Einige mussten sich verbergen und ein Viertel oder halbes Jahr in engen finsteren Winkeln eingesperrt bleiben, ohne sich vor einem Menschen sehen lassen zu dürfen. Andere wurden von Ort zu Ort, von Haus zu Haus aufgesucht, von Stockwerk zu Stockwerk verfolgt, um sie zu erhaschen. Des Nachts stieß man vor den Fenstern die Läden ein, um sie unvermutet zu entdecken und zu überfallen.
Viele wurden aus ihrer Heimat mit Gewalt vertrieben oder so geplagt, dass sie selbst nicht mehr bleiben konnten und aus ihrem Vaterland, aus ihrer Freundschaft und aus ihres Vaters Hause weichen mussten, ohne je wieder zurückkehren zu dürfen. Einige wurden mit geladenen Gewehren aufgesucht und bewacht. Ein Haus, worin sie Einen dieser frommen Leute verborgen glaubten, wurde drei Tage von wütenden Bauern mit Flinten bewacht. Eine Gläubige wurde von einem Eiferer mit verstellten freundlichen Worten in sein Haus, als einen Zufluchtsort, gelockt, und als sie darin war, wollte er sie erschießen. Sein besserer Sohn aber entwaffnete ihn, nahm ihm die Flinte, und die bedrohte Verfolgte entkam.
Es war auffallend: so wie der Herr das Feuer der Liebe und des heiligen Geistes über die Gläubigen ausgegossen hatte, so hat der Satan auch sein höllisches Zornfeuer über seine blinden Sklaven ausgeschüttet. Die Gläubigen bedurften wahrlich göttlicher Kraft und himmlisch Stärkung, um die Wut der Feinde auszuhalten und zu bestehen gegen die listigen Anläufe des Widersachers, der sich in den Kindern des Unglaubens und des blinden Aberglaubens mächtig zeigte. Sie standen wie Schafe mitten unter den reißenden Wölfen.
Wie kam das so auf einmal? Die Frommen, durch Boos Erweckten haben, da diese durch ihn so selig wurden, ihn allgemein, auch vor Auswärtigen, gerühmt und gelobt, und dies brachte die Ortspfarrer und Geistlichen auf. Boos aber lebte still und einsam, verbot allezeit, von ihm zu reden; aber je mehr er’s verbot, desto mehr breiteten sie es aus und rühmten ihn. Mark. 7,36. Und eben dieses war der Stein des Anstoßes. Die Geistlichen waren durch sein Lob und seine gesegnete Wirksamkeit beschämt und betroffen, sie sagten: dieser zieht die Leute an sich. Alles Volk läuft ihm nach; er ist ein Verführer des Volkes; er will eine Sekte machen; bringt neue Lehren auf und den katholischen Glauben ab (was doch gar im mindesten nicht seine Absicht und seine Meinung war). Ja man hieß ihn schon laut einen Ketzer, und man hörte schon auf den Kanzeln wider den neuen Ketzer donnern. Wer sonst nie für die Wahrheit, oder sehr lau oder träge predigte, predigte jetzt laut, fleißig und mit feurigem Eifer dagegen.
Nun hatte die Verfolgung begonnen und stand in hellen Flammen, wie man sichs nur vom blinden Pöbel der Geistlichen und Weltlichen vorstellen kann. Man schrie im ganzen Lande über sie aus vollem Halse: Ketzer! Ketzer! und wer nun anders redete und ein Zeugnis für sie ablegte, wurde mit verketzert und verfolgt. Der Haufe der gemeinen Leute war getrennt zwischen Guten und Bösen. Der Name Boos war so verhasst, dass man ihn nicht nennen durfte, wenn man nicht mit Schlägen heim geleitet werden wollte. Wer ihn verteidigte, auf den schlug man mit Fäusten, Prügeln und Stangen. Ein Mann, von Wertach gebürtig, der für Boos in einer Gesellschaft nur ein Wort sprach und ihn in Schutz nahm, wurde von einem vierschrötigen Widersacher so an die Wand gedrückt und auf die Brust geschlagen, dass er einen Blutsturz bekam und nach wenigen Tagen starb, ohne dass man auch nur Ein böses Wort von ihm hörte. Er litt geduldig und verlangte sich nicht zu rächen, sondern vergab seinem Mörder wahrhaft christlich und großmütig, indem er noch auf seinem Totenbette seiner Frau zuredete, ihm zu verzeihen und Gutes für Böses zu vergelten. Dies ist eine bekannte Geschichte. In Wertach gab es besonders viele grausame Auftritte, weil der Pfarrer daselbst die Leute am meisten gegen die vermeinten Ketzer, selbst von der Kanzel herab, aufhetzte. Nun machte man sich kein Gewissen mehr, auf diese Leute zu schlagen; nicht nur zu schimpfen, sobald sie nur ein christliches Wort für Boos oder die verfolgten Geistlichen und für die Wahrheit redeten. Besonders ein Geistlicher und noch ein paar Seelen aus Wertach wurden selbst von den Ihrigen, wegen ihres standhaften Bekenntnisses der Wahrheit, auf Mord und Tod verfolgt. Sie mussten die Flucht ergreifen; man trachtete sie zu erschießen oder auf eine andere Art zu töten. So ging es zu, und man ließ Alles ungestraft hingehen.
