Aber da sind auch Erschreckte, Erschütterte, die, die Angst hatten, die, die nicht mehr unterscheiden konnten zwischen Spiel und Wirklichkeit. Und dann noch die alte Frau, die den tatsächlichen Krieg mitgemacht hatte, in stickigen Bunkern, feuchten Kellern, in Gräben, draußen auf dem Feld. Differenziert ist ihre Meinung, gut für die Story. Vielleicht könnten die jungen Leute, also die, die keinen Krieg erleben mussten, den Schrecken von damals jetzt ermessen, vielleicht könnten sie weitere Kriege verhindern. Möglicherweise könne man Schrecken ja erlernen, Angst davor aufbauen. Oder würden sie allein Lust dabei empfinden? Die Frau dreht sich von der Kamera ab.
Was sagte noch der Firmenvertreter? Angstlust als Verkaufsargument. Angstlust zur Gewinnmaximierung. Die alte Frau wird schlechte Karten haben mit ihrer Hoffnung.
Das Team ist erschreckt vom Erlebten, fasziniert von der Technik, begeistert von den gedrehten Bildern. Nur schade, dass das Erlebnis auf dem Bildschirm nicht so richtig rüberkommt. Dreidimensionales Fernsehen müsste man haben. 16 Kanal Ton sollte man übertragen können. Die Illusion wäre perfekt. Hatte nicht auch so der Firmenvertreter gesprochen? Sicher, er kommt aus der gleichen Branche. Unterhaltung für Alle.
Er hat zum Essen gebeten. PR Gespräche nennt man das. Kommt so eine Pilotanlage nämlich ins falsche Licht, dann kann die Firma mit diesem Produkt auf Jahre hinaus einpacken. Die Macht des Fernsehens beschränkt sich zwar im Wesentlichen auf Unwesentliches, für einen schlechten Ruf aber ist sie allemal gut genug. Rippchen, Spießbraten und der unvermeidliche Apfelwein, und ja natürlich: „Die Frau Rauscher aus der Klappergass...“
„Natürlich könnten wir auch positive Programme eingeben!“ Er betont es als etwas Besonders. „Aber dann haben wir Schwierigkeiten am Markt. Vielleicht kennen Sie den Film ‚Soylent Green‘ von Richard Fleischer. Die Geschichte eines Polizisten und seines personifizierten Gedächtnisses in einer zukünftigen Welt. Alles ist hinüber, die Umwelt ist umgekippt, die Nahrungsmittelkette zusammengebrochen. Da werden Leichen zu Lebensmitteln verarbeitet, eben ‚Soylent Green‘. Und um den Alten und Kranken das Sterben attraktiver zu machen, bekommen sie Bilder einer heilen, für sie völlig unbekannten Welt vorgespielt. Aufgenommen in besonderen, geschützten, abgesperrten Reservaten. Sehen Sie, solche Bilder können auch wir machen, aber dazu brauchen wir kein Reservat, keinen abgesperrten Bereich. Wir können das elektronisch, artifiziell, wenn Sie so wollen. Wenn wir dieses Programm aber herausbrächten, dann machten wir uns ebenso angreifbar wie mit unseren Kriegsprogrammen. Beides entspricht nicht unserer unmittelbaren, erlebten Umwelt. Immer, wenn wir unseren direkten Erlebnisbereich verlassen machen wir uns verdächtig. Ob schöne Bilder oder hässliche, ob allein Vorstellbares oder Fiktives, es ist verdächtig. Natürlich ist es auch interessant. Nervenkitzel, verstehen Sie?
Unsere Psychologen haben die Informationstheorie genau begriffen. Sie machen als Fernsehmann doch genau das Gleiche, vorausgesetzt Sie beherrschen Ihren Job. Sie erzeugen bei Ihrem Zuschauer Spannung, unabhängig, ob Sie Unterhaltung machen oder Dokumentationen. Das Volk will gekitzelt sein. Ob der Krieg gespielt wird oder Sie realen Krieg zeigen, interessiert doch eigentlich keine Sau. Im Wohnzimmer hat Ruhe zu herrschen, also ist jeder Krieg gespielt. Gleichgültig welcher. Der echte Krieg aber beginnt im Schlafzimmer, oder auf dem Klo, wenn Sie so wollen. Wir, und zwar wir alle hier am Tisch, haben unsere Unschuld doch schon lange verloren.
