Halbschlaf in der Maschine. Bei Nonstop Flügen über den Pol schläft der Geist und das Sitzfleisch rebelliert. Langweile als Stundenprogramm. Selbstverständlich läuft nach dem Essen ein Film, aber das Programm ist alt, wiederholt im Fernsehen gelaufen, abgelutscht schon im Kino. Kenner sehen konzentriert hin, versuchen die Schnitte durch die Fluggesellschaft zu finden. Denn alles, was dem wohlbefindlichen Zusammensein in der Kabine widerspricht, wird unerbittlich rausgeschmissen. Urheberrechte haben ihre Grenzen an den Toren zum Geschäft. Aber Vielreisenden, weil sie nicht hinsehen und Nichtcineasten, weil sie keine Ahnung haben, bleibt die Freude der Suche verschlossen.
Neben Fluggästen zu sitzen, die man nicht kennt, kann bisweilen recht unterhaltsam sein. Flugzeuge vom Typ Airbus oder Jumbojet sind nämlich langweilige Flugzeuge. In der Mitte sitzen viele Mitreisende, die nur trinken können, essen, Filme ansehen und sonst nichts. Rechts und links, jenseits des Ganges jeweils drei Sitzplätze, von denen aber nur einer aus den ohnehin kleinen Fenstern hinaussehen kann. Der Rest langweilt sich und alle zusammen ohnehin, wenn Nacht ist und die Aussicht sowieso begrenzt. Es war Nacht. Alle waren wach und alle langweilten sich. Mit Ausnahme der ersten Klasse natürlich, denn die hatte ja genug zu trinken und breitere Sitze.
Der Tontechniker hatte eine niedliche Asiatin gefunden, etwa gleichaltrig, Zielort Umgebung von Tokio. Perspektive: Aussichtslos, aber unterhaltsam. Der Kameramann ein französisches Kind auf dem Heimflug zu seinen Eltern, Mitgliedern der französischen Botschaft in Japan. Er hatte seine Vatergefühle wiederentdeckt, schließlich hatte er erwachsene Kinder, die auch einmal klein gewesen waren. Nur der Autor hatte Pech. Er saß neben einem schweigsamen Herrn, knapp vierzig Jahre alt und sehr langweilig. Zuerst versuchte der Herr zu schlafen. Aber das geht ja auf solchen Flügen kaum. Dann versuchte er zu essen, die Essenszeit war jedoch vorbei. Dann versuchte er zu trinken und da hatte er Glück. Die Zeit des Getränkeorderns war zwar ebenfalls vorbei, denn Schlafen war jetzt angesagt, aber sein Nachbar, eben jener Heinz Braun, Fernsehen, erfahren in Fernreisen, hatte vorgesorgt. Nicht nur, dass er bereits frühzeitig eine Flasche zollfreien, französischen Cognacs geordert hatte, in den schier unergründlichen Tiefen seiner Reisetasche fanden sich noch weitere Alkoholika. Zwar bestätigte sich damit ein Vorurteil gegenüber Journalisten bezüglich des Alkoholkonsums, bemerkenswert war aber, dass sich bereits zu Beginn des Gesprächs der Reporter in Enthaltsamkeit übte.
Das Gespräch entwickelte sich innerhalb von zwei Stunden zum Monolog. Lediglich ab und zu war eine Frage nach Einzelheiten dazu gedacht, den Redefluss weiterzuentwickeln. Sie waren ohne Hintergrund, ohne Fachwissen, aber sie waren zuhörend, interessiert, anteilnehmend, also auf einer Ebene, die selten Menschen begegnet. Die Fähigkeit so zu fragen, macht zwar im Grunde genommen den guten Journalisten aus, ist bei dieser Berufsgruppe aber ebenso wenig verbreitet wie unter anderen Zeitgenossen.
Ausschnitte:
„Wissen Sie, unsere Firma beschäftigt sich mit dem Erstellen von Holographien. Bisher war das nur einigen Künstlern, also nur gegen gutes Geld, möglich. Das Verfahren ist halt ziemlich kompliziert. In der Holographie stehen wir ja noch am Anfang. Wenn Sie aber annehmen, dieses Verfahren der dreidimensionalen Darstellung beschränke sich in Zukunft ausschließlich auf Scheckkarten oder Aktien, dann irren Sie. Denn, was machen wir tatsächlich? Wir reduzieren bei unseren Folien einen Raum, also drei Dimensionen, auf zwei.“
Das hatte Braun alles schon gesehen. Auf Messen, in Ausstellungen, auf seiner Scheckkarte. Nur der Hintergrund war ihm so noch nicht bewusstgeworden. Das alles war natürlich nur ein Bild, eine Metapher, aber die bekannten Grenzen waren damit bereits überschritten. Nur wussten es die Menschen, die mit ihrer Karte in die Banken gingen noch nicht. Wenn man aber, so schoss es ihm durch den Kopf, drei Dimensionen auch durch zwei Ebenen darstellen konnte, dann war die Anzahl der vermeintlichen Ebenen, auf denen irgendetwas stattfand, gar nicht so wichtig. Aber, und da kam der realistische Journalist wieder bei ihm durch, mit Philosophie konnte kein Hund hinter dem Ofen hervorgelockt werden. Wie ließ sich das, was dieser angetrunkene Techniker als Wahrheit verkaufen wollte, überhaupt darstellen. Die Zuschauer mussten, wenn ihr Interesse angeregt werden sollte, eine Verbindung zu ihrem täglichen Leben finden können, wenigstens aber zu ihren Vorurteilen.
