Das Vermächtnis des Generals
Impressum
Texte: © Copyright by Peter Vinzens
Umschlag:© Copyright by Ursel Jaeger
Verlag:Peter Vinzens, vtvfra.de
Gluckensteinweg 3
61350 Bad Homburg
produktion@vtvfra.de
Druck:epubli ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
ISBN eBook 978-3-7418-9209-7
ISBN Print 978-3-7418-9208-0
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Heinz Braun sitzt hinter seinem Schreibtisch, sieht zum Fenster hinaus und denkt nach. Heinz Braun ist Schriftsteller, da gehört Nachdenken zum Berufsbild. Besonders erfolgreich ist Heinz Braun nicht. Er nennt sich in seiner Rolle als Schriftsteller nicht Heinz Braun, sondern Perry Slot. Das hat seine ganz persönlichen Gründe.
Das Häuschen, in dem er sitzt, hat er von seiner Mutter geerbt, die es zwar viel lieber gesehen hätte, wenn er was „Anständiges“ - zum Beispiel Lehrer -, wie sie immer sagte, gelernt hätte, dafür war es jetzt aber zu spät.
Wenn er zum Fenster hinaussah dachte er gerne an Mark Twain, jenen überaus erfolgreichen Kollegen aus den Vereinigten Staaten, der einmal gesagt haben soll, dass er seiner Frau wiederholt erklären musste, dass er arbeite, wenn er aus dem Fenster sähe. Allein, Heinz Braun war unverheiratet, hatte auch keine Freundin und konnte somit die Mark Twainsche Weisheit nie publikumswirksam einsetzen. Aber letztendlich war auch das egal.
Er war auf der Suche nach einer spannenden Geschichte und hatte schon einen Protagonisten: General der SS, Hitler direkt unterstellt, der am Ende des Krieges, 1945, urplötzlich verschwand. Einige behaupteten er habe sich erschossen, andere, er habe sich vergiftet, auf irgendeine Weise umgebracht, wegen der großen Schuld, die er auf sich geladen hatte.
Heinz Braun überlegte nun, wie er diesen Verbrecher, er wollte ihn Dr. Herrmann Konrad, SS-General und Obergruppenführer, nennen, in seine Geschichte einführen sollte. War es geschickter mit der Vorgeschichte zu beginnen, wie Historiker das Problem anzugehen pflegten. Dann aber musste er die halbe Nazizeit aufrollen und dazu fehlte ihm die Fachkenntnis. Oder sollte er mit der Schilderung seines Umfeldes beginnen, wie amerikanische Filmautoren ihre Drehbücher schrieben.
Knapp hinter dem Fenster seiner Schreibstube, getrennt durch einen heruntergekommenen Vorgarten, verlief die kleine Straße an der er wohnte. Es war wirklich nur eine kleine Straße, mehr ein geteerter Weg, ohne Bürgersteig, der nach knapp hundert Metern sich in einer Wiese verspielte. Gegenüber, jenseits des Wegs, lag ein kleiner Park mit dicken alten Bäumen und einem Spielplatz. Morgens wuselten hier kleine Kinder herum, umgeben von jungen, gutaussehenden Müttern. Nach dem Mittagessen kamen größere Kinder und scheuchten die ganz kleinen durch robuste Rennspiele weg. Gegen Abend kamen Jugendliche beider Geschlechtssorten, husteten sich ihre ersten Zigaretten rein und wirkten sehr erwachsen. Später in der Nacht, Kinder und Jugendliche waren nach Hause befohlen worden, trafen sich verschiedene Erwachsene, Liebespaare und Menschen, die verheiratet waren, wenn auch nicht immer miteinander. So war über den langen Tag und über Teile der Nacht hinweg immer was los vor der Bude. Und weil der Rollladen am Fenster schon seit Jahren nicht mehr funktionierte, hatte er von seinem alten, bequemen Sessel aus einen guten Überblick über das Geschehen.
