„Knoop winkte mit der Hand ab. „Sag’s so.“
„...wird von sechs bis sieben Automarken gefahren. Die wissen nur, es muss sich um einen Kleinwagen handeln. An den Reifen waren keine Macken, die eine Eingrenzung möglich machen. Also, über die Reifen kommen wir dem Täter nicht näher. Es sei denn, wir haben den konkreten Reifen vorliegen.“
Ingrid Höfftner betrat den Raum. Sie hatte die Farbe ihres Pullovers gewechselt, nicht aber deren Größe. Sie hatte ein süßliches Parfum aufgelegt. Zu süß, wie Mikael fand. Sie setzte sich auf einen Stuhl, nachdem sie aus einer Schublade einen Becher und einen Teebeutel genommen hatte.
„Darf ich dir Wasser heiß machen?“ Knoops Stimme zeigte kein Anzeichen von Unfreundlichkeit.
„Wenn du meinst,“ sagte sie schnippisch.
Während das Wasser im Kocher zu brummen begann, ließ sie sich die Ergebnisse der Kriminaltechnik noch einmal erklären. Sie zuckte mit den Achseln. „Wir müssen überprüfen, ob Wehrkamp solch einen Kleinwagen fährt.“ Sie packte ein Schinkenbrötchen aus, süßte den Tee und begann zu frühstücken.
Mikael kratzte sich den Hinterkopf. „Und was ist mit dem Fremden?“
Mit vollem Mund legte die Kollegin los. „Ich würde das nicht überbewerten. Das könnte beispielsweise ein Reporter sein. Die arbeiten mit solchen Tricks. Solche Ausweise haben die massenhaft in der Tasche. Ich hatte in Münster mal so einen Fall, da hat sich ein Schreiberling als Bestattungsunternehmer ausgegeben, nur um den Tatort fotografieren zu können. Toll, was?“ Sie spülte die Speisereste herunter und biss wieder ins Brötchen.
Knoop änderte das Thema. „Sag mal Carlos, wie heißt der Artikelschreiber der Rheinischen Post?“
Höfftner kannte den Artikel schon. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann kümmere ich mich um das Umfeld von Wehrkamp. OK? Ihr könnt ja der Presse auf die Bude rücken.“
Die Redaktion der Zeitung befand sich auf der Steinschen Gasse, einer der Hauptadern der Duisburger Innenstadt. Auf Laurenzos Wunsch hin machten sich die beiden zu Fuß auf den Weg dorthin. Zum einen würde man vor Ort sowieso keinen Parkplatz bekommen, zum anderen benötigte Carlos noch ein Präsent. Er war heute Abend zu einem Geburtstag eingeladen. In einem Musikladen fand er eine CD mit spanischer Folklore.
Der Chefredakteur der Rheinischen Post war nicht im Hause. Er hatte das Redigieren der heutigen Ausgabe zu verantworten gehabt und befand sich nun im wohlverdienten Schlaf. Sein Stellvertreter stand ihnen aber nach einer kurzen Wartepause zur Verfügung. Hastig rauschte er in den Besprechungsraum, so als wäre dies eine seiner vielen Tätigkeiten, die er gleichzeitig zu erledigen hatte. Knoop fühlte sich an seinen früheren Zahnarzt erinnert, der in vier Behandlungszimmern per Rotation vier Patienten gleichzeitig behandelt hatte. Der Zeitungsmann nuschelte seinen Namen, so dass Mikael ihn nicht verstand. Er ließ es aber auf sich bewenden, weil diese Person keine Rolle bei seinen Ermittlungen spielte.
Der Stellvertreter, eine schwarzhaarige Bohnenstange mit Bauch, roch nach einem scharfen Rasierwasser und den Zigaretten, die er fortwährend rauchte. Er begriff nach einer kurzen Einführung von Knoop, worum es ging. Er musste aber seinen Computer bemühen, um ihnen den Namen und die Anschrift von 'MaDe' zu geben. Zwischen zwei Zigarettenlängen erfuhren sie, unter dem Kürzel 'MaDe' schrieb Maximilian Deulberger für die Zeitung. Deulberger war nebenberuflich als Journalist tätig. Er betreute den Großraum Schermbeck, war somit für das Lokale dort unter anderem verantwortlich. Carlos rief die erhaltene Rufnummer an. Am anderen Ende der Verbindung meldete sich eine Frau.
„Deulberger. Ja, mein Mann arbeitet als Journalist. Max ist allerdings unterwegs. Ich glaube aber, er wird in einer knappen Stunde zurückerwartet.“
Das könnten sie schaffen. Carlos kündigte ihr Kommen an. Sier bedankten sich bei dem stellvertretenden Chefredakteur.
