Und nun Edgår. Er reizte mich, er provozierte mich und er brachte mich dazu, die Theologie in den Blick zu nehmen. Es war ja einfach, einfach dagegen zu sein. Aber es war für mich nur schwer aushaltbar, gegen etwas zu sein, von dem ich gar keine Ahnung hatte. Studiere deine Gegner. Das reizte mich irgendwie. Und innerlich nahm ich Haltung an, drehte meinen imaginären Hut auf quer und steckte mir die Hand langsam zwischen die Knöpfe meines Hemdes. Studiere deine Gegner. Ich lehnte mich zufrieden und zukunftsfroh zurück.
Aber ich hatte immer noch mein Problem. Ich hatte immer noch kein Abitur. Nur so eine abgespeckte Version, die mich höchstens dazu befähigte, Sozialpädagogik oder Märchenonkel oder so was zu studieren. Das wollte ich aber nicht. Und dann erzählte mir Edgår von der Theologischen Akademie in Celle. Eine, zwar kirchliche Hochschule, an der man auf dem zweiten Bildungsweg studieren kann. Aber das mit vollwertigen staatlich anerkannte Staatsexamen.
Wenn man es denn schafft, die Immatorenprüfung 3zu bestehen. Die war nicht ganz ohne. Aber das schaffte ich. Sogar ziemlich locker. Das schrillste an diesem Test war eine Sprachenprüfung. Eine Kunstsprache. So ähnlich wie Esperanto. Wir hatten nur eine Stunde Zeit, um diese Sprache zu erlernen. Dann mussten wir einen Text übersetzen. Damit wollten sie unsere Fähigkeit testen, Sprachen zu erlernen. Hatte man da verkackt, dann hatte man da verkackt. Denn zum Theologiestudium gehört nun mal das Erlernen von Latein, Griechisch und Hebräisch dazu, und man müsste -wenn man dann die Prüfung bestünde. spätestens nach vier Semestern das Latinum, das Graecum und das Hebraicum ablegen, Schaffte man das nicht, hatte man es nicht geschafft. Dann war Essig. Aber diese Prüfung war kein Problem für mich, Sprachen lagen mir schon immer. Der Rest der Prüfung war - freundlich ausgedrückt - erstaunlich niederschwellig, was mich irgendwie verletzte. Egal. Ich bestand also diese Prüfung und auf einmal war ich das, was ich sein wollte. Student. Wenn auch nicht an einer berühmten philosophischen Fakultät, dann aber doch wenigstens an einer geisteswissenschaftlichen Hochschule, an der man sogar das Philosophicum ablegen konnte, wenn man wollte. Eine philosophische Fachprüfung, die dem Diplom eigentlich in nichts nachstand. Ich hatte es geschafft. Und nun wollte ich es allen zeigen. Ich wusste noch nicht genau, was ich zeigen wollte, aber das wollte ich. Es allen zeigen.
Mein Vater war merkwürdigerweise ganz mild gestimmt, als ich ihm erzählte, dass ich nun Theologie studieren würde. Er fand das irgendwie bodenständig. Mir kam das immer noch komisch vor. Aber nun gut.
Ein böses, aber ehrliches Kapitel
Mein Plan war folgender. Ich glaubte nicht an Gott, ich lehnte ihn ab, ich verabscheute ihn. Und die Kirche sowieso. Die verfasste Kirche war für mich Sinnbild des Bösen, des Absurden, des Kranken. Eine Institution, die allein ihr eigenes Überleben im Blick hat - ich benutze jetzt mal eben ganz bewusst das Präsenz, weil sich das meines Erachtens bis heute nicht großartig verändert hat - und sich dafür des Bildes eines zürnenden, bei Wohlgefallen und Wohlverhalten aber durchaus liebenden Gottes bedient, wenn man sich denn wohl verhielte. Und was dieses Wohlverhalten war, das würde einem so ein schmieriger Laffel dann schon beibringen. 4Ein selbstreferentielles System also, dessen Wirken allein dem Selbsterhalt dient.
Damit konnte ich ja nun gar nichts, aber so überhaupt nichts anfangen. Und nun sollte ich mich - sozusagen - in die Höhle des Löwen begeben. Und das wollte ich jetzt auch. Mich in die Höhle des Löwen begeben. In die Abgründe dessen schauen, was ich so tief verabscheute. Ich würde mich jetzt in dieses dunkle System begeben, es von innen heraus studieren, um es zu verstehen, um es irgendwann genau aus dieser Mitte heraus anzugreifen. Ich wollte den Feind kennenlernen, den ich künftig bekämpfen wollte. Das war mein Plan. Ein guter Plan. Der Philosoph, nein, der Atheist in mir zwinkerte mir zu. Ein wenig lästerlich, wie ich fand, ich wollte es ja auch nicht übertreiben, aber er zwinkerte. Ich war stolz, sehr stolz auf mich. Und mein schwarzer Rollkragenpullover fühlte sich auf einmal noch ein bisschen schwärzer an.
