Nachdenklich blickte sie in das braune Getränk, das zwischen ihren Fingern dampfte. Ab und zu löffelte sie ein paar Cornflakes und versuchte dahinter zu kommen, wo sie mit ihrer Suche anfangen könnte. Jedoch fiel ihr bis zum Boden der Kaffeetasse keine brauchbare Lösung ein. Also machte sich Mara wieder auf den Weg nach oben, um ihren Rucksack zu packen. Dabei bemerkte sie, dass ihre Mutter ihn über die Wäscheleine im Bad gehangen hatte. Das komische Material brauchte ewig, um zu trocknen und war immer noch klatschnass. Entnervt packte sie die Sachen in ihre Umhängetasche. Den durchweichten und gewellten Zeichenblock warf sie in den Mülleimer. Er war nun endgültig hinüber. So ein Mist .
Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, wo sie ihre Suche beginnen würde. Der Zylinderträger war inzwischen zweimal im Garten aufgetaucht, also musste es dort auch Spuren geben. Schnell warf sie sich die Tasche mit dem überdimensionierten Gesicht von Johnny Depp über und stürmte nach draußen.
Mit emsiger Geduld durchforstete sie die Beete, den kleinen Schuppen und den Waldrand, doch fand sie nichts, was irgendwie auf einen nächtlichen Besuch von mehr als einem Eichhörnchen oder Baummarder hindeutete. Mehrfach fiel ihr Blick zwischen die Bäume, hinein in den Wald. Mara traute sich nicht tiefer zwischen die Stämme zu treten. Ihr letzter Waldspaziergang lag schon einige Jahre zurück. Damals war sie gerade in die Schule gekommen und ihre Eltern wollten mit ihr einen Abenteuerausflug in einen Kletterpark in Brandenburg unternehmen. Das Ergebnis war gewesen, dass Mara abgerutscht war und eine ganze Woche im Krankenhaus wegen eines gebrochenen Schlüsselbeins hatte verbringen müssen. Die kleine Beule auf ihrer rechten Schulter erinnerte sie immer wieder daran, wenn sie in den Spiegel sah. Seitdem war Maras Faszination für die Natur stark gedämpft.
Enttäuscht verließ sie den Garten und beschloss im Dorf nach dem Mann mit dem Zylinder zu fragen. Anfangen wollte sie am Hafen, bei den drei jungen Männern, welche sie auch tatsächlich antraf. Doch erinnern konnte sich keiner an eine so auffällige Gestalt. Nur an ihre peinliche Aktion, bei der sie plötzlich ohne Vorwarnung rückwärts ins Wasser gefallen war. Das stellte Mara nicht gerade zufrieden und sie wollte sich abwenden, als sie einer der drei ansprach.
»You're new here, right? I've seen the truck with your furniture some weeks ago.«
Das war richtig. Maras Mutter war vor ein paar Wochen schon einmal hier gewesen, um die ersten Kisten und Möbel zu bringen. Hauptsächlich waren es dabei Kleider, Schlafzimmermöbel und Maras Schrank gewesen. Etwas Nützliches wie einen Fernseher hatte Viola nicht mitgebracht.
»Are you alone with your mom?«, fragte der, von dem sie glaubte er hieße Deklan.
Seine blauen Augen lächelten sie unter dunkelblonden Locken an und Mara wurde ein wenig rot, als sie nickte.
»Tell your mom, if you two need any help, my brother and I, we are living down this street. The second house on the right.«
Also eines der weißen Häuser. Sie nickte, bedankte sich und machte sich auf dem Weg zu dem Krabbenladen. Die Schweden sind echt super freundlich. Ist ja nicht zum Aushalten, grinste Mara in sich hinein.
»Hej«, sagte die Dame in dem Krabbenladen.
»Hej«, grüßte Mara zurück und fragte auf Englisch nach dem Mann mit Zylinder und dem Regenmantel, doch leider ohne Erfolg. In den anderen Geschäften erging es ihr ähnlich. Scheinbar kannte keiner im Dorf diesen auffälligen Mann. Enttäuscht sah Mara auf die Uhr und stellte fest, dass es schon fast Mittag war. Also machte sie sich auf den Weg zurück. Als sie in ihre Straße einbog sah sie drei Kinder, ungefähr in ihrem Alter, die sich eine Frisbeescheibe hin und her warfen. Zwei von ihnen hatten hellbraune Haare und so gut wie dasselbe Gesicht und dieselben Kleider. Offensichtlich Zwillinge. Der Dritte im Bunde hatte das typische blonde Haar des Nordens und einen etwas tumben Ausdruck im Gesicht, der durch seine Knollnase noch unterstützt wurde. Wenn der mal nicht Thorben oder Hennes heißt, dachte Mara.
