„Dieser Brief wurde für Sie abgegeben, Monsieur.“ Sagte sie mit ihrer leisen, freundlichen Stimme.
„Vielen Dank, Madame Delpierre. Darauf habe ich bereits gewartet.“ Erwiderte ich und nahm den weißen Brief mit einem braunen Siegel entgegen.
„Das freut mich. Übrigens ich werde das Essen erst um sieben fertig haben, da Amelie mir erst später das Fleisch bringen kann. Ihr Junge hat sich mit Anderen geprügelt. Sie war gezwungen, ihn nach Hause zu bringen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.“
„Durchaus nicht. Ich verstehe die Situation, außerdem habe ich zu arbeiten, da kommt es mir ganz gelegen.“
„Dann werde ich Sie mal wieder alleine lassen.“ Madame Delpierre wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen, als sie sich noch einmal umdrehte. „Das wollte ich Sie noch fragen, Monsieur Verne. Haben Sie schon von den Fremden in der Stadt gehört?“
„Nein, Sie wissen ja, durch meine Unpässlichkeit habe ich in letzter Zeit kaum das Zimmer verlassen.“
„Fremde wandern in komischen Kleidern durch die Stadt. Sie sollen unfreundlich und voller Gewalt sein.“
„Davon habe ich noch nicht gehört. Haben Sie einen der Fremden selbst gesehen?“
„Leider nein. Aber sie sollen dunkle Haut haben und einen schwarzen Bart tragen. Ihren Kopf hüllen sie in rote Tücher. Wenn ich davon höre, wird mir ganz unwohl bei dem Gedanken auf die Strasse zu gehen. Bitte versprechen Sie mir, Monsieur Verne, das Sie auf sich achtgeben.“
„Das werde ich, Madame. Das werde ich.“
Ohne weitere Worte verschwand Madame Delpierre und in meinem Kopf arbeitete es. Stoff aus dem Geschichten sind, laufen in der Stadt umher und das sollte ich mir nicht entgehen lassen. Also zog ich mich sofort an, schlüpfte in Schuhe und warf die bequeme braune Stoffjacke, meine Lieblingsjacke über. Dann zog ich unterm Bett die lederne Umhängetasche hervor, in der ich Papierbögen und Schreibutensilien stopfte, sowie die seltsame Muschel, die mir Glück bringen sollte. Den Brief ließ ich auf dem Arbeitstisch liegen.
Minuten später verließ ich die Pension “La Delpiere“ und atmete frische Luft ein. Es tat sehr gut wieder draußen zu sein. In der Feuchtigkeit schmeckte ich das Salz des Atlantiks, den Atem der See, wie ich ihn gerne nannte. Wind verzauste das kurze Haar schneller, als ich es wieder glattstreichen konnte.
Es war später Nachmittag. Die Sonne stand noch hoch genug die schöne Stadt Nantes eindrucksvoll zu beleuchten, indem ihre Strahlen sich an den Kalksteinfassaden der Häuser brachen und überallhin verteilten.
Ich beschloss in Richtung Hafen zu gehen, mit Glück würde ich die LEVIN vor Anker vorfinden und könnte mit Kapitän Reno Worte wechseln. In der Ferne hörte ich, wie sich die geschmeidigen Wellen der Loire an der Kaimauer brachen. Auf meinem Weg dorthin traf ich einige Menschen, die ich sogleich auf die merkwürdigen Fremden ansprach. Jeder hatte von ihnen gehört, doch keiner wirklich gesehen. Sie sollen sich am Tage nahe ihrer Schiffe aufhalten, doch in der Nacht durchstreiften sie laut den Geschichten die engen Gassen und breiten Strassen.
Irgendwann erreichte ich den Hafen und schritt den prächtigen Backsteinkai entlang mit wachem Auge nach der LEVIN, doch bisher konnte ich sie nirgends entdecken. Da fiel mein Blick auf den alten Hafenmeister. Mittlerweile hatte er sein Amt nicht mehr, aber wegzudenken war der gute Maurice nicht. Mit seinen bestimmt siebzig Jahren, wirkte er noch so kräftig, wie zwanzig Jahre zuvor. Das Gesicht faltig und wettergegerbt, eingebettet von wenigen grauen Haaren und dank tiefliegender Lider wirkten die grünen Augen müde. Auf dem Kopf eine graue speckige und abgewetzte Kapitänsmütze, die er nicht einmal beim schlafen abnahm. Die Arbeit am Hafen hatte tiefgehende Spuren hinterlassen. So verlor er vor dreißig Jahren bei einem Verladeunfall das rechte Bein und trug seitdem einen Ersatz aus Holz. Auch fehlten an jeder Hand je zwei Finger. Im rechten Mundwinkel klemmte eine rauchende Pfeife aus Meerschaum, doch im Gegensatz zu Kapitän Renos Pfeifenrauch, roch dieser einfach nur grauenhaft. Manchmal fragte ich mich, was für einen komischen Tabak Maurice benutzte und doch scheute ich mich zu fragen, weil ich das Gefühl hatte, die Antwort nicht hören zu wollen.