Auf dem Weg zu den Aufzügen erzählte Laurenzo von den Leuten, die er heute Abend treffen würde.
Der Lift brauchte eine Zeit, bis er ihre Etage bediente. Eine Frau mit braunem Teint, langen roten Haaren, kurzem grauen Rock und kaum verschlossener blassroter Bluse kam auf sie zu. Sie erweckte den Anschein, als wollte sie ebenfalls mit dem Lift fahren. Ohne die Männer zu beachten, ging sie jedoch vorüber. Kaum war sie außer Hörweite, da flüsterte Laurenzo:
„Nun, eine solche Sekretärin wäre nicht schlecht. Warum haben wir nicht so etwas?“
Mikael grinste. „Ich glaube, du musst dir einen anderen Job suchen.“
Die Bruchstraße führte, vom Zentrum Gahlens aus gesehen, ins Grüne. Deulberger bewohnte die obere Etage eines Zweifamilienhauses. Das Summen eines Elektromagneten öffnete ihnen den Zugang zum Haus. Als die Polizisten die obere Etage erreichten, lehnte Deulberger in seiner Wohnungstüre, eine Tasse Kaffee in der Hand haltend. Das erste, was Knoop auffiel, war die übergroße Hakennase, die sein Gesicht zierte. Sein blondes Haar fiel in den Nacken seines Hemdes. Er trug Röhrenjeans, die trotzdem um seine Beine wedelten. Das karierte Hemd erinnerte an einen Kanadischen Holzfäller.
Das Arbeitszimmer des Freizeitjournalisten war eine Form organisierter Unordnung. An allen Wänden standen Regale. Dort, wo auf den Regalbrettern keine Ordner platziert waren, stapelten sich Broschüren oder Hefter in einer Höhe, dass sie kurz vor dem Umkippen standen. Überall, wo der Platz es erlaubte, gab es Stapel von Papierstößen. Auch der Schreibtisch verbrauchte mehr Platz als Lagerfläche, denn als Arbeitsplatz. Der Staub verriet, welche von den Stapeln noch genutzt wurden oder nur als Zwischenlager dienten. Deulberger war an den Ausführungen der beiden Polizisten äußerst interessiert. Immer wieder hatte er eine Frage und ließ sich haargenau erklären, worum es bei den Ermittlungen ging. Als Knoop ihm seinen Zeitungsartikel als Grund für ihr Erscheinen nannte, weiteten sich die Augen. Ohne auf die Frage von Knoop einzugehen, wollte er wissen, warum man gerade auf Bernhard Vanderstetten kam? Knoop wollte diese Frage ignorieren, aber Laurenzo bellte genervt von der Fragenstellerei dazwischen. „Mann, die Fragen stellen wir hier.“
'MaDe' schluckte, doch dann zog die Neugier wieder in seine Gesichtszüge. „Ja. Ja, ich weiß, aber in Schermbeck haben mehr Leute Dreck am Stecken, als Vanderstetten.“
„Woher wissen Sie das“, hakte Knoop nach.
„Na, das kann ich ihnen sagen. Vanderstetten ist großzügig, ein wahrer Samariter.“
Knoops Finger fuhr über einen Stapel Hefter und hinterlies eine Spur in der Staubschicht. Er schaute Deulberger in die Augen. „Das müssen Sie uns deutlicher erklären.“ Er hob eine Mappe hoch, auf der der Titel 'Hochzeitsjubiläen' stand.
Der Journalist nickte eifrig. „Gerne. Bitte bringen Sie mir nichts durcheinander. Auch wenn es so aussieht, alles ist wohl geordnet. Was hatten Sie gefragt? Übrigens! Kaffee? Tee?“
Beide Polizisten hoben abwehrend ihre Hände. „Danke, nein.“
"Ach ja, Wohltäter. Im letzten Jahr hat er eine Autolackiererei aufgekauft, die vor der Pleite stand. Alles nur, um Arbeitsplätze in der Gemeinde zu erhalten.“ Er reckte den zweiten Finger in die Luft. „Die Zeitmessanlage in unserer Sporthalle hat er gesponsert.“ Der dritte Finger wurde ausgestreckt. „Dank seiner Unterstützung feiern die Ehrenamtlichen der Schermbecker Vereine jedes zweite Jahre in einem Festzelt auf dem Rathausplatz. Einem Schießverein besorgte er ein Luftgewehr für die Jugend. Als die Orgel von Sankt Ludgerus repariert werden musste, war seine Spende die größte. Wollen Sie noch mehr?“ Er reckte demonstrativ seine ausgespreizte Rechte in die Luft.
Knoop schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Wir haben verstanden. Kommen wir auf Ihren Artikel zu sprechen. Doch zunächst. Was wissen Sie über diese Nomfunda Mafalele?
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