»Hej. I'm the new one in town«, begrüßte sie die drei Jungen.
Die sagten nur »Hej« und warfen sich die Frisbee wieder zu. Mara ließ sich nicht anmerken, dass sie dieses Verhalten reichlich unhöflich fand.
»My name is Mara. Who are you?«
Die drei hörten auf zu spielen und sahen sie an. Die beiden kleineren Zwillinge ein wenig betreten. Der Junge mit der Knollnase ziemlich ungehalten. Doch sagen wollte keiner der drei etwas.
»I am looking for a big guy with sunglasses«, setzte Mara an.
»Vi talar inte engelska«, sagte er und warf einem der beiden die Frisbee zu.
»Aha«, sagte Mara und ging weiter.
»Ihr seid also die Ausnahme von der Regel.«
Offensichtlich würde sie wohl doch Schwedisch lernen müssen, um mit allen Leuten hier reden zu können. Ach was. In ein paar Wochen fahren wir sowieso wieder nach Hause.
Entnervt von ihrem erfolglosen Vormittag schmiss sich Mara in einen der Sessel und starrte hinaus in den Garten. Es musste doch Hinweise zu diesem Kerl geben. Es konnte doch nicht sein, dass sie als einzige einen mehr als zwei Meter großen Mann in Regenmantel und mit Flicken versehenden Zylinder gesehen hatte. Es sei denn, niemand wollte ihr etwas sagen. Diese Idee machte die ganze Sache noch viel verworrener und mysteriöser. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Henning bald kommen würde.
Also hatte sie noch ein paar Minuten, um sich abzulenken und das neue Geheimfach ihrer Mutter zu kontrollieren. Wichtig bei Geheimfächern war, sie regelmäßig zu überprüfen, damit man sich stets über den Inhalt sicher sein konnte und etwas gegen die Eltern in der Hand hatte. Geschwind rannte Mara ins Schlafzimmer und öffnete das Fach, doch was ihr dort entgegen blitzte raubte ihr den Atem.
Aus der kleinen Luke im Kleiderschrank ihrer Mutter blickte sie ein schwarzes, metallisches Ding in einer Lederhülle an, wie sie es nur aus dem Fernsehen kannte. Unsicher, ob sie es wirklich tun sollte blickte Mara die Waffe an und streckte dann die Hände danach aus. Das Ding war viel schwerer als sie es sich vorgestellt hatte und lag kalt zwischen ihren Fingern. Unheimlich funkelte ihr das Metall entgegen. Offensichtlich war die Waffe neu. Aber warum sollte sich ihre Mutter so etwas zulegen? In ihrer alten Wohnung hatte Mara noch nie etwas Derartiges gefunden. Mara wiegte die Kanone hin und her und überlegte den Knopf des Halfters zu lösen und sie ganz heraus zu ziehen. Da klopfte es an der Tür und erschrocken ließ sie die Waffe fallen. Mit einem harten Klonk landete sie auf dem Boden. Panisch verstaute Mara das Geheimnis wieder im Kleiderschrank und hastete zur Tür.
Henning hatte gute Laune und Kuchen mitgebracht. Sie spielten Karten und der Polizist erzählte ihr einiges über seinen Werdegang und die Geschichte des Dorfes. Svanesund war ein ziemlich altes Dorf, auch wenn es nicht den Anschein hatte. Von den Gebäuden aus den Anfängen des letzten Jahrtausends war allerdings so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Nur im Keller der Ortskirche waren noch die Grundfesten eines ehemaligen Gebäudes zu finden. Die Felsengräber im Wald zählten zu den Überbleibseln der alten Zeit. Die Gräber waren Mara immer noch unheimlich. Beim Gedanken daran, dass sie mitten im Wald lagen, dachte sie an den Mann mit Zylinder. Solche gruseligen Typen trieben sich doch immer an gruseligen Orten herum. Vielleicht gab es ja dort tatsächlich Hinweise.
»Können wir uns die Gräber noch einmal ansehen?«
»Es wird langsam dunkel. Wie ist es mit Morgen?«, fragte der Polizist.
Sie nickte. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte ihr, dass es schon zu spät für einen Ausflug war, denn die Sonne senkte sich bereits wieder dem Meer entgegen.
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