Klammer auf: So wie der vorstehende Satz. Und ich verspreche, das war der längste Satz in diesem Buch. Der längste, der schwierigste und der schlechteste. Klammer zu.
Bis vor fünf Jahren war mein Leben eigentlich in Ordnung. Nein, das stimmt nicht. Mein Leben war nicht in Ordnung. Mein Leben war schon immer das diametrale Gegenteil von „in Ordnung“. Es war das reinste Chaos. Aber ich mochte das. Ich mochte das sogar sehr. Mein Leben war großartig, es war bunt, aufregend und schnell. Es war toll, es war noch viel mehr als das, es war ganz wunderbar. Ich war der glücklichste Mensch der Welt, so glücklich, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Ich hatte einen tollen Beruf, war erfolgreich, ich war gesund, ich hatte zwei tolle Söhne, ich hatte ein tolles Haus, viele Freunde und vor allem: ich war damals seit fast zwanzig Jahren glücklich verheiratet. Mit meiner Frau, der wohl besten aller denkbaren Frauen. Ephraim Kishon hatte ja keine Ahnung. Meine ist die beste Ehefrau von allen. Nicht seine. Meine. Bis heute.
Und ich kann das beurteilen, denn ich war schon mal verheiratet.
Klammer auf: Damit hier keine Missverständnisse aufkommen. Fast alles, was hier steht ist wahr. Leider und auch glücklicherweise. Beides. Manches habe ich vielleicht in der Spitze etwas abgemildert, damit Sie nicht denken, der spinnt doch! Ich habe auch alle Namen frei erfunden. Kramen Sie also gar nicht erst in Ihren Erinnerungen danach, ob Ihnen vielleicht der eine oder andere bekannt vorkommt. Namensähnlichkeiten sind rein zufällig. Fast alle. Nur meine Frau, meine jetzige, durfte sich ihren Namen selbst aussuchen. Ihren Namen, ihre Haarfarbe, ihre Körbchengröße. Da ließ ich ihr völlig freie Hand. Ich sage das nur, damit Sie nachher nicht ankommen und sagen, das hier sei doch alles erstunken und erlogen oder vollkommen übertrieben. Ich sag das gleich vorab, damit es hinterher keine Diskussionen gibt. Klammer zu.
Also. Ich war schon mal verheiratet.
Klammer auf. Diese Klammertexte sind Ihnen jetzt vielleicht schon aufgefallen. Auch wenn ich sie auf das vertretbar Nötigste beschränken werde, Sie werden sie häufiger in diesem Buch finden. Ich bin Akademiker und sauberes wissenschaftliches Arbeiten gewöhnt. Da will ich mir nix nachsagen lassen. Ich füge sie immer dann ein, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste etwas genauer erklären oder wenn mir einfach noch irgendetwas einfällt, was für das Gesamtverständnis wichtig sein könnte, oder ich irgendetwas in einem einigermaßen lesbaren Satzbau einfach nicht mehr unterkriege oder Gefahr laufe, mich zu verformulieren, quasi, mich in meinen eigenen Gedanken zu verheddern. Oder wenn ich etwas beim Nachlesen nicht mehr so schön oder wichtig finde, ich es aber auch nicht löschen will, weil es ja nun mal dasteht. Weil ich es eigenhändig geschrieben habe und die Worte nun wirklich auch nichts dafürkönnen, dass sie nun auf einmal auf der Welt sind. Die kann ich nicht einfach so mir nix dir nix löschen. Einfach markieren, auf die Del-Taste hauen und tschüss. Haben Sie Kinder?! Das kann ich nicht. Auf Fußnoten werde ich der flüssigeren Lesbarkeit zuliebe indes völlig verzichten. Man muss ja auch nicht übertreiben. Keine Fußnoten. Versprochen. Nur Klammern. Und vielleicht mal hier und da ein Spiegelstrich, wenn ich im Eifer des Gefechts das mit den Klammern vergessen sollte. Aber eigentlich nur Klammern. Höchstens noch mal aus Versehen einen eingeschobenen Nebensatz. Den rahme ich dann aber, zum besseren Verständnis, mit ausreichend Kommata ein. Leider muss ich „Klammer auf" und „Klammer zu" immer ausschreiben, weil meine Klammer-zu-Taste klemmt. Sie werden sich schon irgendwie dran gewöhnen. Meine Frau findet diese Klammertexte übrigens überflüssig. Ich habe sie der Vollständigkeit halber aber trotzdem nicht nachträglich gelöscht. Aber wenn Sie sich von diesen Einschüben gestört fühlen, dann tippen Sie das Buch doch einfach noch einmal schnell ab. Einfach die Klammertexte markieren und dann löschen. Ganz einfach. Inhaltlich geht dem Buch dadurch nichts verloren, verständlicher wird es dadurch aber auch nicht. Sollten Sie keinen Computer haben, wird der beherzte Einsatz einer handelsüblichen Haushaltsschere ebenfalls zum gewünschten Ergebnis führen. Aber ich weiß ja gar nicht, ob sie dies Buch überhaupt noch lesen oder es nicht doch lieber zum Buchhändler zurückgebracht haben. Dann ist dieser Klammertext für Sie nicht mehr relevant. Klammer zu.
Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich war schon mal verheiratet.
