Edward Mosch
Roman
„Der Koch und seine Toten“
1
Gegen siebzehn Uhr dreißig betrat Benno Wolf in Halberstadt die Küche des Hotels ‚Brockenblick‘, um sie für das Abendgeschäft vorzubereiten. Er machte das Licht an, ließ Wasser ins Bain-Marie, entzündete zwei der Gasflammen am Herd und fing an, ein wenig Velouté und Demi Glace aufzukochen und mit einem Schneebesen glatt zu rühren. Sein Chef rechnete mit einem schwachen Geschäft an diesem Sonntagabend. Darum machte er nur wenig von den beiden Grundsaucen warm und dazu etwas Sauce Bolognese, goß sie in Wasserbadkasserollen, stellte sie im dampfenden Bain-Marie warm, schaltete die Friteuse ein und sah nach, ob er Zitronenscheiben nachschneiden mußte, ob genug gehackte Petersilie da war und ob das Mehl in der flachen Schale sauber war, in der er Fleischstücke wälzen würde.
Wenn tatsächlich wenig zu tun war, dann sollte er nebenbei eine Kalbskeule ausbeinen und zerlegen, dann wäre für morgen vorgesorgt. Er zog den Wetzstahl aus der Messertasche, tauchte ihn kurz ins Wasserbad und begann mit raschen Bewegungen das Fleischmesser abzuziehen. Das gleichmäßige, helle Schleifgeräusch wurde von den gekachelten Wänden zurück geworfen und mitten in diesem singenden Ton gab es etwas, das ihn störte. Es war ihm erst nicht bewußt, daß es so war, und schon gar nicht, was ihn störte. Dann blieb sein Blick auf der offenen Messertasche hängen. Von da kam die Beunruhigung her. Benno Wolf legte Wert darauf, sein Werkzeug sauber und komplett bei sich zu haben, und jetzt spürte er dunkel etwas Unregelmäßiges, Falsches und das war dicht bei ihm. Dann begriff er. Sauber nebeneinander steckten sein Officemesser, das große Schlagmesser, das Tourniermesser, das Tranchiermesser und sein Filetiermesser in ihren Halterungen. Die Stelle, an der das Ausbeinmesser sein sollte, war leer. Er hörte auf zu schleifen und starrte die Messertasche an. Zum Ausbeinen der Keule würde er das Ausbeinmesser brauchen. Wo hatte er es liegenlassen? Heute war sein dritter Arbeitstag als Alleinkoch in diesem Hotel. Vieles war hier noch ungewohnt und vermutlich war das Messer irgendwo liegengeblieben, weil ihn etwas abgelenkt hatte. Jetzt ging er in Gedanken durch, für was er es zuletzt benutzt haben könnte. Freitag war Salat angeliefert worden, zwei Pakete Frittierfett, Tomatenmark und Pilzkonserven. Bis auf den Salat waren das Sachen, die er in den Keller, ins Magazin gebracht hatte, nicht ins Kühlhaus, welches draußen im Hof stand. Er ging nach unten. Eine schmale, gewundene Treppe aus Stein führte in den Keller. Er mußte, obgleich nicht besonders groß, den Kopf einziehen und ekelte sich wieder vor dem fauligen, schwer süßlichen Blutgeruch, der ihm von unten entgegenkam.
Sein Chef, Horst Winter, fünfundsiebzig Jahre alt, ging regelmäßig zur Jagd und hatte die Angewohnheit, die Köpfe der erlegten Rehe oder Sauen als Jagdtrophäen in einer halb mannshohen Tonne im Keller, neben dem Magazin, aufzubewahren, bis die Fäule soweit fortschritt, daß der Geruch oben bei den Gästen ankam, so hatte Victoria, die Frau seines Chefs, hinter vorgehaltener Hand geklagt. Benno mochte deswegen und wegen seiner Enge das Magazin nicht. Aber er mußte sich dort auch umziehen, weil es keinen anderen Raum dafür gab. Er machte Licht und quetschte sich, den Bauch einziehend, zwischen den aufeinander gestapelten Kartons und den Kartoffel- und Zwiebelsäcken durch, bis zu den Paketen mit dem Frittierfett. Vielleicht hatte er eines aufgeschnitten, um einen Block Fett mitzunehmen. Das Messer war nicht da. Beim Rückweg sah er in den Nebenraum, wo die Tonne mit den Köpfen stand. Konnte ja sein, daß sich der Chef sein Messer ausgeliehen hatte. Nichts. Aber am Freitagmorgen war doch auch der Metzger dagewesen mit vakuumierten Oberschalen, Filets und ein paar Roastbeefs.
