Ein wichtiger Entwicklungsprozess ist es, die Ohrgeräusche als festen Bestandteil des eigenen „Selbst“ zu akzeptieren. Sie sind existent und werden bleiben, ob das nun gewünscht ist oder nicht. Diesen Umstand kann ich nicht verändern, daher sollte ich versuchen ihn zu akzeptieren. Der Tinnitus ist weder Freund noch Feind. Er ist ein verlässlicher Begleiter, der immer da ist. Akzeptanz ist dabei nicht zu verwechseln mit einer passiven Resignation. Akzeptanz steht für eine aktive und bewusst getroffene Anerkennung der Ohrgeräusche. Die neutrale Anerkennung des Tinnitus ist die Saat, aus der langfristig eine unbeschwerte Freundschaft wachsen und reifen kann.
Tipps zum Umgang mit Tinnitus
Um das Ziel der Versöhnung mit den Ohrgeräuschen zu erreichen, ist die unangenehme Wahrnehmung des Tinnitus zu reduzieren. Diese Herausforderung ist gerade in der Anfangsphase häufig schwer zu meistern. Hier sind einige unterstützende Tipps für dich, die ich als nützlich empfinde.
1) Fokussiere dich auf die akustische Umwelt
Bei einseitiger Taubheit können weiterhin die Umgebungsgeräusche über das gesunde Ohr aufgenommen werden. Auch in ruhigerer Umgebung, wie etwa beim Joggen durch den Wald, kann ich meine auditive Wahrnehmung auf die Natur, die Atmung oder die Laufgeräusche lenken. Je mehr Aufmerksamkeit der akustischen Umwelt geschenkt wird, umso weniger Raum bleibt dem Tinnitus im Bewusstsein.
2) Lenke deine Achtsamkeit auf positive Höreindrücke
Ich versuche generell, meine Achtsamkeit im Alltag auf angenehm klingende Geräusche oder Stimmen zu legen. Das akustische Umfeld kann dabei aktiv gestaltet werden, zum Beispiel durch das Abspielen der Lieblingsmusik und einem plätschernden Brunnen im Garten.
3) Vermeide Hörstress
Akustischer Stress in Form einer schallintensiven Umgebung ist zu meiden, da dieser die allgemeine Sensitivität des Geräuschempfindens anheben kann.
4) Sorge für Entspannung und Auszeit
Tinnitus kann zu einem erhöhten Stresspegel und damit zu körperlichen und geistigen Spannungszuständen führen. Um diese abzubauen oder vorzubeugen, können regel-mäßige Entspannung und Auszeiten unterstützen. Ob die Verwendung von Techniken wie Yoga, Tai Chi und progressive Muskelentspannung, oder das Abschalten in der Natur, der Sauna oder der Badewanne – jeder Mensch findet individuell seinen inneren Ausgleich. Wo fühlst du dich wohl und entspannt?
Externer Stress, wie etwa im Berufsleben, lässt sich häufig nicht vermeiden. Jedoch sollte versucht werden, diesen zeitlich zu begrenzen und die Häufigkeit des Auftretens zu minimieren. Wird bereits ein erhöhter Stresspegel empfunden, ist das aktive Einschieben von Entspannung und Auszeit umso bedeutender. Denn je weniger Belastungen wir haben, umso gestärkter ist unser Nervensystem und umso höher kann die Toleranz hinsichtlich des Tinnitus ausfallen.
5) Sei Aktiv
Auf dem Sofa liegen und sich vom Tinnitus dominieren lassen, das muss nicht sein. Eine aktive Gestaltung der Freizeit zum Beispiel mit Sport, sozialen Kontakten und Erlebnissen sorgt für Abwechslung und Ablenkung von den lästigen Ohrgeräuschen. Auch wenn es manchmal schwerfällt sich aufzuraffen, eine gesunde Aktivität, ob alleine, mit Familie oder Freunden, ist meist lohnenswert. Durch sie schwindet der Tinnitus im Bewusstsein.
6) Vermeide Lautlosigkeit
Manche Monos haben mir berichtet, dass ein stilles Umfeld kontraproduktiv für die empfundene Intensität der Ohrgeräusche ist. Je weniger Umgebungsgeräusche vorhanden sind, umso größer kann die Bühne der Wahrnehmung für den Tinnitus werden.
7) Bette den Tinnitus ein
Monotone Hintergrundgeräusche, wie etwa ein plätschernder Bach oder ein Regenschauer, werden von vielen als beruhigend und unterstützend wahrgenommen.
