„Die Tiere spüren es“, krächzte der Unliebsame und zwang sie somit erneut von ihren Gedanken abzulassen. „Und auch du kannst die Stimmen der Bäume vernehmen. Hör auf ihre Worte.“
Ohne ein weiteres Wort oder Elea die Möglichkeit zu geben eine Frage zu stellen oder etwas zu entgegnen, drehte er sich um und stapfte geräuschvoll in das Innere des Dorfes zurück. Die junge Frau sah ihm nach und fühlte sich als hätte er gerade ihren Tod prophezeit.
Der Devu neben ihr drückte die wollene Schnauze fordernd in ihre Seite und schlackerte nervös mit den kleinen Ohren. Elea legte ihre Finger auf seine breite Stirn und versuchte die Worte zu ignorieren, welche wie ein Flüstern durch die Luft schwebten und in die Ohren eindrangen. Ihr Schlaf ist gebrochen. Unser Schicksal ist besiegelt. Sie kommt.
In den folgenden Tagen zeigte sich das der Seher, im Bezug auf den Winter, Recht behalten sollte. Es war rasch kälter geworden und der Winter schien äußerst hart zu werden. Es hatte nicht allzu lang gedauert bis die ersten Schneeflocken vom Himmel gefallen waren und der See neben dem Dorf mit einer dünnen Eisschicht überzogen wurde.
Inzwischen reichte der Schnee Elea bis zu ihren Waden und dass obwohl sie alles andere als kleingewachsen war. Die Schritte raubten ihre die Kraft und auch die großen Hunde hatten bereits ihre Freude an dem schönen Weiß verloren. Lediglich die Devus welche aufgrund ihrer breiten Füße weniger Probleme hatten auf dem Schnee zu gehen, schienen noch nicht eingeschüchtert worden zu sein. Ihre wilden Artgenossen aus dem Norden allerdings zogen in großen Herden gen Süden.
Daher wunderte es sie nicht, dass alle Dorfbewohner mit dem Horn zusammen gerufen worden waren. Vermutlich hatte der Jarl beschlossen den Seher um Hilfe zu bitten, überlegte sie sich im Stillen und strich ihr langes Haar über die Schulter nach hinten. Selbst Elea könnte dem Anführer eine solche Entscheidung nicht verübeln, denn in den letzten Tagen hatte sie sich oft Gedanken darüber gemacht, ob ein böser Geist seine Finger im Spiel hatte.
Die Wälder des Nordens waren bekannt dafür, dass sie allerlei Gefahren bargen. Von den wilden Tieren einmal abgesehen, schienen ihre Schatten auch wie ein Magnet auf Geister und verirrte Seelen zu wirken.
Die junge Frau folgte der bereits tiefen Spur der Lastentiere, welche ihr unwissentlich den Weg etwas geebnet hatten. Die Tiere standen nun auf einem eingezäunten Gebiet, nahe bei der Hütte des Sehers. Mit Sicherheit waren die großen Tiere davon nicht sonderlich erfreut, denn dort gab es keine Bäume und folglich keine Zapfen mit welchen sie sich die Langeweile vertrieben konnten.
Die letzten Meter zu der kleinen Holzhütte hin musste Elea sich jedoch selbst durch die Schneemassen kämpfen, ehe sie die letzte Hürde des Treppensteigens in Angriff nehmen konnte. Sie war, seit die Krähe sich niedergelassen hatte, nicht mehr in dem Haus gewesen. Jetzt jedoch als dicke Rauchschwaden aufstiegen, fühlte sie sich beinahe eingeladen.
Schon draußen konnte sie die zahllosen aufgeweckten Stimmen im Inneren des Hauses hören, sogar einige Worte klar herausfiltern. Als sie die Tür öffnete dröhnten für einen Moment ihre Ohren und ihre Augen brannten von dem Rauch.
Der einzige Raum des Hauses war vollkommen überfüllt. Mindestens 20 Skalt hatten sich hinein gequetscht und stritten nun lautstark und wild gestikulierend darüber wie Vorgegangen werden sollte.
Sie zwängte sich in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Mühsam arbeite sie sich durch die dicht an dicht gedrängten Körper, ehe sie zwischen den Schultern zweier Jäger hindurch auf den eigentlichen Ort des Geschehens blicken konnte.
In einer großen Mulde in der Wand, loderte ein Feuer, welches den Inhalt eines eisernen Kessels erhitzte. Die Wände waren voll gehängt mit Fellen, Tüchern und allerlei Jagdtrophäen bei denen sie oftmals nicht einmal wusste zu welchen Geschöpf sie einmal gehört hatten. An den Seiten befanden sich Regale in denen allerlei Zeug lag, auch hier konnte Elea bei mindestens der Hälfte davon nicht sagen um was es sich handelte oder wofür es gut sein könnte. Das Einzige was sie nicht entdecken konnte war ein Bett.
