Aus einem Briefe vom 18 - 23. März.
Den 18. März
Timotheus kam gut, aber doch auch geschwächt im Glauben zurück. Sie schwächten ihn mit lauter guten Worten und Vorstellungen wegen seiner Mutter, künftigen Versorgung etc. Arnet (Prof., nachher Prälat im Kloster St. Florian) begleitete ihn zu Fuß fast bis hierher (Gallneukirchen) und machte ihm tausend reizende Vorstellungen [So viel Mühe gibt sich der T. und die Welt, eine Seele von Christo wegzulocken! Sie haben ihn so lange bearbeitet, bis sie ihn am Ende ganz verwirrt und verrückt machten. Gott aber hat sich seiner wieder erbarmt.]. Bertgen gefiel ihm am besten; denn dieser hatte den Blitz der Gnade im Herzen; er ists allein, der da sieht und uns versteht. Die anderen haben den Blick in die Wunden und auf das Kreuz Jesu nicht. Gott sei Dank, dass er uns doch Bertgen geschenkt hat. „Legen Sie ihnen nur nichts Schriftliches vor, sagt er immer, sie finden nichts, als Ketzereien.“ Timotheus sieht erst jetzt recht ein, dass sie blind sind und ihn nur in die Grube hätten führen wollen. Er erholte sich gleich wieder.
Von H. Leo hören wir, dass er geradewegs zu Dir sei. Sag mir doch von diesem Leo etwas, denn ich sah außer seinen Briefe Nachts 12. Uhr nichts von ihm. Mir aber war er damals ein Engel des Herrn, der uns mit den Büchlein große Freude machte zur rechten Zeit. - Beruhige den S[ailer] und sag ihm nicht, was sie in Linz von ihm alten. Der Bischof und Andere denken wohl besser von ihm. Es liegt auch nichts daran, was die Blinden von der Farbe sagen. - Da kannst Du sehen, wie die hochgelehrte Welt Alle Schwärmer heißt, die nicht so in der Finsternis sitzen, wie sie. Das ist doch entsetzlich, dass die Finsternis; auf dem Leuchter sitzt und das Licht Finsternis heißt. Kein Wunder, dass unser Licht nach Linz musste, ihnen zum Zeugnisse, und uns, dass wir inne würden, wie finster diese verwirrten Sterne sind. Ach wüsste ichs noch nicht!
Den 20. März
Meine Hausleute sind zu dieser Pestzeit, wo nicht ganz abgefallen, doch äußerst schwach im Glauben geworden, dagegen sind viele, viele Andere auferstanden. Christus ist diesen zum Fall, jenen zur Auferstehung. Timotheus grüßt, liebt und bittet Dich um etwas Trost und Stärkung von Dir. Tempus enim pessimum (die schlimmste Zeit). Wir sind wie Schlachtschafe. Alle Tage wissen wir nicht, wenn man uns jagt und schlachtet; indes bau ich Haber, Gerste und allerlei Kräuter, als ob ich noch ernten wollte. Bin nun bald 5 Jahre hier, lang genug! Ich grüße alle Deine Leute, sie sollen frischan glauben, dass sie durch Jesu Tod strafsündenfrei und selig werden, aber dafür sollen sie Ihm frischan gehorsam sein, fromm leben, brav arbeiten und alle guten Werke tun; das ist allein der Beweis, dass sie recht und wahr glauben. Gnade und Friede Christi mit Dir.
Eine Stimme aus der Ferne für Boos.
Sailer an Bertgen.
[Dieses Schreiben darf nicht in dieser Geschichte fehlen, da es das hellste Licht über Boos verbreitet und von einem Manne kommt, der unter allen Zeitgenossen des verfolgten Boos der genaueste Kenner seine Herzens und seines Glaubens, also der kompetenteste Richter in seiner Sache ist.]
Den 10. Mai 1811.
Länger kann ich nicht mehr schweigen. Die Mannhaftigkeit, die Klugheit und die Liebe für das apostolische Christentum, womit Sie unsern hart gequälten Boos in seiner Gewissens- und Glaubens-Angelegenheit aufrecht gehalten haben, hat mich mit so viel Freude, Verehrung und Liebe gegen Sie durchdrungen, dass ich Gott dafür nicht genug danken kann, und gegen Sie selber mein Herz ausgießen muss.
Es gibt Einen heiligen katholischen Glauben, aber dieser katholische Glaube kann 1. mechanisch auswendig gelernt, 2. scholastisch begriffen, 3. im geistlichen Sinn (der Geistige richtet Alles geistig) erfasst werden, d. h. es gibt unter uns Katholiken a) mechanische, b) scholastische, c) geistliche Christen.