Der Klang eines eingeschalteten Ventilators zum Beispiel eignet sich besonders gut, um damit unliebsame Geräusche zu verdrängen. Der Effekt dahinter ist das sogenannte „Weiße Rauschen“, bei dem zeitgleich viele unterschiedliche Schwingungen innerhalb eines Frequenzbands (mit konstantem Leistungsdichtespektrum) emittiert werden. Die Farbanalogie des Namens stammt im übertragenen Sinne vom weißen Licht ab. Der optische Eindruck für Weiß entsteht durch die Überlagerung aller Spektralfarben. Auf einem Monitor wird diese durch die additive Mischung von rotem, grünem und blauem Licht gleicher Intensität generiert. Die Verwendung von breitbandigen Hintergrundgeräuschen hat jedoch nur Aussicht auf Erfolg, wenn diese angenehmer als der Tinnitus empfunden werden. So gibt es Betroffene, denen ein weißes Rauschen hilft, während andere eher ein sanfteres rosa Rauschen oder Naturgeräusche bevorzugen. Dabei sollte bei der Lautstärkeneinstellung darauf geachtet werden, dass das Gegengeräusch den Tinnitus nicht übertönt, sondern vielmehr einbettet. Dieser Ansatz fördert das Erlernen der Akzeptanz des Ohrgeräuschs. Bei Monos existiert zusätzlich eine qualitative Besonderheit, die einem bewusst sein sollte, wenn Erfahrungsberichte über die Wirksamkeit von Hintergrundgeräuschen gelesen werden:
Bei einem normal Hörenden wird der Tinnitus aktiv von zum Beispiel weißem Rauschen auf dem betroffenen Ohr eingebettet. Bei einem Mono können über das vom Tinnitus betroffene taube Ohr keine Umgebungsgeräusche aufgenommen werden. Die Hintergrundgeräusche werden somit über das gesunde Ohr erfasst. Die Wahrnehmungsseite des Rauschens ist somit eine andere als die des Tinnitus.
Dennoch lässt sich für einen Mono mit etwas Übung der Freiraum des Ohrgeräusches im Bewusstsein mit Rauschen einschränken. Übrigens gibt es inzwischen eine Vielzahl von Apps, mit denen ein weißes Rauschen abspielbar ist.
8) Nimm Unterstützung an
Die Akzeptanz des Tinnitus kann eine sehr hohe Herausforderung darstellen, die häufig erst durch einen längeren Verarbeitungs- und Gewöhnungsprozess lösbar ist. Der Weg ans Ziel muss dabei nicht alleine gegangen werden. Durch Gespräche mit Freunden, Familie und anderen Betroffenen kann das Thema reflektiert, Lösungsansätze gefunden und das Wohlbefinden gesteigert werden. Zusätzlich kann professionelle Unterstützung dabei helfen, dass der Weg zur Akzeptanz des Tinnitus weniger steinig ausfällt und schneller von einem selbst begangen werden kann. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, zum Beispiel in Form von Selbsthilfegruppen, einer Reha oder psychologischen Therapieansätzen.
9) Technische Hilfsmittel
Der Einsatz eines Cochlea Implantats kann einem Mono helfen, den Tinnitus auf der ertaubten Seite zu reduzieren. Im Verlauf des Buches werde ich auf meine persönlichen Erfahrungen noch ausführlich eingehen.
Der Tinnitus in seiner Intensität ist der primäre akustische Eindruck, solange ich kein Cochlea Implantat verwende. Egal in welcher Geräuschumgebung ich mich befinde, der Tinnitus dominiert über die auditive. Ob Presslufthammer, Kreissäge oder Stille, die Ohrgeräusche stehen im Vordergrund. Gerade der lautstarke Verlust der Ruhe war für mich eine sehr prägende Erfahrung. Denn das Empfinden von Lautlosigkeit ist ein Grundpfeiler für die menschliche Entspannung. Ob in der Mittagspause, bei einem Spaziergang oder beim Einschlafen: Ruhe kann dem Menschen dabei helfen, innerlich zu entschleunigen und die Gedankenaktivität herunterzufahren. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Betroffene von chronischem Tinnitus temporär oder dauerhaft mit Einschlafstörungen leben. In der Anfangsphase meines Tinnitus habe ich zwei Auswirkungen beim Einschlafen registriert.
1) Unsere Ohren schlafen nie
Während der Sinn „Sehen“ ausgeschalten ist, überwacht unser Gehirn mit Hilfe des „Hörens“ permanent die Umgebung, auch im Schlaf. Es ist in der Lage, die hereinkommenden Signale nach ihrer Bedeutung zu filtern. Zum Beispiel kann ein Feueralarm oder das Weinen eines Babys unsere Aufmerksamkeit erregen und uns aufwachen lassen. Der gewohnte nächtliche Straßenverkehr vor dem Fenster wird ausgeblendet. Diese Fähigkeit ist evolutionär in uns verankert. Sie bewahrt den Menschen vor Gefährdungen und Hilflosigkeit während des Schlafzustands. Funktioniert die akustische Lokalisation nicht mehr, wird diese angeborene Schutzfunktion gestört. Das Ausbleiben der intuitiven, räumlichen Zuordnung der Geräusche kann dazu führen, dass das Gehirn beim Einschlafversuch in einen Alarmmodus schaltet. Der Körper empfindet Stress, der Adrenalinpegel steigt, die Hörsensitivität nimmt zu und ein Gefühl von Unbehaglichkeit stellt sich ein.
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