„Maurice, schön dich zu sehen.“
„Der Verne.“ Erwiderte Maurice durch die gelblichen Zähne hindurch. „Wie geht es? Hörte von guten Reno am Stammtisch bei einem Gläschen Rum von Deinem … Meerjungfrauenerlebnis.“ Er lache vor sich hin.
Ich fand die Sache nicht so amüsant. „Viel besser. Sag mal, wo hat denn die LEVIN festgemacht?“
„Tja, ich wünschte ich wüsste es. Reno ist bereits fünf Tage überfällig. Warum weiß niemand. Dabei gab es keine raue See in den letzten Tagen, die ihn entschuldigen würde.“
Maurice paffte den stinkenden Rauch in meine Richtung und ich musste ein hüsteln verkneifen.
„Schade, ich hätte gerne mal wieder mit ihm gesprochen. … Was anderes, Maurice. Hast du von diesen Fremden gehört, die sich hier am Kai herumtreiben sollen?“
„Du meinst die Inder.“
„Aha, Inder also.“
„Aber welche wie die, habe ich noch nie gesehen. Sie wirken nicht wie Händler, eher wie Reisende.“
„Verstehe ich nicht.“
„Das liegt daran, wie sie sich geben. Sie sind gepflegt und tragen edle Kleidung. Haben etwas Erhabenes an sich.“
„Hört sich spannend an. Die würde ich gerne mal sehen. Weißt Du wo sie sich aufhalten?“
„Geht weiter den Kain entlang. Du kannst sie nicht verfehlen. Sie treiben sich bei ihren Fregatten rum.“
„Hier ankern Fregatten?“
„Aber keine ist wie ihre. Siehst du die Drei pechschwarzen dort hinten? Das sind die ihren.“
„Schwarze Schiffe.“ Beeindruckt schluckte ich. „Danke, Maurice.“
Wie in Trance wanderte ich den Kai weiter entlang. Pechschwarze Schiffe. Konnte das, ein Zufall sein? Das Wrack war auch schwarz und ebenfalls eine Fregatte. Vielleicht suchten sie sogar nach dem untergegangenen Schiff?
Als ich direkt vor ihnen stand staunte ich nicht schlecht. Imposante Anblicke. Genau, wie beim Wrack war sämtliches Holz schwarz bemalt. Da die Segel gerafft waren, konnte ich nicht genau erkennen, ob diese ebenfalls schwarz waren. Die Schiffe waren verdammt gut gepflegt. Maurice hatte Recht, sie wirkten nicht wie Handelsschiffe, eher wie Kriegsschiffe.
Plötzlich stand ein Fremder vor mir und sprach in einer mir unbekannten Sprache. Doch seine Gestik sagte mir, was meine Ohren nicht hören konnten: Ich sollte verschwinden. Er war einer dieser Inder. Ein Schrank von einem Mann, bestimmt zwei Meter groß und kräftiger als ich je sein würde. Er trug einen roten kunstvoll gebundenen Turban, sowie einen gepflegten Vollbart. Die dunklen tiefliegenden Augen blickten mit Autorität und Dominanz. Die Narbe auf der linken Wange wirkte bedrohlich. Weiter trug er ein schwarzes, eng anliegendes Gewand, an dessen Gürtel ein kunstvoller Säbel mit verziertem Griff hing. Als er mich mit der rechten Hand weg wies, sah ich einen goldenen Armreif am Gelenk baumeln.
Ohne zu zögern trat ich zurück. Alle hatten recht, diese Inder waren schon beeindruckend und hier standen mehr als zwanzig herum. Ich war angetan von ihnen und sinnte bereits in Gedanken, wie ich diese Figuren in meine Geschichten einfließen lassen konnte. Da erhaschte ich einen Blick auf eine kleine Flagge an der hintersten schwarzen Fregatte. Sie war blutrot mit dem Abbild eines schwarzen Skorpions drin. Ich suchte bei den anderen Schiffen nach der gleichen Flagge, doch die hatten keine oder waren eingeholt. Unter wem sie wohl fuhren?
Die schwarze Farbe schien den Indern wichtig zu sein, denn sie hob sie von allem und jedem ab. Zusätzlich gab es ihnen eine geheimnisvolle und mysteriöse Note.
Ich suchte mir eine vereinsame Kiste am Kai, die nicht so schnell verladen werden würde, setzte mich drauf und zog aus der Umhängetasche Papier und Bleistift. Dann begann ich die eindrucksvollen schwarzen Fregatten und einen Inder zu zeichnen – na ja, so gut ich es eben konnte.
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