Für einen Moment war sie zu erstaunt um Antworten zu können. Sie wusste um die Geschichten welche den Krähen magische und allerlei weitere übernatürliche Fähigkeiten zuordneten. Doch dass sie diese Gaben tatsächlich besaßen und sie einfach einsetzen konnten, hatte sie nicht erwartet.
„Woher…“
„Du wärst nicht hier, wenn du nichts gesehen hättest“, antwortete der Seher schlicht und bedachte sie mit einem triumphierenden Lächeln. Er wirkte nun noch dämonischer und abstoßender als zuvor.
„Ich sah Augen“, erklärte Elea dann und versuchte nicht auf seine Stichelei einzugehen. „Sie gehörten vermutlich einer Frau.“
„Dann weiß wenigstens eine von uns wie unser Leidbringer aussieht“, antworte der Seher und Elea konnte nicht sagen ob Hohn in seiner Stimme lag oder nicht. Sie hatte erwartet das er näher auf ihre Geschichte einig, Fragen stellte oder erklärte was geschehen war. Doch er saß nur schweigend auf dem Boden und sah zu ihr auf.
„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte sie dann, um die Stille zu vertreiben.
„Das habe ich doch schon gesagt“, antwortete der Seher und wieder breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Wir sitzen die Sache aus, denn was ich sah sagte mir, dass sich dieses Problem von ganz allein erledigen wird.“
Es war vermutlich mitten in der Nacht, als Elea hochschreckte. Das beklemmende Gefühl nicht allein zu sein breitete sich in ihr aus. Doch egal wie sehr sie ihre Augen auch bemühte, so blieb ihr Zimmer leer. Unruhig erhob sie sich und eilte leise zum Fenster. Es war noch dunkel, doch der weiße Schnee leuchtete selbst im schwachen Schein des Mondes hell und bildete einen starken Kontrast zu den dunklen Umrissen der anderen Hütten und deren Gärten. Nichts regte sich.
Rasch zog sie sich an und griff nach Pfeil und Bogen. Leise schlich sie die Treppe hinunter und stahl sich aus dem Elternhaus. Es hatte aufgehört zu schneien, doch es war noch immer bitter kalt. Die weiße Decke unter ihren Füßen war gefroren, so dass sie nicht mehr darin einsinken konnte.
Die Bäume um sie herum schwiegen, doch die Luft war erfüllt mit ihrer Angst und Sorge. Ohne zu wissen wo sie hin sollte oder auch nur warum sie eigentlich hier herum lief, wanderte sie durch die Nacht. Lediglich ihre Instinkte und das unüberwindbare Bedürfnis dem unsichtbaren Weg zu folgen, leiteten sie. Je weiter sie sich vom Dorf entfernte desto trister schien die Umgebung zu werden. Etwas dass ihr bisher noch nie aufgefallen war. Kein Tier begegnete ihr, nicht einmal ein Vogel, welche normalerweise in Scharen vorkamen.
Es lag etwas Besorgniserregendes in der Luft und Elea konnte deutlich spüren wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Unsicher, wie sie weiter vorgehen sollte, änderte sie spontan die Richtung und wand sich gegen Norden. Leise begann sie zu Summen, in der Hoffnung dass dadurch die Stille weniger drückend wurde.
Sie blieb stehen und lauschte in die Nacht. Leise, kaum hörbar, durchbrach ein Laut die Stille. Instinktiv ging sie in die Knie und suchte Deckung hinter einem, vermutlich von der Masse des Schnees überwältigtem, abgestürzten Ast. Forschend lugte sie durch die Zweige und versuchte die Ursache des fernen Lauts auszumachen.
Tiefe Zweifel durchfuhren sie und die Sorge was sich abgesehen von ihr im Schnee verbarg, breitete sich in ihr aus. Unerklärlicherweise mischte sich noch etwas anderes zwischen diese Gefühle. Freudige Erregung und die Hoffnung eine Antwort auf ihre Frage zu bekommen. Fast so als habe sie auf diesen Moment gewartet.
Nach kurzer Zeit entschied sie sich es zu wagen, den Ursprung der Geräusche ausfindig zu machen und hoffte inständig die Götter würden sie nicht in die Irre, oder in ihr Verderben leiten.
Einige Zeit lang war es wieder leise, doch dann konnte sie das Geräusch wieder deutlich vernehmen. Schritte auf dem gefrorenen Boden. Sanfte, vorsichtige, leise Schritte. Ihr Herz schlug schneller, so dass es für einen Moment die leisen Schritte übertönte. Sie schloss die Augen um ihr Gehör zu schärfen.
