Die Arbeit war ziemlich einfach gewesen: Dicke Steaks für die Zuhälter, so englisch gebraten, daß das Blut raus spritzte, wenn sie das Fleisch anschnitten und Salate mit Ei für die Damen. Aber dann übernahm ein neuer Besitzer den Laden und der wollte es auf asiatisch haben. Die Mädchen waren jetzt vor allem Koreanerinnen und Vietnamesinnen, das Essen war danach: fernöstliche Spezialitäten. Für den neuen Chef rechnete es sich, er legte finanziell zu und konnte sich in Ruhe von den Nutten kraulen lassen. Benno verlor seine Stelle, weil er asiatische Küche nicht konnte. Er suchte nach einem neuen Job und merkte auf einmal, daß es von Thai-Kneipen, Sushi-Bars, vegetarischen Lokalen, türkischen, italienischen, spanischen Restaurants nur so wimmelte. Aber er konnte weder japanisch noch türkisch kochen, sondern nur deutsche Küche und das, was auf der Karte als ‚international‘ bezeichnet wird: Cordon bleu, Boeuf Stroganoff und so weiter. Einen so ausgerichteten Laden fand er in Halberstadt.
Benno blickte den Kommissar an.
„Nö, bös bin ich denen nicht und es hat ja auch was Gutes: Ich wohn endlich näher bei meiner Freundin als früher.“
„Aber Sie mußten bis hierhin gehen, um noch was für sich zu finden. Überall Türken, Libanesen und so weiter. Und die kommen auch immer mehr nach Halberstadt. Kriegen Sie nicht manchmal Angst oder vielleicht auch einen Haß auf die?“
Benno schüttelte den Kopf. Plötzlich sah er das Gesicht des Kommissars ganz dicht über sich und hob abwehrend die Hand.
„Sie machen mir was vor! Sie sind wegen der Ausländer rausgeflogen und hier schleichen die Ölaugen auch schon überall herum, machen ihre stinkenden Dönerbuden auf und deutsche Kneipen machen dicht. Und dann läuft Ihnen noch dieser Pietro Marconi vor die Füße, hier, mitten in Ihrer neuen Existenz. Ein Kerl, wie ein Orientale, Prachtexemplar von einem schwarzhaarigen Kanaken.
Da ist bei Ihnen was durchgebrannt. Da konnten Sie gar nicht anders. Geben Sie es zu!“
Es klopfte. Benno zuckte zusammen. Sicher war sein Kalender gelesen worden und jetzt kam Milana.
„Herr Brünn ist da“, meldete ein Polizist von der Tür her.
„Soll eintreten.“
Benno sah einen uralten, eisgrauen Mann in der Tür stehen. Er war in einen schwarzen Anzug gekleidet. Unter dem Jackett trug er eine dunkle Weste und Benno war es einen Moment so, als sähe er die silberne Kette einer Taschenuhr darauf blinken. Die Winters und Szymczak erhoben sich von ihren Plätzen. Die beiden Beamten machten bei der Begrüßung eine Verbeugung vor Brünn und nannten ihn ‚Herr Stadtrat‘. Benno erhob sich. Richard Brünn ging langsam von einem zum anderen um den Tisch herum und gab jedem die Hand. Szymczak war eilig auf Brünn zugegangen und stand nun dem Alten im Weg, als der Herrn Winter begrüßen wollte. Offensichtlich hatte Szymczak geglaubt, Brünn würde sich zuerst ihm zuwenden. Der musterte jetzt seinen Verwandten und sah auf dessen Schuhe.
„Filip Szymczak mein Name. Doktor Szymczak. Bitte sehr um Verzeihung, Ihnen unter diesen Umständen begegnen zu müssen.“ Szymczak wendete sich gequält ab und strich sich mit der Hand über die Augen.
„Mein Junge, die Umstände sind nicht so schlimm, wie deine ausgelatschten Schuhe. Morgen kaufe ich dir was Anständiges.“ Er wandte sich zu den beiden Beamten.
„Was hat er verbrochen?“
Es klopft, dachte Benno. Er lehnte sich sachte gegen die Wand und horchte auf sein Herz.
„Ja, mit so einem Ding, mit einem Ausbeinmesser.“ Der Kommissar erklärte Brünn, was passiert war.
