unserer Unterhaltung mit, weil wir uns auf dem Flur befanden. Aus dem Medizinschrank nahm ich eine Videokamera, die ich dort zuvor installiert hatte und führte ihm ein kleines Filmchen vor. Es nützte ihm nichts mehr abzustreiten, es war zwecklos. So etwas wie Scham trat in sein schuppiges Gesicht.
»Was denkst du dir nur dabei andere Leute zu bestehlen?«, fragte ich wütend. »Wenn du nicht mein Kollege wärst, hätte ich dich jetzt mit Stumpf und Stiel eingestampft!«
»Isch weiß nischt was mit mir los ist... Isch kann einfach nischt anders. Sobald isch etwas Goldenes sehe, muss isch es an misch nehmen. Es ist wie eine Sucht!«, meinte er bedrückt. »´ier, deine Manschettenknöpfe!«, gab er sie mir in die Hand.
»Okay, so ging es mir damals auch, als ich als Wikinger unterwegs war und plünderte... Wie lange hast du schon diesen Tick?«, fragte ich nach.
»Isch weiß nischt, isch glaube, es fing zeitgleisch mit dem Feuer spucken an. Es tut mir furschtbar leid, wirklisch... Isch wollte nischt...«
»Ja, ja! Erspare mir dein Gelaber! Jessas! Ich habe dir vertraut! Wo ist die Kette meiner Frau, der Anhänger von Sascha und der restliche Krempel. Ach ja, Annies goldene Gartenkugel und meine Geldklammer? Wo hast du die Schorre verbunkert?«, fragte ich ihn nicht gerade liebenswürdig.
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