In Wiggensbach, in Kempten, d. h. im Stifte, in Hellengerst und den umliegenden Gegenden ging es eben so. Die Guten, christlich, nur mäßig christlich Denkenden wurden schrecklich verfolgt, gelästert, geschlagen, eingesperrt und gequält. Aus dem Munde der Verfolgten aber hörte man kein anderes Wort, als: „Gott segne euch! Wir leiden unschuldig und um der Wahrheit willen - Gott zu lieb!“ So dankten sie selbst ihren Widersachern für die Schläge. Und ohne wieder zu schlagen oder zu lästern, hielten sie sich der Schmach und Schläge um Christi willen nicht wert.
Endlich, nachdem man sich müde geschlagen und gelästert hatte und sah, dass die Leute nicht wichen von ihrem Zeugnisse, so musste man von Obrigkeitswegen untersuchen. Jetzt fragte man erst: Was gibts denn? Was habt ihr denn für eine neue Lehre? (Sie war die aller älteste, aber sie ist durch Unbekanntschaft und Vergessenheit die aller neueste geworden.) Man zog nun viele Leute, Laien und Geistliche, ein; diese sprachen nur vom lebendigen Glauben an Christus, sonst konnte man keine Schuld auf sie bringen und an ihnen entdecken. Dennoch war man nach Allem diesen weit entfernt, ihnen Recht zu verschaffen; es dauerte zwei Jahre, bis man in Wertach von Kommissionswegen öffentlich erklärte: Man dürfe diesen Leuten kein Leid mehr tun, weil sie genau geprüft und unschuldig erfunden worden wären.
Wie es nun den einfältigen, gemeinen Leuten erging, die doch die ruhigsten, fleißigsten und nützlichsten Glieder der Gemeinden waren, so ging es auch den Geistlichen, besonders Boos. Ihr Charakter und Lebenswandel war unsträflich und unbescholten von Jugend auf, so dass ihnen selbst ihre Feinde dieses Zeugnis gaben. In der Seelsorge waren sie, nach dem Urteile der nicht Eifrigen nur zu eifrig. Boos besonders wurde schon als Schüler und Student als ein Muster aller Studierenden und als Beispiel des Fleißes sowohl, als der Frömmigkeit selbst von den damaligen Exjesuiten in Augsburg aufgestellt. Freunde und Feinde müssen ihm wegen seines männlichen und standhaften Betragens alles Lob erteilen.
Allein er musste auch wie Paulus erfahren, dass es auch noch immer unhaltbare Freunde oder falsche Brüder gibt. Sein Pfarrer, bei dem er Kaplan war und der mit ihm so ganz gleich gestimmt, ihn wie einen Freund und Bruder zu lieben schien, so dass er die Leute selbst immer zu Boos schickte, wenn sie Rat in Gewissens-Angelegenheiten begehrten, dieser Mann, der es ganz mit ihm hielt, heimlich und öffentlich, so lange der Himmel helle und heiter war, lenkte, als sich schwarze Wolken zeigten und Gefahr zu drohen anfing, schändlich um, redete öffentlich wider Boos, und wurde der frommen Leute, die er zuvor selbst für gut, für die besten Pfarrkinder und Untertanen erklärte und rühmte, ärgster Feind und selbst Ankläger vor dem Fürsten in K., wie vor mehreren Prälaten. Ja er ging so weit, dass er selbst der gefährlichste Denunziant des von ihm bewährt gefundenen und geschätzten Freundes Boos wurde, und jetzt schwarz für weiß, und weiß für schwarz ansah. Er fand Glauben, und Boos wurde eingezogen, inquiriert, suspendiert und verdammt.
Die aus ihrem Vaterlande von ihrer Freundschaft und ihren Eltern Vertriebenen und Verzagten fanden im Auslande hundert Häuser, Väter, Brüder und Freunde wieder, wo sie aufgenommen und versorgt wurden; so dass sie auch das Wort des Herrn an ihnen erfüllt sahen: Wer um meinetwillen verlässt Vater, Mutter, Haus, der wird es hundertfältig wiedererhalten. Matth. 19,29. Mark. 10,19
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