„Du hast den Herren noch nicht einmal etwas zu trinken angeboten.“ Die Stimme war gedämpft und enthielt einen Hauch von Vorwurf.
In den Raum war unbemerkt eine Frau getreten, die sofort eine besondere Aura verbreitete. Lange, blonde Haare fielen auf ein blaues Samtkleid. Der Saum an Fußknöcheln, Hals und Ärmeln war mit silberfarbigen Ornamentstreifen verziert. Ein einzelnes Ornament wiederholte sich auf der linken Hüfte der Frau. Schau mal an, dachte Knoop, Bernhard Vanderstetten steht auf großbusige Blondinen. Als diese ihm aber die zierliche Hand reichte, kam ihm dieser Gedanke als Frevel vor. Er war entgeistert. So stammelte er einige Worte, die er teilweise auch noch verschluckte. Er ärgerte sich über sich selbst. Krampfhaft bemühte er sich, seine Selbstsicherheit zurückzugewinnen.
Die Erscheinung ignorierte mögliches Fehlverhalten. „Ich bin die Dame des Hauses. Eliza Vanderstetten“, stellte sie sich selbst vor. „Ich lasse Ihnen was bringen.“ Dann schritt sie durch den Arbeitsraum.
Erst jetzt bemerkte Knoop einen Dalmatiner, der ihr folgte. Der Hund vermittelte eine unerklärliche Wirkung. Seiner Herrin gegenüber war er untertänig. Gleichzeitig registrierte er alles, was um sie herum geschah. Seine Muskeln signalisierten ständige Einsatzbereitschaft, jederzeit aufmerksam, sich auf den zu stürzen, auf den die Geste seiner Herrin wies. Knoop hatte der Erscheinung wohl zu lange nachgestarrt, denn er fühlte sich vom Hausherrn beobachtet. Um die Peinlichkeit zu überbrücken, bemerkte er trocken:
„Ein schönes Tier.“
„Da sagen Sie was. Jezebel ist der Augapfel meiner Frau. Sie ist stolz darauf. Ohne ihn macht sie kaum einen Schritt. Wenn Eliza ihn irgendwo ablegt, dann seien Sie sicher, er bekommt alles mit. Nähert sich ihr dann jemand, sehen Sie förmlich, wie sich die Muskeln anspannen. Aber kommen wir auf den Zweck Ihres Besuches zurü...“
In diesem Moment betrat der Uniformierte, der sie am Eingang empfangen hatte, das Zimmer. Er balancierte ein Holztablett vor sich her. Kaffee, Mineralwasser und Orangensaft standen zur Auswahl. Während Carlos den O-Saft wählte, entschied sich Mikael für den Kaffee. Er wurde nach all seinen Wünschen für die Zutaten gefragt, erst dann wurde die fertige Tasse vor ihm hingestellt. Vanderstetten brauchte nur zu nicken, dann stand die gewünschte Kaffeekreation auch vor ihm.
„Habe ich ein Mordmotiv? Brauche ich ein Alibi?“ Bernhard Vanderstetten nippte an seiner Tasse mit Goldrand.
Knoop, der auch einen Schluck trinken wollte, setzte seine Tasse vorher ab. „Nein, das glaube ich nicht. So wie Sie den Vorgang geschildert haben, sehe ich momentan keinen Zusammenhang mit unseren Ermittlungen.“ Knoop lächelte, bevor er trank, um dann die Tasse abzusetzen. „Man glaubt irrtümlich, die Polizei sucht nur nach Motiven und Alibis von Tätern. Unsere Hauptarbeit besteht darin, Fakten auszuschließen. Nur so nähern wir uns den Tatverdächtigen.
Ingrid Höfftner hatte ihren Jetta auf einen Wanderparkplatz an der Üfter Mark gelenkt. Sie hatte so viele Fakten ermittelt, dass sie befürchtete, diese zu vergessen. Zudem wollte sie sich über das weitere Vorgehen klarer werden. Sie war unzufrieden mit der arbeitsteiligen Ermittlungsleitung. Sie hielt van Gelderen für einen typischen Patriarchen, der das Fortkommen von Frauen behinderte. Frauen waren für ihn zu Führungsaufgaben ungeeignet. Das war nichts Neues. Sie hatte in ihrer Laufbahn schon viele solcher Typen getroffen. Es galt halt, Fakten zu setzen, damit dieser Knoop in die zweite Reihe zurücktrat. Sie mochte ihn nicht. Die Art und Weise, wie er sich gab, stieß sie ab. Er hatte zwar ein Gespür für Zusammenhänge, die andere nicht sahen. Aber das hatte sie auch. Sie sah sich näher am Geschehen als dieser Knoop. Für sie gab es nur Fakten. Verschwörungstheorien, wie Knoop sie ständig produzierte, lehnte sie vehement ab. Sie war sich sicher, dass sie in Kürze die alleinige Leitung dieser Ermittlungen übernehmen würde.
