Ich fuhr zum Eingang und der Mann hinter dem Schalter deutete hinüber zu einem kleinen Häuschen. Dort gab es die Tickets. Es waren zwei Yuan für die Überfahrt. Ich warf den gelben Chip, den ich als Ticket bekommen hatte in eine Box vor dem Schalter. Und reihte mich ein in die Schar der Wartenden, die mich neugierig betrachteten.
Da tauchte auch schon die Fähre auf. Ein breiter, ramponierter alter Kahn, dessen weiße Farbe schon längst abgeblättert war, legte an. Die Vordertür wurde geöffnet und heraus strömten um die fünfzig Menschen, die meisten auf Rollern oder Fahrrädern. Landmenschen mit kleinen Dreirad-Gefährten, motorisiert oder mit Fuß-Kraft betrieben, brachten Gemüse in die Stadt, hochbeladen türmte sich das Grünzeug auf ihren Karren. Während neben mir andere mit leeren Pritschen auf dem Weg nach Hause waren. Jugendliche mit poppigen T-Shirts und rotblond gefärbten und hochtoupierten Haaren, der neueste Schrei, saßen frech und lässig rauchend auf ihren Mopeds, Mütter mit Kindern suchten einen Platz am Geländer und alte Männer setzten sich schwermütig in irgendeine schattige Ecke und begannen schweigend zu rauchen.
Der Kahn legte ab und ans Geländer gelehnt spürte ich frischen Wind über den Fluss hin streichen, der etwas erlöste von der drückenden Hitze. Der breite Strom leuchtete auf, ganz in die Sonne getaucht.
Jenseits des Huangpu- Flusses radelte ich durch grüne Felder, Bäume und Häuser weit verstreut und fühlte mich glücklich…..aufatmend, so ländlich war alles um mich herum, ab und zu Kanäle, die vom Fluss nach Südosten zum Meer hin führten, das nicht weit entfernt war. Ich entdeckte, dass viele Menschen hier am Rande der Stadt in improvisierten Behausungen wohnten, in Hütten, Verschlägen, die kindlich zusammengebastelt aussahen, öfters sah man Gewächshäuser, die zu Wohnhäusern umgebaut worden waren. Die meisten dieser Hütten sahen anheimelnd gemütlich aus und erinnerten mich an die Hütten aus Ästen und Gezweig, die ich als Kind mit meinen Spielkameraden im Wald gebaut hatte, nur wenige sahen verwahrlost aus mit herumliegenden Autoreifen, Plastiktüten, Flaschen und anderem Gerümpel vor ihrer Tür.
Ein kleiner weißer Hund fiel mir auf, der am Rande der Straße im Dickicht herumschnüffelte. Ich hielt an, fotografierte ihn und dann trippelte der kleine Kerl davon und ein paar Kinder sprangen ihm lachend entgegen und später sah ich, wie sie alle in einem Gewächshaus verschwanden, das von Bohnensträuchern überwuchert war und dann tauchte ein Vater auf, der ein Fahrrad auf dem Rücken geschultert mit dem Roller wegfuhr und ein kleiner Junge, ein Mädchen und ein etwas älteres Mädchen schauten ihm nach. Die mannshohe wilde Wiese, leuchtend von gelben Blumen um sie herum. rahmte sie friedlich ein. Ich dachte, für Erwachsene, die in mehr bürgerlichen Verhältnissen lebten, waren sie Außenseiter und vielleicht wurden die Kinder in der Schule verachtet als arme Schlucker, die in einer Bude im Garten lebten. Aber für Kinder, die noch nichts von diesen Urteilen wussten, musste das schön sein, so in einem Garten zu leben.
Aber auch diese eher ländliche Gegend war zersiedelt, ab und zu tauchten Fabriken auf, kleine Siedlungen, die alle aus kleinen schmutziggrauen zweistöckigen Betonhäusern bestanden, verfallene Industrieanlagen, aber immerhin, es gab Platz zwischen dem Gemäuer, streckenweise konnte man sich so fühlen, als sei man endlich draußen.
Am nächsten Tag fuhr ich noch weiter raus.
Bis zum Meer. Es war weiter, als ich gedacht hatte. Ich war über drei Stunden unterwegs, nur um schwer enttäuscht zu werden. Das Meerwasser war eine dreckig braune Brühe. Wenn man seinen nackten Fuß ins Wasser stellte, war er nicht mehr zu sehen. Die braune Farbe kam nicht nur von der Verschmutzung her, sondern auch vom Sand, denn der riesige Yang Tse, einer der größten Flüsse Chinas, mündete in unmittelbarer Nachbarschaft Shanghais, im Norden der Stadt ins Meer und schleppte rieisge Mengen von Sand mit sich.
