Wir fuhren mit ihr zum Seefahrtsamt. Nach kurzer Zeit kam sie zurück und sagte uns: „wir müssen zurück in die Stadt nach Wismar fahren. ich muss mir Kleidungsstücke kaufen, denn in etwa sechs Stunden soll ich mich an Deck melden und in acht Stunden beginnt meine erste Reise nach Beirut.“
Sie hatte nur Kleidungsstücke für diesen einwöchigen Lehrgang bei sich, wir waren geschockt. Beirut galt zu dieser Zeit als Kriegsgebiet. Hatten wir einen schwerwiegenden Fehler gemacht, in dem wir sie nicht von der Bewerbung für diese Tätigkeit abhielten?
Wir hatten uns umsonst Sorgen gemacht. Sie ging vollkommen auf in ihrem neuen Beruf. Sie kam in Länder, in Häfen, in Städte, von denen die meisten DDR-Bürger nur die Namen aus den Massenmedien kannten. Außer in Albanien und dem Libanon hatte sie Landgang. Allerdings mussten die Seeleute immer zu dritt oder viert an Land gehen, da die Kriminalität in vielen dieser Länder sehr hoch war und ein blondes mitteleuropäisches Mädel sehr schnell von den Einheimischen als „Freiwild“ angesehen wurde.
Vor einem geplanten längeren Urlaubsaufenthalt unserer Tochter zu Hause kam mir wieder einmal eine Idee, die allen damals Beteiligten ganz bestimmt unvergessen blieb.
In den meisten Tageszeitungen der DDR wurden wöchentlich die Routen und Hafenliegezeiten der Schiffe der Handelsflotte veröffentlicht. Jeder einzelne unserer Kollegen im Kabarett war auf diese Weise informiert, wo sich unsere Tochter aufhielt und wann ihr Schiff wieder den Heimathafen Wismar erreichen wird.
Als nun das Schiff, es war die „MS Inselsee“, auf Heimatkurs war, erzählten wir den Kabarettisten, “unsere Tochter bekommt keinen Urlaub. Nach einer kurzen Hafenliegezeit geht es wieder für mehrere Wochen ins Mittelmeer“, was aber so nicht stimmte.
Das zu dieser Zeit laufende Programm hieß, „Nonsens plus Ultra“.
Nach der Pause kam ein Kabarettist zu uns in den Bar Raum, das Programm lief mit den anderen Akteuren weiter. Zur nächsten Szene begab sich dieser Kabarettist in den Zuschauerraum, um das Lied „Der Blunschlie“ zu singen.
Ein Lied ohne Sinn und Zusammenhang, dem Programm, „Nonsens plus Ultra“, entsprechend. Wir hatten die Aufgabe ein Glas mit einem Getränk, je nach Wunsch dieses Kabarettisten, zu füllen. Wenn sich dann der Kabarettist wieder in den Zuschauerraum begab den „Blunschlie“ zu singen, folgte ihm meine Frau mit diesem Getränk und reichte es ihm zu Beginn der zweiten Strophe. Er trank dieses Glas aus und begann den „Blunschlie“ zu singen, begleitet am Klavier von unserm Pianisten. Irgendwann kam ich auf die Idee, ein Getränk zusammen zu mixen, welches auf keinen Fall für menschliche Geschmacksnerven bestimmt war.
Dieses „Gesöff“, wir vertauschten die Gläser bevor beide in den Zuschauerraum gingen, überreichte ihm dann meine Frau vor Beginn der zweiten Strophe des „Blunschlie“.
Er trank es wie immer, ohne das Glas abzusetzen, aus und der Pianist verstand nicht, was plötzlich geschehen war. Ein leises Stöhnen und Röcheln ging durch die Stille des Zuschauerraumes. Der Gesang der zweiten Strophe blieb aus und unter nicht definierbaren menschlichen Geräuschen, mein schlechtes Gewissen hatte sich schon längst gemeldet, bewegte sich der „Blunschliesänger“ in Richtung Garderobe.
Zu unserem Glück war der Pianist ein wahrer Meister seines Faches, der schon an vielen Theatern der Republik engagiert war und somit erfahrungsbedingt wusste was zu tun war, um die „missliche Lage“ zu retteten. Er „haute“ in die Tasten und „trällerte“, unter tosendem Beifall der Zuschauer die nun anstehende zweite Strophe. Die weiteren beiden Strophen ersparte er sich und dem Publikum. Als Pianist war er unschlagbar, aber als Sänger, ungenießbar!
Trotz alledem waren die Zuschauer begeistert wie schon lange nicht mehr.
Nach dem Programm gab es wieder einmal viel positive Resonanz von den Beteiligten und den Zuschauern. Wiederholt haben wir es aber nie, denn solche Aktionen gelingen meiner Meinung nach nur einmal gut.