Boos ist geistlich-katholischer Christ. Was dem mechanischen Christen Buchstabe, was dem scholastischen Begriff, das ist ihm Geist und Leben, sein Gemüt ist geistlich katholisch; denn er fasst und beurteilt alle Lehren der katholischen Kirche aus dem Gesichtspunkte des Geistes, des innern Lebens, der Innigkeit, der Gottseligkeit. (Was nicht wohltätig auf das Innere wirkt, das ist ihm nichts.) „Darum verketzert ihn der scholastische Begriff, darum fürchtet sich vor ihm der Buchstabe des mechanischen Christentums. Seine Ausdrücke sind dem mechanischen Christen anstößig, und manche mögen nach strenger Form geprüft, auch nicht waagerecht sein. Aber nach dem Geiste geprüft (tiefer durchforscht), sind sie es.
Sagt das Tridentinum, selbst Sess. VI. c. 7. (Sailer führt es wörtlich lateinisch an - ich wills für deutsche Leser deutsch geben.)
1. Der Zweck oder die Absicht der Rechtfertigung ist die Ehre Gottes und Christi und das ewige Leben.
2. Die hervorbringende Ursache ist der barmherzige Gott, der uns umsonst von Sünden abwäscht, heiligt, versiegelt und salbet mit dem versprochenen heiligen Geiste, der das Pfand unseres Erbes ist.
3. Die verdienende Ursache ist der allerheiligste eingeborene Sohn Gottes U. H. Jesus Christus, der, da wir noch Feinde waren, aus übergroßer Liebe durch sein allerheiligstes Leiden am Kreuze uns die Gnade der Rechtfertigung verdiente und seinem himmlischen Vater für uns genug tat.
4. Das Instrument oder Denkmal, wodurch uns diese Rechtfertigung zufließet, ist das Sakrament der Taufe, welches das Sakrament des Glaubens ist.
5. Endlich die Wirkung davon ist die Gerechtigkeit Gottes, nicht womit Gott selbst gerecht ist, sondern womit er uns gerecht macht.
Wenn man diese Worte erwägt, fährt Sailer fort, so sagen sie: Die Rechtfertigung ist das Werk des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes durch die Verdienste Christi, d. h. Gott durch Christus im heiligen Geiste macht gerecht.
Im 8. Kap. sagt der Kirchenrat: Wir sagen, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt werden und dies darum: weil der Glaube der Anfang des menschlichen Heils ist, das Fundament und die Wurzel aller Rechtfertigung, ohne welche es unmöglich ist, Gott zu gefallen, und zur Gemeinschaft seiner Kinder zu gelangen. Umsonst aber werden wir gerechtfertigt, weil wir die Gnade der Rechtfertigung durch nichts verdienen können, weder durch den Glauben, noch durch die Werke, die der Rechtfertigung vorhergehen.
Wenn also Boos nach der Inquisition von guten Werken spricht, so muss man noch unterscheiden: a) Betrachtet man diese guten Werke in so fern sie der Mensch aus sich und durch sich vollbringt, so sind sie sicherlich von Selbstsucht befleckt, und haben also vor Gottes Augen keinen bestehenden Wert. b) Betrachtet man aber diese guten Werke in so fern sie der Geist Christi, der in Christo wohnt, in und durch den Menschen vollbringt, so sind sie allerdings in Gott getan, sind köstlich vor Gott, haben einen göttlichen Wert; aber dieser Wert kommt vom Geiste Christi, den der durch Christus beseelte Wille in sich schalten und walten lässt; diese guten Werke sind merita Christi applicata (angewandte Verdienste Christi) selber. [Sed pauci electi - wenige sind auserwählt, sunt bona mixta malis. Sed mala plura bonis. Boos musste doch sagen, dass Gott die faulen Fische hinaus werfen werde.]
Aber auch der frömmste Mensch ist Mensch, und nicht immer lässt er den guten Geist in sich schalten und walten, oft treibt ihn die Selbstsucht, oft ein böser Geist. Es ist also wohlgetan, dass auch der Gerechte oder Gerechtfertigte sich nicht auf seine guten Werke verlässt, nicht darauf baut, denn da baute er auf Etwas, das keine Haltung hätte; aber auf Gott, auf Christus, auf den Geist Christi (den Hüter Israels, der nicht schläft, noch schlummert) bauet er seine Zuversicht, und dieser Bau steht fest. Das ist auch genau die Lehre der Väter. Justus ex fide vivit. Der Gerechte lebt aus dem Glauben. [Darum pflegte Boos zu sagen: Wer mir meinen Glauben angreift, der greift mein Leben an.]
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