Sie kramte einen Notizblock aus ihrer Handtasche. Für´s erste hatte sie einen theoretischen Kreis um das Haus von Dieter Wehrkamp gezogen und dadurch neun Nachbarn ausgemacht, die innerhalb dieses Gebietes lagen. Drei von denen konnte sie offensichtlich streichen, weil sie keine Landwirtschaft mehr betrieben. Sie bewohnten Restbauern-höfe. Hier gab es keine Kooperation der Nachbarn mit landwirtschaftlichen Geräten oder Unterstützung bei Arbeiten, die man nicht alleine erledigen konnte. Das besagte zwar nicht viel, aber es war ja nur ein vorrübergehendes Ausschlussmerkmal. Dann gab es einen Lohnunternehmer. Der arbeitete mit vielen in der Gegend zusammen. Bei den anderen Nachbarn wusste man von Wehrkamps Beziehung zu einer Dunkelhäutigen, allerdings nur vom Hörensagen. Wie gut, dass die Leute gerne über andere quatschten.
Ingrid war aufgefallen, es waren vor allem die Nachbarfrauen, die sich in diesem Metier der Geheimnisse, die weiß Gott keine waren, auskannten. Man konnte sie nicht als Zeugen vernehmen, weil all das ja nur Hörensagen war. Aber sie wussten von heimlichen Treffen der beiden in der Natur. Helga Kraft wusste sogar von einem Têt a´ têt im Ehebett. Sie war natürlich nicht dabei gewesen. Man redete ja nur drüber. Als sie dies äußerte, hatte Ingrid den Eindruck, als vernähme sie bei Frau Kraft ein bedauerliches Stöhnen. Auf ihre Nachfragen, was seine Frau denn zu einem solchen Verhältnis sagen würde, bekam sie immer die gleiche Antwort: Die ist doch blind. Die will das nicht wahrhaben. Einen Moment drängte sich bei der Kommissarin der Verdacht auf, Eifersucht als Motiv einzubeziehen. Aber hier sprachen zwei Fakten dagegen. Frau Wehrkamp fehlte sowohl die körperliche Kraft, Mafalele zu beherrschen, und zudem war der Ablauf dieses Mordes nicht frauentypisch.
Zwei andere Nachbarn hatten behauptet, bereits Besuch von einem anderen Polizisten bekommen zu haben. Höfftner maß aber auch diesen Aussagen keine besondere Bedeutung zu. Sie blieb bei ihrer Meinung: Es konnte sich nur um einen findigen Reporter handeln, der auf diese Weise an Informationen kommen wollte. Knoops Verschwörungstheorie hielt sie für typisch maskuline Spinnerei. Aus diesem Grunde würde sie in ihren Berichten nichts darüber verlauten lassen.
Bei dem Nachbarn im Osten - sie schaute in ihre Aufzeichnungen - richtig, das war Gustav Brettschnieder, bekam sie eine genauere Aussage. Brettschnieder hatte Dieter natürlich nicht beim Geschlechtsakt beobachten können, aber wenn zwei sich treffen, die eine mit dem Rad von links kommend, der andere mit dem Trecker von rechts kommend, um dann im Gebüsch zu verschwinden, dann „haben die doch keine Beeren gepflückt“, wie er grinsend bemerkte. Die Reifen waren das zweite Indiz des heutigen Tages. Der hatte nämlich schon sehr gut angefangen. Als sie zum Wehrkamp-Hof kam, war dort keine Menschenseele anzutreffen gewesen. Sie nutzte die Gelegenheit und inspizierte die weitläufigen Gebäude auf dem Hofgelände. Es war eine Scheune, die wohl anderweitig nicht mehr gebraucht wurde. Es gab in ihr mehrere Einstellplätze für Autos. In einem davon stand ein hellgrüner Astra. Eine Kontrolle mit den Aufzeichnungen ihres Smartys über den Reifentyp in der Nähe des Tatorts brachte einen Treffer. Das waren zwar nur Indizien, aber sie würden an Bedeutung gewinnen, falls man bedeutendere Beweise fand. Das bedeutendste Indiz zu notieren, hatte sie sich zum Schluss aufgespart. Sie startete ihren Wagen. Über die Formulierung würde sie während der Fahrt nach Duisburg nachdenken.
Auf dem Weg zur B 58 hatte Knoop den Dienstwagen - man hatte ihm heute einem Ford Mondeo zugeteilt - zu einem Landgasthof gelenkt. Sie waren mit Ausnahme von zwei Pärchen die einzigen Gäste. Der wolkenverhangene Himmel hatte zwar die Temperaturen auf ein angenehmes Maß heruntergekühlt, aber der permanent wehende Wind lud nicht dazu ein, sich in den Biergarten zu setzen. So suchten sie einen weitentfernten Platz. Carlos verlangte Kaffee und Kuchen. Er hatte aber nur die Wahl zwischen einer Sahneerdbeertorte und einer Erdbeertorte mit Sahne. Mikael wollte ein Wasser.
Читать дальше