Bilder, er brauchte Bilder. Während der Andere weiterredete suchte er Bilder für das, was er eben gehört hatte. Neu zu drehende, Bilder aus dem Archiv, Zeichnungen, Trickfilm, was auch immer. Dann kamen die Bilder in seinem Kopf:
Es war die Beschreibung eines Menschen, der Eckstein hieß, ein Fernsehportrait, noch in schwarz- weiß gedreht. Eckstein war ein Spinner unter den Physikern, der Unsichtbarkeit erklärbar machen und auch beweisen wollte. Dazu kam es nie, denn es fehlte das Geld. Aber Eckstein behauptete noch Jahre später, die Amerikaner hätten seine Ideen geklaut, hätten Versuche angestellt und seien zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen, die natürlich alle geheim gehalten würden.
In kleinen, einfachen Versuchen wusste er nachzuweisen, dass Lichtstrahlen durch elektromagnetische Felder abgelenkt werden konnten. Und dann, so Ecksteins Theorie, ließen sich Lichtstrahlen auch um Objekte herumleiten. Wenn nun das Licht um Objekte herum zu dirigieren war, dann war das Objekt unsichtbar, denn kein Bröckchen Licht wurde reflektiert. Nur am Objekt selbst könne man durch Berühren seine Existenz feststellen. Dort sei zwar überhaupt kein Licht, das absolute Dunkel, keine Reflexion, aber der Gegenstand sei dennoch ertastbar vorhanden.
Ecksteins Theorie war damit allerdings noch nicht erschöpft: Licht als elektromagnetische Welle, so behauptete er, stünde auch in unmittelbaren Zusammenhang mit der Zeit. Wenn Zeit ein wie auch immer geartetes Feld sei, und er habe Hinweise dafür, so ließe sich ebenso auch Zeit beeinflussen. Durch Gegenfelder, die noch gefunden werden müssten. Die vierte Dimension, also die Zeit, ließe sich dann als vierdimensionaler Raum ebenso verändern, wie der bekannte dreidimensionale Raum durch die zweidimensionale Malerei nach Entdeckung der Perspektive.
Die Entdeckung der Perspektive in der Malerei konnte also als Vehikel dazu herhalten, die Reduzierung von drei Dimensionen auf zwei in der Holographie zu erklären. Die Holographie als Weiterentwicklung feststehender Perspektiven in der Malerei. Ecksteins unbewiesene Theorie um Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Veränderung der Zeit, ließen dem Zuschauer zudem noch Spekulationsmöglichkeiten offen, sich weitere Entwicklungen vorzustellen. Eine wissenschaftliche Hypothese konnte somit herangezogen werden, das Vertrauen in die Allgemeingültigkeit unserer westlichen Naturwissenschaft zu erschüttern. Die Methode war zwar nicht ganz sauber, an ihr musste noch gefeilt werden, aber er brauchte Bilder aus der Naturwissenschaft, um auf Probleme der Simulation hinweisen zu können. Vielleicht war dies einfach der Strohhalm.
„Wir greifen also in die Dimensionen unserer Umgebung ein. Dann denken wir doch einfach mal weiter: Als Vorlage haben wir im Moment noch ein Objekt. Die Zukunft gehört aber der digitalisierten Elektronik. Das heißt: Wenn wir unsere Versuche weiter ausbauen, dann können wir Räume digital speichern und reproduzieren.“
Von der elektronisch-digitalen Speicherung hatte Braun eine gute Halbbildung: Schließlich arbeiteten sie mit einer teildigitalisierten Fernsehtechnik. Rechnergesteuert, auch wenn der Zuschauer das überhaupt nicht mitbekam. Flatterfernsehen nannte er das immer abschätzig, denn einem besseren Informationsfluss diente die Bilderschaukelei nicht. Nur dem sogenannten Augenkitzel. Dabei werden die einzelnen Bildpunkte des Fernsehens in digitalisierte Signale übersetzt. Ein Speicher lagert diese Informationen bis zum Abruf. Und dann kann man damit machen was man will, verzerren, verfremden, herumdrehen, von einem Rechner ganz anders verarbeiten lassen. Er konnte sich schon vorstellen, welche Möglichkeiten es gab.
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