Als die Kollegin von der Produktionsabteilung mit den Unterlagen heraufkam, hatte er gerade den Pudding vor sich stehen. Und dann vergaß er ihn aufzuessen.
Die Versuchs Audio Video KG, Sitz Mörfelden Walldorf bei Frankfurt, Geschäftskapital rund neunhunderttausend Mark, Eigentümer Japans Nippon-San Enterprises, verkauft computergesteuerte Simulationsanlagen der TEC.TO.N international für den militärischen und semimilitärischen Bedarf. Fachwissen und Material werden bezogen von TEC.TO.N Japan und TEC.TO.N USA. Auf Informationen großer Industriestaaten und verschiedener Armeen könne ebenfalls zurückgegriffen werden. Die Anlagen entsprächen den neusten Innovationen, seien die ideale Ergänzung der modernen Waffen, die die Waffenabteilung der 'United Arms', ebenfalls einer Firma der Nippon-San, lieferte. Zu Gesprächen, vertraulich versteht sich, stünde die Firma selbstverständlich zur Verfügung.
In dieser Nacht schlief Braun schlecht. Am nächsten Morgen: Anruf bei der Versuchs Audio Video. Von zu Hause, denn was er machte, war ein wenig außerhalb der Legalität. Aber es hatte ihn gepackt. Der Vertreter war sehr freundlich und glaubte ihm auf Anhieb, dass er ein größeres Bewachungsunternehmen leite. Selbstverständlich hätten sie auch für solche Bedürfnisse Anlagen: Personenschutz, Industrieschutz, Schutz von Sachwerten. Darauf seien sie in ihren Programmen spezialisiert. Die Ausbildung des Personals sei schließlich das Wichtigste bei großen Bewachungsunternehmen. Er, Braun, sei ja nicht ein Opa von der Wach und Schließgesellschaft. Der Verkäufer lachte, es musste ein verkaufsfördernder Witz gewesen sein. Unterlagen und Reverenzen hätten sie natürlich auch. Nur erste Kundschaft, darunter auch Bundeswehr, Bundeskriminalamt Querstrich Sicherungsgruppe Bonn und natürlich der Bundesgrenzschutz. Eine besonders interessante Truppe.
2. Drehtag irgendwo in Nordhessen
Das Bundeskriminalamt zeigte sich zugeknöpft. Der Bundesgrenzschutz, Kommando Mitte in Kassel, ließ sich nach langen Telefongesprächen, viel Bettelei, Bluff und Hochstapelei, herab, Sachverhalte zu klären. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, denn im Rahmen der Schadensbegrenzung war es günstiger Weniges zu verraten und dafür Wichtiges zu verschleiern.
Die Einladung erfolgte für den 25. Juni, Zeitpunkt 21 Uhr. Es war die Verpflichtung abgenommen worden, den Ort der Begegnung nicht zu veröffentlichen. Treffpunkt sollte Schlitz in der Nähe von Bad Hersfeld sein. Dort sollte das Team von einem Hubschrauber abgeholt werden. Am Ortseingang von Schlitz, auf dem freien Platz neben dem ehemaligen Bahnhof, standen zwei Hubschrauber und mehrere Wagen des Bundesgrenzschutzes. Zwar konnte das Team sofort einsteigen, doch der Abflug verzögerte sich. Es fehle noch eine wichtige Führungskraft. Der Kameramann äußerte als erster den Verdacht, die Verzögerung sei inszeniert. Die heraufkommende Dunkelheit solle den Weg verschleiern. Er hatte recht, es wurde ein Nachtflug mit vielen Kreisen und Bögen. Zuletzt fing es noch an zu regnen und selbst eine ungefähre Vorstellung der Richtung, in der sie flogen, war nicht mehr möglich. Sie hatten die Orientierung verlieren sollen und sie hatten sie verloren.
Irgendwann wurden sie umgeladen. Das Einzige, was sie von ihrer Umgebung erfuhren, war die Pfütze in der sie standen. Das Wasser lief ihnen in die Schuhe und die knatschten fortan fröhlich bei jedem Schritt vor sich hin. Was tut man nicht alles für die Kunst. Danach ging es mit einem Lastwagen weiter. Der hatte den großen Vorteil, dass niemand durch die Plane hinausschauen konnte und außerdem wurden sie so durchgeschüttelt, dass sie mit sich und der Ausrüstung beschäftigt waren und keine Gelegenheit hatten irgendetwas von draußen mitzubekommen. Ohnehin war tiefste Nacht. Der Planer dieses Treffens musste einen Kalender haben, auf dem die Mondkonstellation eingetragen war. So dunkel konnte es in Mitteleuropa normalerweise überhaupt nicht sein.