In der Mitte des Raums saß der Seher, die Augen zur Meditation geschlossen und die Hände nachdenklich gefaltet. Er erinnerte an eine Mumie, die manchmal in alten Grabmälern hockten. Nichts regte sich an ihm, er schien nicht einmal zu atmen. Als jedoch plötzlich der Streit zwischen einem Jüngling und einer erfahrenen Schildmaid zu eskalieren drohte, öffnete er die Augen und begann mit einem Stock auf den Boden zu schlagen.
Es dauerte einige Schläge ehe der laute Streit verstummte und nur noch hier und da aufgeregt gezischte Worte zu hören waren. Der Seher blickte sich ruhig um, beinahe mitleidsvoll sah er jeden einzelnen von ihnen an.
„Wahrlich dunkle Zeiten, meine Kinder“, begann er dann mit unveränderter rauer Stimme. „Doch lasst die Unvernunft nicht euer Herz bestimmen.“
Sein Blick richtete sich zur Seite, wo die beiden Söhne des Jarls sich immer wieder böse Blicke zuwarfen. Der ältere der beiden Ralef schien das Bedürfnis zu haben sich zu rechtfertigen, denn er trat einen Schritt nach vorn.
„Vor dem Winter wegzulaufen ist Unvernunft“, rief er in die Menge und versuchte so ruhig wie möglich zu wirken.
„Wahre Worte“, rief sein jüngerer Bruder und trat ebenfalls vor. „Die Zeichen zu missachten zeugt aber keines Falls von Weisheit und Voraussicht.“
Wieder begannen die Skalt mit ihren Nachbarn zu diskutieren, doch schon schlug der Seher seinen Stab wieder auf den Boden.
„Ich werde die Götter befragen.“ Mit herrischer Geste bedeutete er Hilda, dem schönsten Mädchen im Dorf, ihm einen Lederbeutel zu reichen. Irritiert zog sie den Beutel aus einem der Regale und drängte sich zu ihm auf die kleine freie Fläche in der Mitte. Mit einer weiteren Geste bedeutete der Seher, dass er mehr Platz benötige.
Augenblicklich drängten sich die Nordmänner weiter an die Seite und die beiden, wohl besonders unachtsamen, Jäger drückten Elea soweit aus dem Kreis, dass es ihr unmöglich war, zu beobachten was der Seher tat. Verärgert versuchte sie wieder weiter nach vorn zu gelangen. Deutlich konnte sie hören wie mehrere schwere Gegenstände unsanft auf dem Boden platziert wurden. Dann vernahm sie das Klimpern von kleinen Knochen, Steinen und Münzen die sich auf dem Boden verteilten.
Mit aller Kraft drückte sie sich an den beiden Grobianen vor ihr vorbei und stand nun beinahe zwischen den Knochen. Einige warfen ihr einen verärgerten Blick zu, doch sie nahm die Leute um sich herum kaum war. Denn für einen Augenblick glaubte sie in der Flüssigkeit in einem der Kelche, ein Bild gesehen zu haben. Zwei Augen die sie anblickten, so fest und starr dass es keine Einbildung sein konnte.
Erschrocken sah sie zu dem Seher, der die Steine nach irgendeiner Reihenfolge sortierte und einige der Knochen aus dem Kreis entfernte. Schließlich sah er auf und fixierte dabei Elea.
„Wir bleiben“, sagte er dann fest. Damit war die Sitzung beendet.
Die anderen waren bereits in ihre Häuser zurückgekehrt und bereiteten sich weiter auf die Jagd vor, welche ohne Frage in den nächsten Tagen stattfinden würde. Elea konnte hören wie sie unterwegs weiter diskutierten und anfingen Pläne für eine Überwinterung zu schmieden. Sie selbst stand einige Zeit unschlüssig im Schnee, entschied sich dann jedoch dafür den Seher aufzusuchen. Zwar wiederstrebte ihr der Gedanke, diesen Mann wieder zu sehen, doch sie wusste dass sie nicht würde schlafen können. Nicht solange sie nicht wusste, wem die schönen Augen gehörten, die sie angeblickt hatten. Unsicher wand sie sich wieder der Holztür zu und klopfte dagegen.
„Komm rein“, antwortete die raue Stimme im Inneren. Elea ließ sich nicht bitten und betrat erneut den stickigen Raum. Noch bevor sie ihr auftauchen erklären konnte, fragte der Seher: „Was hast du gesehen?“
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