Das „wie alles begann“ – Kapitel
Das war nicht so toll, eher so eine Art Studentengag, der allerdings nach hinten losging und mich teuer zu stehen kommen sollte. Sehr teuer. Ich war damals noch ganz jung. Gerade zwanzig. Ich hatte eine Berufsausbildung zum Speditionskaufmann erfolgreich hinter mich gebracht, ich hatte einen gut bezahlten Job in der Export-Abteilung eines internationalen Logistik-Unternehmens. Ich kam viel rum, reiste beruflich durch ganz Europa, hatte hier und da was am Laufen und hätte glücklich sein können.
Vielleicht hätte ich es sogar sein sollen. War ich aber nicht. Ich war unzufrieden. Ich wollte nicht ein Leben lang irgendwelche Waren von irgendwelchen Herstellern in irgendwelche Länder exportieren, damit sie dort von irgendwelchen Menschen konsumiert werden. Ein Leben lang im Büro sitzen, auf Bildschirme starren, mich mit dem Zoll herumschlagen und stapelweise Formulare ausfüllen. Ich hasste Papier schon damals. Das wollte ich nicht. Da musste noch mehr sein. Ich wollte noch einmal ganz von vorne beginnen, etwas ganz Anderes machen. Und wenn nicht jetzt, wann dann? Noch war ich jung, noch hatte ich keinerlei Verpflichtungen oder Verbindlichkeiten, die mich fesseln konnten.
Dem Speditör ist nix zu schwör, aber Harry mag nicht möhr.
Also beschloss ich, zu studieren.
Aber was? Was lag mir? Wofür interessierte ich mich? BWL? Jura? Physik?
Für Jura bin ich zu intelligent, für BWL nicht korrekt genug und für Physik einfach zu blöd. Obwohl gerade Astrophysik mich wahnsinnig interessierte. Das fand ich unheimlich spannend. Immer schon. Allein die schier unendlichen Dimensionen des Weltalls, die Unfassbarkeit von Raum und Zeit überforderten meinen damaligen Vorstellungshorizont schon gewaltig. Dafür war ich zu blöd.
Geschichte, Politik, Soziologie oder Philosophie, das konnte ich mir vorstellen. Daran war ich schon immer interessiert und in der Rolle des nachdenklichen und etwas abgerockten Philosophen gefiel ich mir auch ganz gut. Diskutieren konnte ich schon immer. Mein Vater nannte das Labern.
Zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Was konnte es Spannenderes geben? Was konnte es Verlockenderes geben, als im schwarzen Rollkragenpullover bei Rotwein und selbst gedrehten Zigaretten über die existentiellen Fragen des Lebens zu sinnieren? Wo komme ich her? Wo will ich hin? Wo ist der Sinn? Was, bitte, denke ich denn, was ich bin? Fragen über Fragen..., und warum, verdammt nochmal, ist Abkürzung eigentlich ein so langes Wort? Ja, Philosophie, das wäre genau das Richtige für mich.
Zumal mich seit dem tragischen Tod meiner Freundin Claudia die Frage nach Sinn und Unsinn des Lebens schon ziemlich umhertrieb. Claudia war doch tatsächlich als Austauschschülerin in Frankreich nach einer Gehirnerschütterung, die sie sich bei einem Basketballspiel zuzog, in der Badewanne nach einem Kreislaufkollaps ertrunken. Einfach so. Sie wurde nur sechzehn Jahre alt. Ich war siebzehn. Klammer auf: Echt wahr! Klammer zu. Ich war so unendlich traurig, so erschüttert, so wütend und vor allem so fassungslos. Ja, ich war vollkommen fassungslos. Ich wusste nicht, ob das alles ein schlechter Scherz sein sollte, was das Leben mir - und natürlich vor allem ihr - da zugemutet hat. Oder war das alles nur ein blöder Unfall? Gab es so etwas wie Zufall oder steckte ein dunkles Fatum dahinter? War das alles Bestimmung? Und wenn, wer hat das bestimmt? Das Schicksal? Ein allmächtiger Gott? Und wenn Gott, was ist denn das für einer, der so einen Scheiß bestimmt? Wenn der so allmächtig ist, hatte er dann nichts Besseres zu tun? Weltfrieden, Hunger, Ungerechtigkeit, Abschaffung der Wehrpflicht und des Dosenpfands? Da gab es doch in dieser Welt nun wirklich genug zu tun für einen allmächtigen Gott. Musste er mich doch nicht drankriegen! Aber wenn er allmächtig ist, nur mal angenommen - ich wusste ja, dass es gar keinen Gott gibt - hat er dann auch bestimmt, dass ich mit drei Jahren vor unserer Haustür überfahren wurde und das, wenn auch schwer verletzt, überleben sollte? Oder dass ich mit dreizehn Jahren nach einem Fahrradunfall einen Schädelbasisbruch erlitt, den ich auch - wiederum nur mit Not - überlebt habe? Klammer auf: Leider auch wahr! Klammer zu. Warum hat er das so bestimmt? Wie kommt er auf sowas? Und warum sollte ich das alles überleben? Hatte Gott, dessen Existenz ich mit Nachdruck vehement verneinte, etwas mit mir vor? Oder wollte er es mir nur mal zeigen? Nur mal so? Oder war mein Überleben vielleicht nur der verzweifelten Gegenwehr des nicht sterben wollenden Lebens gegen einen bösartigen Gott geschuldet? Was sollte das alles? Ja, das Leben hat mich innerlich schon früh in den schwarzen Rollkragenpullover gesteckt. Fragen hatte ich also genug. Fehlten noch die Antworten.
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