„Ich denke schon“, antwortet Elea ebenso leise und betrachtete nun Winters Kleid genauer um dem starren Blick auszuweichen. Es war aus feiner Spitze gefertigt, so dass die helle Haut der jungen Frau darunter durch schimmerte. Ihr Blick haftete noch immer an den kunstvollen goldenen Fassungen der blauen Edelsteine, als sie fragte: „Was ist mit dir?“
„Ich habe auch etwas gesucht. Etwas dass ich vor langer Zeit verloren habe“, antworte die Andere. Elea fragte sich, was jemand wie Winter wohl verlieren könnte, dass sie sich bei dieser Kälte aufmachte um es zu suchen. Offensichtlich war sie sehr reich, auch wenn Elea keine Ahnung hatte wodurch. In diesem Moment durchzuckte sie ein Gedanke. Sie hatte noch nie von einer Erscheinung wie die Winters gehört. Sollte ihr je ein anderer Skalt oder ein Mensch begegnet sein, so würde dieser doch versucht haben, all ihren Reichtum an sich zu reißen. Sie war sich nicht sicher ob ihr Gegenüber in der Lage war sich zu wehren, zu Mal so effektiv, dass es keine Geschichten über ihr Dasein gab. Oder vielleicht war Winter auch noch niemand begegnet.
„Woher kommst du?“, fragte die junge Frau dann und versuchte so natürlich wie möglich zu klingen.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Winter sichtlich verwundert über diese Frage.
„Aber wie kannst du dass nicht wissen? Ich meine, du musst doch irgendwo losgelaufen sein! Heute Morgen oder so…“, wunderte sich Elea. Als sie jedoch drüber nachdachte, wusste auch sie nicht genau wo sie sich befand. In diesem Teil des Waldes war sie nie gewesen, vielleicht gehörte er sogar bereits einem anderen Stamm.
Ihr Gegenüber schien nicht weniger in Gedanken vertieft zu sein, vermutlich beschäftigte sie noch immer die Frage wo sie losgelaufen war. Schließlich runzelte sie nach einer Weile die Stirn und begann zu erzählen: „Vor ein paar Tagen bin ich in einem Zimmer aufgewacht.“
„Du meinst, du bist schon seit Tagen unterwegs?“, hakte Elea nach, als Winter schon einige Zeit nicht weitererzählt hatte. Verwundert betrachtete sie die junge Frau vor sich genauer. Doch die Kleider wiesen keine übermäßigen Gebrauchsspuren auf, hatten keine sichtbaren Löcher und schienen sich auch nicht mit Wasser vollgesogen zu haben.
Die langen Beine wirkten nicht besonders stark oder ausdauernd. Dafür ausgesprochen weich und anziehend. Rasch hob sie wieder den Kopf an und versuchte ihre Konzentration wieder auf das Ausgangsthema zu richten: „Du musst doch wenigstens ungefähr wissen, aus welcher Richtung du gekommen bist…“
Winter drehte sich in Richtung Norden und deutete in die Ferne. „Ein Fels im Wasser“, sagte sie dann. Offenbar war es unmöglich nähere Informationen aus dieser Frau heraus zu bekommen.
„Also gut, aber du wirst doch nicht die ganze Zeit im Freien verbracht haben, oder? Es hat doch geschneit!“ Kaum hatte Elea die Worte ausgesprochen, bedachte Winter sie mit einem Blick, den man normalerweise nur unwissenden Kindern zeigte.
„In meiner Gegenwart ist es zu kalt, als dass es schneien könnte“, erklärte sie dann und blickte in den Nachthimmel. „Mich umgibt nur die Kälte.“
In diesem Moment bemerkte Elea etwas das so banal war, dass sie sich fragte, wie sie es übersehen konnte. Während ihr eigener Atem große weiße Wölkchen bildete, war Winters unsichtbar. Sie schien nicht einmal zu atmen, denn ihr Brustkorb bewegte sich nicht.
„Was bist du?“, entfuhr es Elea leise. Je mehr Zeit sie mit dieser Frau verbrachte desto seltsamer und eigentümlicher schien sie zu werden. Ihre Worte und ihre spärlichen Gesten unterstrichen das Gefühl von Unwirklichkeit nur noch mehr.
„Ich weiß es nicht“, antworte sie leise. „Ich erinnere mich nicht.“ Diese Frage schien Winter offenbar nie in den Sinn gekommen zu sein. Oder sie hatte es nie als notwendig erachtet sich damit weiter zu beschäftigen.