Benno tappte, so rasch es ihm möglich war, die Treppe hoch und wunderte sich, warum er nicht gleich darauf gekommen war. Ein Roastbeef hatte er gleich im Hof aus der Verpackung geschnitten, um nicht wegen ihr erneut zu den Müllcontainern laufen zu müssen, die beim Kühlhaus standen, und war dann mit dem Fleisch in die Küche gegangen, hatte es pariert, einen schönen Fettstreifen stehen gelassen und dann gleichmäßig große, tiefdunkelrote Rumpsteaks daraus geschnitten, sie in eine Chromarganschale gelegt und mit Öl übergossen. Sicher lag das Messer da, wo er die Verpackung aufgeschnitten hatte.
Es war jetzt kurz nach achtzehn Uhr, eine erste Bestellung könnte jeden Moment kommen. Rasch lief er den Gang entlang, der zu den Toiletten führte und der an seinem Ende einen Ausgang zum Hof hatte. An diesem Oktoberabend war der Hof schon dunkel wie eine schwarze Grube, in die er hineintappte, erst allmählich erkannte er die Umrisse des Kühlhauses, die Rückwand des Hotels, die schwache Lampe über dem Hinterausgang, die drei Stufen, die in den Hof führten. Und dann die Gestalt, neben der Treppe sitzend, mit dem Rücken an der Hauswand lehnend. Wie beim Friseur, dachte Benno, denn wie beim Haareschneiden trug die Gestalt von den Schultern bis zum Bauch, die ganze Brust verdeckend, einen Umhang. Benno Wolf sah hin, einmal, zweimal und mit jedem Mal war ihm mehr, als gäbe der Boden unter ihm nach und er schwebe frei in der Luft. Der Gestalt, die da saß, fehlte der Kopf und der Umhang war kein solcher, sondern das ausgeströmte Blut, das den Menschen dort wie auf einem Frisierstuhl, unter einem Tuch wartend, aussehen ließ. Und gleich daneben lag sein Ausbeinmesser.
„Nicht erschrecken!“
Aus dem Schatten trat ein großer, hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren auf Benno Wolf zu und zeigte mit einer abwehrenden Geste auf den Toten. Benno sah, daß seine Hand zitterte.
„Szymczak. Dr. Filip Szymczak.“ Benno Wolf trat zwei Schritte zurück, Richtung Hauseingang, um zu flüchten. Er war etwas korpulent geworden in den letzten Jahren, und dieser Mann hatte längere Beine. Bevor er die Treppe erreichte, würde ihn der… Benno blieb stehen. Wenn jetzt sein Chef dazu käme, dachte er, wenn man ihn so stehen sah, in der Lage. Und gerade hatte er diese Stelle angetreten. Man kannte ihn noch gar nicht, würde kein Vertrauen zu ihm haben und ihn sogar verdächtigen. Was sollte er jetzt tun in dieser Lage?
„Oh Gott“, sagte Benno und setzte sich auf die unterste Treppenstufe.
„Wir könnten es so machen“, hörte Benno das nervöse Haspeln von Szymczaks Stimme, „daß Sie mich hier nicht gesehen haben und ich sah Sie auch nicht, darauf könnten Sie sich absolut verlassen!“
„Machen wir es so“, flüsterte Benno, erhob sich und wollte die Treppe hochkriechen. Die Tür über ihm öffnete sich, Licht fiel heraus und Victoria, die Frau seines Chefs, stand da.
„Zweimal Zigeunerschnitzel, einmal mit Fritten, einmal mit Reis. Die Salate können schon kommen.“
Sie sah ihn an und stieg die paar Stufen hinab in den Hof.
2
„Das ist meines“, flüsterte Benno, als ihm Kommissar Riemschneider das Ausbeinmesser unter die Nase hielt. Er hockte immer noch auf der Treppe und war wie betäubt. Er spürte es kaum, wenn ihn einer der vorbei gehenden Leute streifte. Alles hatte so gut angefangen mit der neuen Stelle. Er verdiente etwas weniger Geld, als in seinem alten Job in Neuss, aber seine Chefs, das Wirtsehepaar Winter, waren erstaunlich fürsorglich und hatten ihm sogar ein Zimmer am Rand der Innenstadt besorgt.
Er sah, wie ein Polizist an Riemschneider herantrat.
„Das sind handgefertigte italienische Schuhe. Ganz neu, ein bißchen Blut ist in einen reingelaufen. Stammt vermutlich vom Opfer. Im linken Schuh klebt noch das Etikett mit den Daten und dem Firmennamen darin, wogegen es im rechten fehlt“, sagte der Mann. „Und die Schuhe stehen vor den Füßen des Toten. Seltsam.“
„Sicher hat er sie sich nicht selbst ausgezogen im kühlen Hof. Das muß der Mörder getan haben“, meinte der Kommissar. „Ist schon merkwürdig!“ Benno sah erst jetzt die Schuhe. Der Polizist gab Riemschneider etwas in die Hand. „Der Ausweis des Toten“, rief der Kommissar, „lautend auf den Namen Pietro Marconi. Italienischer Staatsbürger. Kennt jemand den Namen?“
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