Ohne jeden Zweifel waren es die Schritte eines Menschen, oder etwas das den Menschen sehr ähnlich war. Sie öffnete die Augen wieder und verbarg sich rasch hinter einem nahe stehenden Baum.
Die Schritte wurden lauter und schließlich mischten sich noch weitere Geräusche dazu. Ein leises Klirren von Steinen und schließlich der sanfte Laut von feinen Stoffen. Laute die im Norden nur von der Beute der Raubzüge bekannt waren.
Plötzlich als sie schon ganz nahe waren, verstummten die Schritte. Eleas Finger gruben sich in die kalte Rinde des Baumes. Es war ihr als könnte sie die strahlend blauen Augen wieder sehen. Diese Augen welche sie bei Tage in der Hütte so fest fixiert hatten.
Jeder Vernunft widerstrebend, schritt sie hinter dem Baum hervor und schaute die Frau, welche nur wenige Schritte von ihr entfernt stand an. Sie war sehr groß, schlank und ihre Schönheit war nicht von dieser Welt. Die fremde Frau schaute Elea ebenfalls an und ihre kalten Augen ruhten auf ihr, als sei sie der schönste Juwel den sie je zu Gesicht bekommen hatte, das Schmuckstück in ihrer Sammlung.
„Wer bist du?“, fragte Elea dann. Ihre Worte durchbrachen die Stille des Waldes nun vollkommen. Die Andere antwortete nicht sofort sondern starrte sie erst weiter an, als überlege sie was diese Frage zu bedeuten hatte. Dann, als Elea schon glaubte keine Antwort mehr zu bekommen, sagte sie mit heller sanfter Stimme: „Ich bin der Winter.“
Es war offensichtlich das Winter kein Mensch war und vermutlich auch nicht zu einer Spezies gehörte, welche Elea kannte. Obwohl sie sich nicht erklären konnte wieso, spürte die junge Frau den Drang in sich aufkeimen, dieses fremde Wesen zu Berühren. Die Vorstellung die blasse Haut unter ihren Fingern zu spüren übte einen unglaublich anziehenden Reiz aus. Ebenso groß war jedoch auch die kindliche Angst, der feingliedrige Körper ihres Gegenübers würde unter der Berührung wie eine Schneeflocke zerfallen.
Schließlich war es Winter die einen ersten zögerlichen Schritt auf sie zu machte. In diesem Moment wurde Elea regelrecht von ihrem Unterbewusst angeschrien, welches sie ermahnte so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und dieses offenkundig magische Wesen zu bringen. Doch leise und verstohlen mischte sich eine zweite Stimme ein und bat sie darum nicht darauf zu hören. Unsicher blieb sie stehen, spürte jedoch deutlich wie ihre Muskeln sich spannten, bereit zur Flucht. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als sie den Schnee unter den erhabenen Schritten mit einem feinen Knacken gefrieren hörte.
Erst jetzt bemerkte sie die großen weißen Wolken welche ihr Atem in der Luft bildete und wie ihre Kleider steif wurden unter der feinen Reifschicht, die sich über sie legte. Die bittere Kälte welche diesem Phänomen zugrunde liegen musste, nahm sie allerdings nicht wahr.
Nur eine Armlänge entfernt blieb Winter stehen. Hätte Elea ihre Finger nach ihr ausgestreckt, so hätte sie den weichen Stoff und die funkelnden Edelsteine berühren können. Doch sie blieb reglos und schweigend stehen.
„Wer bist du?“, unterbrach Winter die Stille mit ihrer unerwartet hellen Stimme. Ihre strahlenden blauen Augen begutachteten Elea noch immer von oben bis unten.
„Ich bin Elea“, antwortete die Skalt knapp und fühle sich als hätte sie die Frage nicht richtig beantwortet.
„Und was machst du hier?“, fragte Winter weiter und begann nun sie langsam zu umrunden. Die Befragte starrte verlegen auf den Boden und wusste nicht was sie antworten sollte. Immerhin war ihr selbst nicht recht klar was sie dazu verleitet hatte aus ihrem Bett zu steigen und von Zuhause weg zu laufen.
„Ich habe etwas gesucht“, antwortete sie zögerlich, hatte jedoch das Gefühl damit nah genug an die Wahrheit heran zu kommen. Winter kommentierte diese Aussage nicht. Stattdessen blieb sie wieder vor Elea stehen, ließ ihren Blick aber weiter über sie gleiten. Als die junge Skalt wieder aufsah, trafen sich ihre Blicke und Winter flüsterte leise: „Hast du gefunden, was du gesucht hast?“
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