In der Dunkelheit hatten sie den Tunnel gar nicht bemerkt. Sie fuhren aus der Dunkelheit der Nacht in die Dunkelheit des Gewölbes. Nur die sich verändernden Geräusche verrieten den neuen Ort.
Die Kaverne hatte eine Größe, die das Team an den Stollen des Kraftwerkes Affoldern 2 der Preußenelektra erinnerte. Als dort, unterhalb der Edertalsperre, Transformatoren und Turbinen noch nicht eingebaut waren, hatte die Höhle noch Ähnlichkeit mit einer Kathedrale. Auch dieses unterirdische Bauwerk wies solche Dimensionen auf. Von der Hauptkaverne gingen rechts und links Stollen ab, geschäftiger Verkehr überall, Durchsagen über die Kommandoanlage, kleine Elektrowagen in hektischer Tätigkeit.
„Mann oh Mann,“ Johannes Müller, der Kameramann, stöhnte nicht nur unter dem Gewicht der Ausrüstung, „ganz schön konspirativ sind wir geworden. Gleich kommt James Bond um die Ecke!“ „Hoffentlich hat der auch seine Miezen dabei!“ Wie gesagt, der Tontechniker war einer der vielen Verbalerotiker.
Braun fühlte sich unwohl, die Schaukelei im Lastwagen war ihm nicht bekommen, außerdem hatte er Hunger und Durst. Nach Sprüchen stand ihm nicht der Sinn. Zudem machte die Story Schwierigkeiten, sie wuchs ihm langsam über den Kopf. Eine Nummer zu groß war ja in Ordnung, aber zwei Nummern? Außerdem hatte Heinz überall den Anschein erweckt, er habe großes Fachwissen, Insiderwissen über militärische Belange. Hoffentlich platzte die Seifenblase nicht.
„Wir bemühen uns natürlich diesen Ort geheim zu halten, aber das ist ebenso unsinnig wie überflüssig. Der anderen Seite, oder besser, den anderen Seiten ist selbstverständlich bekannt, dass es ihn gibt. Sie wissen halt nur nicht so genau wo er ist, aber das ist ja auch nicht so wichtig.
Meine Herren, ich begrüße Sie in unserem bescheidenen Unterrichtsstand. Alles, was wir Ihnen heute vorführen, können Sie selbstverständlich filmen. Wir zeigen Ihnen natürlich nicht alles, denn es wäre dumm von uns alle Karten auf den Tisch zu legen. Dummheit können Sie von uns ja wohl kaum erwarten.“ Der in Zivil gekleidete Mann stellte sich nicht vor, nannte keinen Namen, keine Funktion und dennoch war zu bemerken, dass er hier der Chef war. Er führte sie in einen großen Saal, der einem Kino ohne Bestuhlung glich. Der Raum war oval, maß auf der breiten Seite rund fünfzig Meter, unter der kuppelförmigen Decke mehrere schwach erleuchtete Fenster, anscheinend der Kontrollraum.
„Wir wollen Ihnen eine Demonstration unseres Trainingsangebotes zeigen. Sie haben ja vor Kurzem einen Bericht im Programm gehabt, der quasi den kleinen Bruder unserer Anlage zeigte. Übrigens, sehr pfiffig von Ihnen die Querverbindung zu uns gefunden zu haben. International gesehen sind wir aber noch ein kleines Licht. Ich weiß auch gar nicht wieso Sie in diesen Anlagen etwas Besonderes sehen. Jede bessere Fluggesellschaft unterhält Flugsimulatoren. Es ist nämlich wesentlich billiger, die Piloten in die Halle zu setzen, als sie wirklich da oben rumkurven zu lassen. Nein, Simulatoren sind für alle möglichen Bereiche etwas völlig Normales. In der Forschung laufen massenweise Computerprogramme als Simulationen: Biologie, Mechanik, Chemie. Ohne Simulation geht da nichts mehr. Aber da haben wir es auch mit Naturwissenschaften zu tun. Also festgesetzten Axiomen. Bei uns ist das anders. Wir können nicht davon ausgehen, dass unsere Leute alle gleich reagieren. Wir können noch nicht einmal davon ausgehen, dass sie überlegt, also logisch, oder wenn Sie so wollen vernünftig reagieren. Vorausgesetzt sie reagieren überhaupt. Es gab in den vierziger Jahren ein Ausbildungsprogramm des amerikanischen FBI. Die haben ihre Leute über ein Trainingsfeld gejagt, das vollgestopft war mit Verbrechern, Kindern, alten Leuten, Fallen und so weiter. Alles natürlich aus Pappmasche. Ein Modell halt. Der Beamte musste blitzschnell entscheiden: Schießen oder nicht schießen. Hat auch prima funktioniert.“
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