Es sitzt weiter oben, dachte Benno. Kann das sein, daß es in den Hals steigt? Milana wird alles erfahren. Er fühlte mit dem Finger nach. ‚Geben Sie es zu‘, hatte ihn Riemschneider aufgefordert. Benno sah die Leute an, die sicher alle glaubten, daß er es getan hatte. Sie kamen ihm wie eine Mauer vor. Mit den Fingern könnte er sie erreichen, die Wand dieser Falle, in der er saß. „Erst muß er versucht haben, den Kopf mit einem großen Fleischermesser abzutrennen“, erklärte der Kommissar, „das machte aber im Kehlkopfbereich und an den Halswirbeln Probleme. Da war das große Messer kaum zu gebrauchen, die Spuren zeigen es. Scheint von Werkzeugen was zu verstehen, er hat dann das Ausbeinmesser genommen.“ Benno merkte, daß ihn alle ansahen. Der Kommissar begann wieder mit seinen Rundgängen um den Tisch, an dem die anderen Platz genommen hatten. Benno wollte sich nicht setzen, fühlte plötzlich Victoria Winters Hand an seiner Schulter und ließ sich zum Stuhl schieben. Jetzt blieb der Kommissar hinter ihm stehen. Benno sah ihn nicht, aber er fühlte sich erneut aufgefordert, etwas zu tun, zu sagen, eine Erklärung zu liefern. Der Kommissar ging weiter und kam Benno ins Blickfeld. Er sah ihm nach, solange das möglich war, ohne den Kopf zu drehen. Dann spürte er ihn erneut hinter seinem Rücken, während der zweite Beamte sich in Bewegung setzte, auf der gegenüberliegenden Tischseite stehen blieb, und ihn ansah. Immer nur ihn. Benno setzte sich.
„Sie sagten, daß Pietro Marconi um fünfzehn Uhr fünfundvierzig bei Ihnen eincheckte, Herr Winter. Kurz nach achtzehn Uhr entdeckte der Koch die Leiche. Marconi muß also zwischen sechzehn und achtzehn Uhr ermordet worden sein.“ Winter nickte Riemschneider zu. Benno fühlte auf seinem Kopf die Atemwärme des Kommissars, der hinter ihm stand. Er sah, daß Victoria aufstand, und wunderte sich darüber.
„Benno! Ich sah Sie“, Victorias Stimme klang dünn und schwach, „Benno, ich sah Sie um kurz nach fünf im Hof.“ Es wurde ganz still im Raum.
Er blickte Victoria an, sie hob die Hände und hielt sie, als sollte er etwas hineingeben.
„War ich nicht“, Benno hörte seine Stimme krächzen, „da war ich nicht.“
Benno kam es so vor, als kröche dieser Beamte der ihn ständig ansah, über den Tisch auf ihn zu.
„Achtzehn Uhr fing Ihr Dienst an.“ Herr Winter sprach wie zu sich selbst.
„Und was machen Sie dann kurz nach siebzehn Uhr im Hof?“
„Das war ich nicht. Erst fünf vor halb sechs kam ich ins Haus.“ Kommissar Riemschneider stellte sich neben Benno auf.
„Ein Motiv, Herr Wolf, Sie hatten ein Motiv über den Südländer herzufallen! Und Sie wurden im Hof gesehen. In der fraglichen Zeit.“
„Das muß ein Anderer gewesen sein“, sagte Benno. Riemschneider setzte sich auf einen der freien Stühle und blickte Victoria an.
„Erzählen Sie nochmal, was haben Sie gesehen und wann?“
„Ich kam von der Stadt ins Haus und bin in den Saal gegangen, um zu sehen, wie weit unser Kellner mit dem Eindecken ist. Es war so fünf nach fünf. Da sah ich jemanden draußen durch den Hof gehen.“
„Wo ging der hin?“
„Weg vom Haus, zur Gasse hin, die hinter dem Hof lang geht.“
„Die Person schien also das Grundstück zu verlassen?“
„Ja. Und sie hielt in jeder Hand ein kleines Ding. Konnte es nicht erkennen.“
„War die Person Ihr Koch, der Herr Wolf?“ Victoria knetete die Hände und dachte nach.
„Ich sah ihn ja nur von hinten und es wurde schon dämmerig. Aber ich habe gleich gedacht, was macht der Koch um die Zeit da hinten?“
„Woher wissen Sie, daß es ein Mann war, kann es nicht auch eine Frau gewesen sein?“
„Das war ein Mann. Ich sah es an den Bewegungen.“
„Sicher haben Sie die Person aber nicht erkannt?“
„Nein.“
„Ihren Mann haben Sie nicht aufmerksam gemacht?“
„Nein“, mischte sich Winter ein, „wir hatten an dem Tag viel zu tun.“ Er nahm seine Finger zu Hilfe und zählte daran ab.
Um halb zwei traf ich mich mit meiner Frau in der Stadt. Wir besuchten dann einen Kollegen im Krankenhaus. Victoria war anschließend bis gegen fünf Uhr in einem Vortrag im Gleim Haus. Und ich saß im Hotel mit unserem Kellner zusammen, um über die Gesellschaft zu sprechen, die wir am Wochenende zu Gast haben. Kurz vor vier kam Marconi, der sich vor zwei Wochen anmeldete. Der Kellner blieb den Abend über bei uns.“
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