„Alles was ich wollte“, begann Winter dann leise. „war hierher zu kommen. Ich kann nicht sagen wieso, aber es ist meine Pflicht gewesen.“
Dann wandte die sonderbare Frau ihren Blick ab und stierte mit den eisblauen Augen in die Dunkelheit hinein. Das ungute Gefühl die Andere habe etwas hinter ihr entdeckt, zwang Elea sich ebenfalls umzudrehen und dem Blick der blauen Augen zu folgen. Doch in der Dunkelheit war nichts. Irgendwo brach ein Ast unter dem Gewicht des Schnees ab und fiel zu Boden.
Dann drehte sich Elea wieder Winter zu, welche noch immer unbewegt wie eine Statue da stand. Die Augen ruhten noch immer auf demselben Punkt in der Landschaft.
„Wieso bist du noch hier?“, fragte Winter leise und die junge Skalt glaubte auch einen Hauch von Wehmut zu hören. „Wieso bist du nicht gegangen, wie alle anderen auch?“
„Ich weiß es nicht“, gestand Elea. In diesem Moment fragte sie sich ob Winter wohl ein Klagegeist war, eine jener verlorenen Seelen welche zuhauf durch die Wälder der Nordlande streiften. In den Geschichten waren es meist Kinder oder Mädchen welche Schutz, Zuneigung oder Vergebung suchten. Doch Elea traute sich nicht die wunderliche Gestalt zu fragen, die viel zu plastisch für einen Geist wirkte.
„Ist dort etwas?“, fragte sie dann leise, als sich Winters Augen noch immer nicht von dem Fleck im Schatten der Bäume hatte lösen können.
„Nein“, antworte diese dann leise. „Dort ist nichts.“ Sie senkte wieder ihren Blick und sah zu Elea, als erwarte sie noch immer eine Antwort. Diese hatte immer mehr das Gefühl, dass ihr Treffen mit Winter nicht zufällig war. Doch die Frau mit den weißen Haaren und den blauen Augen, schien ihr Treffen nicht über lange Hand geplant zu haben.
Normalerweise konnte sie die Leute in ihrer Umgebung sehr gut einschätzen. Winter jedoch war ein Buch das nicht nur geschlossen blieb, sondern sich mit aller Kraft dagegen zu wehren schien, geöffnet zu werden. Der Tatsache dass sie über die seltsamen Ereignisse nichts wusste zum Trotz schien sie weder Angst noch Schüchternheit zu kennen.
„Glaubst du jemand hat dafür gesorgt dass wir uns hier treffen?“, fragte Elea dann freiheraus.
Winter schien nicht sonderlich verwundert über diese Frage zu sein und antwortete mit leiser Stimme: „Ich bin mir sicher dass es so ist.“
Sie wusste nicht wieso, aber ihre Gedanken sprangen zu dem Seher und sie fragte sich was er ihr wohl nicht gesagt hatte. Elea konnte nicht sagen ob er Winter ebenfalls gesehen hatte oder ob er sie kannte. Sie konnte allerdings auch nicht sagen, ob es nicht die alte Krähe war, welche sie zueinander geführt hatte.
Die junge Nordfrau sah zu Winter auf und zum ersten Mal wurde ihr bewusst wie unnatürlich groß ihr Gegenüber war. Alle Skalt waren von Natur aus größer als Menschen, nicht viel aber der Unterschied war deutlich sichtbar. Winter jedoch war noch beinahe einen Kopf größer als Elea.
„Du weißt nicht woher du kommst, wohin du gehst oder was du suchst…“, sagte Elea dann und war sich nicht sicher ob sie mit sich selbst oder Winter sprach. Ihre Augen hefteten sich auf die hellen Haare die im schwachen Schein des untergehenden Mondes sanft funkelten. „Hast du gefunden wonach du gesucht hattest?“
Winter legte ihren Kopf zur Seite und wieder begannen ihre Augen seltsam zu funkeln. Dann antworte sie sanft: „Ich glaube schon.“
Ihre Blicke trafen sich und Elea spürte wie es ihr unmöglich wurde diesen Blickkontakt zu unterbrechen. Winters Augen schienen sie förmlich dazu zu zwingen in ihnen zu ertrinken. Es war als verberge sich hinter dem kalten blau eine zauberhafte Welt, die nur darauf wartete von ihr erkundet zu werden.
„Ich denke…“, begann Elea langsam. „Dass ich, möglicherweise, jemanden kenne… Jemand, der uns sagen könnte… Was du bist…“
Bisher hatte sie noch nie gestottert und war auch nur selten in die Verlegenheit gekommen dass ihr die Worte fehlten. Doch nun fühlte sie das Unwohlsein mit jedem ihrer Wörter steigen.
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