Kennen Sie Platon? Das Höhlengleichnis? Natürlich kennen Sie es! Da sitzt ein Mensch in einer Höhle und sieht die Schatten von Menschen und Gegenständen an der Höhlenwand im Lichte eines Feuers. Weit weg von ihm ist der Eingang, die wirkliche Welt draußen. Er glaubt, der Schatten allein sei bereits Wirklichkeit. Wenn er allerdings aufstünde, hinausginge, zu sehen, was da draußen wirklich los ist, dann könnte er die Wahrheit, oder was auch immer er dafür hielte, erkennen. Und was würde er dann machen? Der arme Tropf? Er rennt natürlich wieder in die Höhle zurück und erzählt seinen Genossen, dass alles, was bisher für sie Wahrheit war allein eine Illusion ist. Ein Stück Dreck, ohne Inhalt und Sinn. Das war's dann. Pause. Ende der Fahnenstange. Er allein weiß natürlich jetzt was die wahre Wahrheit ist. Ein hervorragendes Gefühl für ihn. Und die anderen? Und dann?
Was meinen Sie, was dann passiert? Totschlagen werden sie ihn. Er stört nämlich die öffentliche Ordnung. Keiner will eine x- beliebige Wahrheit hören, wenn er von seiner eigenen überzeugt ist. Keiner will eine fremde hören. Mit einer glaubhaften Lüge lebt sich's halt kommoder, als mit einer belastenden Wahrheit.
Nun mal Hand aufs Herz: Was machen Sie als der Journalist Heinz Braun? Sie reduzieren die Wahrheit doch auch nur auf ein erträgliches Maß, und nennen dann das Ergebnis ‚Nachrichten‘ oder ‚Dokumentation‘ oder sonst noch was. Wahrheit, Gerechtigkeit, Realität, den Überblick über die Zusammenhänge, die mögen Sie als Reporter vielleicht erkennen, dem gemeinen Volk verraten werden Sie ihr Wissen allerdings nicht. Oder Sie sind schlicht verrückt. Ein Weltverbesserer! Die aber leben nicht lange.“
Er machte eine Pause, eine lange Pause. Mit steigendem Alkoholkonsum entpuppte sich der alerte Vertreter als ein Mensch, der über Dinge nachdachte. Er konnte richtig sympathisch sein, wenn er nicht an seine Karriere dachte und sich so selbst der Beschränktheit aussetzte.
„Wissen Sie, vor Jahren, damals war ich noch jung, na ja, so alt bin ich jetzt auch wieder nicht, aber damals wollte ich mal Journalist werden. Einer, der aus der Höhle herauskommt. Aber, na ja, egal.
Sie können selbstverständlich die Anlage zur Sau machen. Sie können auch sagen ‚hier werden Aggressionen abgebaut‘, ‚hier können Schrecken erfahren werden‘, ‚daraus kann jeder lernen!‘ Das wäre uns natürlich viel lieber.
Machen Sie einfach eine spannende Story daraus. Seien Sie das, was Sie sind. Seien Sie Reporter. Berichten Sie über die Möglichkeiten von Abenteuersimulationsanlagen. Nennen Sie sie A.SI.AN, Abenteuersimulationsanlagen. Die Verbindungen kann ich Ihnen machen. Gehen Sie in unsere Zentrale. Gehen Sie nach Japan. Ein kleines Land mit vielen Menschen. Lernen Sie dort, wie Aggressionen abgebaut werden können. Lernen, nein, zeigen Sie wie der Schrecken, das persönliche Erleben der Katastrophe Katastrophen verhindern kann. Gehen Sie nach Japan.“
Es war schon merkwürdig, sie redeten von Computertechnik, von Japan, und es roch nach Grillwürstchen, verschüttetem Apfelwein und ein wenig nach Toilettenanlagen. Hauptsächlich eigentlich nach Toilettenanlagen.
„Du glaubst doch selbst nicht, dass daraus ein längerer Film werden könnte. 45 Minuten sind wirklich ein bisschen lang. Außerdem müssen wir sparen, kein Mensch wird Dir die Reisekosten bezahlen, erst recht nicht die Hierarchen. Also, fürs Regionale sehe ich da sowieso nichts. Klar, das Thema könnte interessant sein, aber dann ist es ein Feature, Dokumentation Ausland, verstehst Du? Im Regionalen hast Du keine Chance.“
Vom Planungsredakteur der Aktuellen war also nichts zu erwarten und er hatte recht. Die Story spielte im Ausland, wurde länger als üblich und käme dem Sender zudem noch ziemlich teuer. Es galt also Fakten zu sammeln, Informationen zusammenzutragen, die eine Redaktion dazu brächten das Geld und die Produktionskapazität locker zu machen. Es stellte sich auch die Frage, ob das Projekt tatsächlich den zu erwartenden Knüller ergeben konnte. Außerdem, wollte der Zuschauer, dieses unbekannte Wesen, überhaupt mit dieser Geschichte konfrontiert werden? Sollte man nicht besser Schlichtunterhaltung produzieren und nicht den Weltverbesserer spielen wollen?
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