In der Nähe des Strandes gab es einen ganzen Straßenzug voller neu gebauter Hotels, die alle leer standen und halb schon verfallen waren. Niemand machte hier Urlaub. Wahrscheinlich waren die Hotels vor 20 Jahren gebaut worden, als das Wasser noch nicht so verschmutzt war. Trotzdem waren viele Menschen am Meer, Ausflügler die mit Rollern, Autos und Bussen gekommen waren. Der Strand zog sich bei Ebbe um die zwei Kilometer lang als dunkelbraune Ebene dem Wasser entgegen. Tausende von Menschen gingen barfuß lachend und in Ferienstimmung auf dem schlammigen Grund herum, suchten nach Muscheln, unter Steinen nach Krabben und Krebsen. Auch ich schritt barfuß über den Schlick und fühlte den Schlamm zwischen meinen Zehen emporquellen. Ach Shanghai, dachte ich traurig. Du Stadt am Meer, du könntest so schön sein,…
Die Kaltluftmaschinen waren schon repariert und funktionierten jetzt ganz ordentlich. Aber Internet hatte ich immer noch keines. Ich rief Anna an und sie sagte, ich müsse mich noch ein paar Tage gedulden, ich solle doch so lang zum „DutyRoom“ im Verwaltungsgebäude gehen. Dort könne ich sicher irgendwo Internet benutzen. Der „Dutyroom“ diente in den Semesterferien als Anlaufstelle für alle anfallenden Probleme, jeweils verschiedene Lehrer taten dort ihren Dienst. Ich wurde freundlich empfangen und die junge Frau schickte mich ins Nachbarzimmer, wo ein berufsmäßiger Beobachter, ein älterer Mann, vor ein paar Bildschirmen saß.
Er machte mir höflich und freundlich Platz und ich durfte seinen Computer benutzen. Da sah ich auf den Bildschirmen ungefähr zwanzig verschiedene Ansichten des Campus, die auch noch ständig wechselten, so dass ungefähr fünfzig verschiedene Kameras in Betrieb sein mussten, die das gesamte Gelände an allen wichtigen Punkten beobachteten.
Am nächsten Morgen hatte ich ein Treffen mit dem Direktor auf dem anderen Campus, wo ich mein Vorstellungsgespräch hatte. Unterwegs in der U-Bahn kam mir plötzlich dieser alt vertraute Geruch in die Nase, den ich aus meinen Jugendtagen kannte, ich schnüffelte herum und da war er wieder, ganz klar, eine Wolke Haschisch waberte auf mich zu und zwei junge Männer, ganz in schwarz gekleidet, standen neben mir, ohne mit der Wimper zu zucken, schweigsam, aber in Kiffer-Vertrautheit verschworen nahe zusammen und als ich sie mir näher ansah, nahm ich ein leichtes Grinsen wahr, das sie untereinander austauschten. Cool bleiben, nichts anmerken lassen, es ist gefährlich in China, Drogen zu sich zu nehmen. Ich kannte das genaue Strafmaß nicht, hatte aber ab und zu gehört, dass etwa Dealer erschossen wurden. Da war sie wieder diese Wolke, mein Gott, die mussten grade einen Joint geraucht oder schon öfter einen geraucht haben, so dass der Geruch in ihrer Kleidung hängen geblieben war, man hätte sie darauf aufmerksam machen sollen, sie waren in Gefahr…
Direktor Guo setzte sich mit mir zusammen, erklärte mir den Stundenplan und drückte mir ein paar Bücher in die Hand. Es waren nur 12 statt der im Vertrag vereinbarten 16 Stunden. Gott sei Dank. Herr Guo gab mir keinerlei Anweisung, wie ich seinen Unterricht gestalten sollte. Er nahm wohl an, dass ich das schon irgendwie in den Griff bekommen würde. Wahrscheinlich hatte er selbst keine Ahnung, wie man so was richtig macht. Er hatte einen Bachelor mit dem Schwerpunkt Deutsch und auch keine Lehrer-Ausbildung genossen. Ich hatte drei Fächer zu lehren, Deutsch Sprechen, Deutsch Schreiben und Wirtschaftsdeutsch. Acht meiner zwölf Stunden waren Sprech-Klassen
Im Büro der Deutschabteilung sah ich, dass eine der Sekretärinnen ein T-Shirt anhatte mit der Aufschrift „Cannabis“ und darunter den Aufdruck einer grünen Haschpflanze. Ich dachte, seltsam, heute Morgen die Kiffer in der U-Bahn und jetzt das. Ich schaute sie mit großen Augen an und sie grinste und hob die Hand zum „Victory“ Zeichen. Ich musste lachen.
Читать дальше