Unsere Tochter kam auf Urlaub und keiner der Kollegen wusste es. Wieder einmal hatte ich die Möglichkeit „den Laden aufzumischen.“ So bezeichneten die Kabarettisten inzwischen meine Aktionen.
Nach Beginn der Vorstellung kam unsere Tochter ins Kabarett, keiner der Akteure wusste davon. Sie versteckte sich im Wirtschaftsraum, an dem meine Frau und der Kabarettist vorbeigingen, bevor es zu der bewussten Szene des “Blunschlieliedes“ kam.
Beide setzten sich in Bewegung. Die Tür des Wirtschaftsraumes war nur angelehnt und meine Frau verschwand unbemerkt hinter dem Kabarettisten im Wirtschaftsraum und vollzog einen fliegenden Wechsel mit unserer Tochter. Sie schloss sich nun dem Kabarettisten an. Nachdem er die erste Strophe gesungen hatte drehte er sich um, griff aber nicht wie gewohnt zum Glas. Der Pianist roch schon den Braten. Er konnte zwar den Sänger sehen, doch nahm er unsere Tochter, durch das Scheinwerferlicht nicht wahr. Da ihm der Sinnesausfall seines Partners auffiel und obwohl er den Grund nicht erkannte, rettete er diese Situation.
Er begann die zweite Strophe zu singen, während der Kabarettist kopfschüttelnd in der Garderobe verschwand. Er hatte sich gewundert wieso meine „Frau“, nun aber unsere Tochter, plötzlich blonde Haare hatte. Daher war ihm der Text entfallen. Durch den Erfolg, den diese Szene eingebracht hat, waren wir alle fröhlich und genossen den Abend in vollen Zügen.
Es mussten natürlich auch Szenen dargeboten werden, die mit der „Sozialistischen Gegenwart“, im Sinne der Verbundenheit zu diesem Staat, zu tun hatten. Um dem gerecht zu werden, studierten die Kabarettisten eine ganz besondere Szene ein. Alle fünf Mitglieder des Ensembles saßen auf der Bühne und hatten eine Brigadeversammlung darzustellen, in der das Wettbewerbsprogramm für den „Sozialistischen Wettbewerb“ verabschiedet werden sollte.
Da die Tische im Zuschauerraum sehr klein waren fanden kaum andere Dinge auf ihnen Platz, so eben auch die Getränkekarte nicht. Damit sich unsere Gäste jedoch einen Überblick über unser Angebot verschaffen konnten, befand sich am Eingang ein kleines Wandbord, auf dem wir leere Flaschen unseres Getränkeangebotes, mit einem jeweiligen Preisschild deponierten. In der ersten Flasche befand sich eine kleine Papierrolle, eben dieses bewusste „Wettbewerbsprogramm.“ Ich kam auf die Idee, diese Flasche vor dem Programm mit einem Korken zu verschließen.
Die „Brigadeversammlung“ begann. Niemand ahnte was noch folgen würde. Zu Beginn wurde über die bisher erbrachten Leistungen im „Sozialistischen Wettbewerb“ diskutiert. Danach sollte die Besprechung über das neue Programm, mit der Schlussendlichen Verabschiedung des neuen Wettbewerbsprogrammes folgen. Doch das dazu benötigte Programm war nicht aufzufinden. Alle fünf Akteure suchten nun dieses „Programm“. Unter anderem auf der Bühne, unter und auf den Tischen der Gäste, und plötzlich sagte einer von ihnen:
„ach Klasse, ich hab`s endlich gefunden, da ist es!“ Er nahm meine präparierte Flasche, drehte sie um, doch da war es, zum Erstaunen der Kabarettisten, nicht. Der Techniker, dem meine Frau und ich Bescheid gesagt hatten, und wir zwei, mussten uns in unseren „Verstecken“ auf die Zunge beißen. Den Kabarettisten war sofort klar, wer da wieder mal seine Hand im Spiel hatte. Sie sahen sich an, lachten, zuckten mit den Schultern und einer rettete die Situation, oder er wollte sie retten, indem er sinngemäß sagte: „Was soll`s, wenn wir kein Programm haben, dann müssen wir ja an diesem „Sozialistischen Wettbewerb“ nicht teilnehmen!“
Sie beendeten die Szene und alle waren der Annahme, die Lage sei gerettet. Aber es kam ganz anders!
Tage später wurde unser Direktor zur „Konzert-und Gastspieldirektion“, denen das Kabarett unterstellt war, zum Rapport beordert. Wir konnten nie in Erfahrung bringen wer eine Beschwerde über diese Szene, die nicht im „Sozialistischen Sinn“ war, bei der Abteilung „Kunst und Kultur“ beim „Rat des Bezirkes Gera“ abgegeben hatte. Ich weiß, der Direktor der „Konzert und Gastspieldirektion“ und unser Direktor haben sich über diese Szene genau so lustig gemacht, wie alle Beteiligten und der überwiegende Teil der Zuschauer an diesem Abend. Was sagte uns das- weiter machen, aber vorsichtiger!
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