Ich regelte meine Sachen und dann ging es los. Endlich. Ich war heiß. Ich war heiß, ich war begierig und ich war böse. Sehr böse, denn ich wollte die Hand, die mich nun künftig geistig nähren sollte, beißen. Und ich wollte fest, ganz fest zubeißen. Ein perfider Plan. Ich war glücklich.
Ich zog nach Hermannsburg. Hermannsburg? Hermannsburg! Nicht mal Paderborn. Egal. Hermannsburg nun also. Wo immer das war. 5Dort musste man die ersten vier Semester studieren, bevor es dann an die große Schwester nach Celle ging, dahin, wo die älteren Semester, die Weisen wohnten. Wir waren ja noch Frischlinge, Dummköpfe. In Hermannsburg, einem völlig degenerierten, am Arsch der Welt 6gelegenen Ort, gab es neben der Theologischen Akademie auch das Missionsseminar der hannoverschen Landeskirche. Das waren die Frommen, die das heilbringende Wort Gottes in die Welt tragen sollten. Wir waren die Wissenschaftler. Das fühlte sich gut an. Hermannsburg gehörte, wie ich erfuhr, zu den drei großen christlichen Nabeln dieser Welt. Rom, Jerusalem und Hermannsburg. Ich war beeindruckt. Und glücklich. Ich saß nun im Zentrum des Christentums, das ich nun - bald schon - aus dieser Mitte heraus, quasi die eigene Nabelschnur um den Hals legend, langsam durch die reine Vernunft genüsslich erdrosseln konnte. Ich fühlte mich böse, ich fühlte mich großartig. Aber das sagte ich ja schon.
Der erste Tag in der Theologischen Akademie war aber gar nicht so großartig. Er ging sogar total daneben. Es war eigentlich auch kein Tag. Es war ein Abend. Die Begrüßungsfeier der älteren Semester für uns "Erstis" war gut geplant und genauso gemeint. Ging aber daneben. Zumindest für mich.
Wir "Neuen" wurden herzlich in Empfang genommen, es war alles hübsch geschmückt, die Tische fein gedeckt, ein tolles Buffet wartete auf uns und nach den obligatorischen Begrüßungsreden des Dekans und des Ältesten und des Studentensprechers und der Studentensprecherin - auf eine korrekte, geschlechterspezifische Anrede wurde ganz penibel geachtet -, des VorsitzendIn der studentischen Hallen-Halma-Mannschaft beiderlei Geschlechts, der Frauenbeauftragten, des Senators für studentische Haushaltsfragen und des Hausmeisters ging es endlich zu Tisch. Ich saß neben einer älteren Dame - ich sage 'Dame', obwohl ich damals dachte: 'Schachtel' - und fragte sie, ob sie als Putzfrau hier tätig sei, oder als gute Küchenfee, die das lieb gemeinte Buffet vorbereitet hätte, oder sich irgendwie anders segensreich in das Gelingen dieses wunderbaren Abends eingebracht hätte? Sie guckte etwas konsterniert, was ich spontan auf meine so verbindlichen und wertschätzenden Worte schob. Das war sie bei diesem ganzen elitären Gesocks hier sicher nicht gewohnt. Sie guckte also so und zeigte mit ihrem knöchernen Zeigefinger auf das Namensschild, das sie sich an die Brust geheftet hatte: Ich musste mich dieser Brust - ich wollte das nicht - etwas nähern, um lesen zu können, was da stand: Prof. Dr. Dr. Priv.-Doz. Gudrun-Elisabeth I. von Hülsenitz. Dozentin für alte Kirchengeschichte. Ich hatte einen Kloß im Hals. Aber den konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich schluckte ihn runter und sie schob süffisant nach, dass sie nicht nur Prof. Dr. Dr. Priv.-Doz. Gudrun-Elisabeth I. wäre, sondern darüber hinaus die Ehefrau des Dekans war, der allerdings - was sie mit unüberhörbarer Genugtuung betonte - nur einen Doktortitel hätte. 7
Mist. Kein so guter Anfang. Ich war erledigt. Mein Leben war zu Ende. Und dabei hatte mein Studium noch nicht mal angefangen.
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