So aus dem Fenster blickend hat Heinz Braun plötzlich eine Idee. Was wäre, so malt er sich das Bild aus, wenn nicht er, sondern sein Alter Ego Perry Slot aus dem Fenster blickte und draußen …
I/1
… und draußen sich die Situation plötzlich ändern würde. Es könnte so gegen zwei Uhr mittags sein. Der Park ist menschenleer. Die ganz Kleinen sollen Mittagsschlaf halten und die Größeren stillen an den Wohnzimmertischen noch ihren Hunger, da geschieht es. Ein roter Sportwagen, der eigentlich gelb hätte sein müssen, flach wie eine Flunder, kommt vom Weg ab, qualmend der Motor, und kracht gegen einen der stabilen Bäume. Perry Slot überlegt welcher Verlust mehr zu bedauern sei: Der Baum oder das Auto. In diesem Moment explodiert der Motor. Perry Slot wundert sich etwas, denn er hatte noch nie gehört, dass Motoren bei Unfällen explodieren. Nur im Kino hatte er das gesehen, da aber explodieren Autos bei allen möglichen Gelegenheiten. Fasziniert sieht er aus dem Fenster. So etwas hat er noch nie gesehen, erst recht nicht in seinem Dorf, in seiner Straße, vor seinem Haus. Qualm und Flammen schlagen aus der Motorhaube. Draußen schreien plötzlich Menschen. Irgendeiner kommt gerannt, in der Hand einen winzigen Feuerlöscher und versucht zu löschen indem er auf die Motorhaube spritzt. Perry Slot überlegt schon hinauszurennen und dem Löscher zuzurufen, dass von unten gespritzt werden muss. Da aber ist das Teil schon leer und versagt seinen Dienst. Vor irgendwoher zerrt jemand einen Gartenschlauch heran. Der aber ist zu kurz und das Wasser plätschert knapp vor dem Brand auf den Boden. Eine faszinierende Vorstellung.
Dann, kurz hintereinander, zwei Explosionen, kurz wie Schüsse, bei denen sich hinterher herausstellte, dass es die Reifen waren, die platzten. Immer mehr Menschen kamen hinzu. Mütter zerrten ihre neugierigen Kinder weg, Väter, viele waren es um diese Uhrzeit nicht, eilten herbei und brüllten sich Ratschläge zu. Alles wäre völlig vergebens gewesen, wenn nicht ein vorbeikommender LKW-Fahrer gemütlich von seinem Bock herabgestiegen wäre, überlegt den großen Feuerlöscher vom Fahrzeug genommen hätte und – mit großer Ruhe und Überlegung – gekonnt den Brand von unten und durch die Lüftungsschlitze gelöscht hätte. Ein herrliches Schauspiel. Perfekte Dramaturgie. Ein kurzer Prolog, Einführung des Problems, Steigerung der Spannung, Katharsis, Höhepunkt der Spannung. Was noch fehlte war die Auflösung.
Vor Ferne kamen nun auch Martinshörner näher. Feuerwehr zuerst, dann die Polizei. Die Feuerwehrleute badeten zur Sicherheit das gesamte Fahrzeug in Schaum und die Polizei scheuchte die Leute weg. Der LKW-Fahrer notierte die Nummer des Unfallwagens, schließlich musste irgendwer die Füllung des Feuerlöschers bezahlen, nickte den Polizisten freundlich zu, klemmte das Löschgerät wieder ein und fuhr weg. Das also war die Geschichte am frühen Nachmittag, direkt vor seinem Fenster, ähnlich einem Katastrophenfilm auf einem überdimensionalen Fernseher oder einer mittelgroßen Leinwand.
Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu, draußen wollte aber die Unruhe nicht aufhören. Zuerst kamen zivile Autos mit zivilen Menschen, dann kamen Männer in weißen Schutzanzügen und schließlich ein silberfarbener Kastenwagen mit dunkel gekleideten Männern, die eine Blechwanne aus dem Fahrzeug holten. Feuerwehrmänner hielten große Decken hoch und verhinderten neugierige Blicke. Perry Slot konnte sich ausmalen, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Es hatte wohl einen, maximal zwei Tote gegeben. Mehr Passagiere passten in die Flunder nicht hinein. „… und mein Protagonist hat zigtausende Menschen auf dem Gewissen!“ Er schämte sich fast. „… und ich mache mir Gedanken bei einem Unfall.“
Gerade als er sich wieder seiner Arbeit zuwenden wollte klingelte es an der Haustür. Durch die Mattglasscheibe konnte er sehen, dass zwei Polizisten vor der Türe standen. Slot sah sich um und sah das heillose Durcheinander in seinem Wohnzimmer. Auf die Schnelle konnte er das Problem jetzt aber nicht lösen. Deshalb holte er tief Luft und öffnete, mit einem etwas schlechten Gewissen, die Türe.
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