MaDe lehnte sich zurück. „Nicht viel. Sie wohnt im Heim für Flüchtlinge auf der Poststraße. Aber das wissen Sie bereits. Sie ist eine unauffällige Erscheinung, wie die meisten Flüchtlinge. Ich habe nur eine Sache gefunden.“ Er verschob ein paar Unterlagen und fand zielsicher einen Notizzettel. „Sie hat sich bei der Gemeindeverwaltung beschwert, weil der Hausmeister Werner Niedrighaus anzügliche Bemerkungen gegen sie gemacht habe. Die Sache zog Kreise bis zum Bürgermeister. Als dieser der Sache persönlich nachging, kam heraus, der Hausmeister hatte eine andere angebaggert. Weil sich diese aber nicht getraut hatte, sich zu beschweren, hatte Mafalele die Sache zu der ihren gemacht. Niedrighaus muss das wohl häufiger gemacht haben, denn er wurde abgemahnt. Seitdem ist es aber ruhig geblieben. Auf jeden Fall habe ich persönlich nichts mehr dergleichen gehört.“
Knoop nickte. „Was war das mit der Messerstecherei?“
Deulberger zog die Lippe an die Nasenspitze. „Also, ich war nicht dabei. Keiner war wohl dabei, außer Vanderstetten und die Angreiferin. So weit, wie ich mich informieren konnte, wollte Vanderstetten sich die Beine vertreten. Er macht dies häufiger. Den Ausfall einer Straßenlaterne nutzte wohl die Person aus. Sie griff ihn von hinten an. Der Stimme nach zu urteilen, war es keine Deutsche, denn sie redete während der Tat. Zudem trug sie einen Anorak und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Vanderstetten hatte Glück. Er hörte ein Geräusch hinter sich. Nur weil er instinktiv den Arm hoch riss, verfehlte das Messer sein Ziel. Durch die Abwehrbewegung verlor die Person die Waffe. So entschwand sie unerkannt. Sie rannte in Richtung Flüchtlingshaus. Es ist doch klar...“
Knoop unterbrach den Redefluss. „Woher ist man sicher, dass es sich A um eine Frau und B um Mafalele gehandelt hat?“
Deulberger schaute den Polizisten erstaunt an. „Das haben die Leute behauptet.“
„Und Vanderstetten?“
Deulberger zuckte mit den Schultern. „Der wollte zu der ganzen Angelegenheit nichts sagen. Ich habe ihn mehrmals darauf angesprochen, wenn ich ihn gesehen habe. Doch er wollte sich dazu nicht äußern. Das ist alles, was ich weiß.“
Laurenzo schaute in den wolkenverhangenen Himmel, der aber doch so viel Wärme durchließ, dass es angenehm warm war. Auf dem Weg zu ihrem Wagen warf Carlos den Autoschlüssel immer in die Höhe. „Komisch, da wird jemand mit einem Messer verletzt und dann unternimmt der nichts? Das muss ein komischer Kauz sein.“
„Und in den Akten der Staatsanwaltschaft ist die Angelegenheit sang- und klanglos eingestellt worden“, murmelte Knoop. „Wir gucken uns den Kerl mal an.“
Das Haus von Bernhard Vanderstetten auf dem 'Alten Postweg' war eine Festung. Eine drei Meter hohe Mauer aus Bruchmarmor verhinderte den Blick in das Anwesen. Durch das schmiedeeiserne Rolltor war nur ein Teil einer gebogenen Auffahrt erkennbar. Ein gewaltiger Buchsbaum wurde nur von einem mit braunen Dachziegeln bedeckten Giebel überragt. Als Laurenzo die Klingel betätigte, schwenkte eine Überwachungskamera in ihre Richtung.
Mikael Knoop sprudelte die Eingangsformalien herunter. Nachdem er seinen Polizeiausweis Richtung Kamera gehalten hatte, ermöglichte ein Elektromotor ihnen den Zutritt. Er winkte Carlos mit dem Wagen heran. Dann stieg er dazu. Mikael hatte eigentlich erwartet, man würde Vanderstetten für abwesend erklären, aber nichts dergleichen hatte die Mikrofonstimme verlauten lassen. Am Eingang erwartete sie eine männliche Person. Das konnte unmöglich der Hausherr sein, es sei denn, dieser bevorzugte eine uniformähnliche Bekleidung.
Schon mit dem Betreten des Gebäudes stellte sich der Eindruck ein, hier hatte jemand Geld, viel Geld. Geld, das man in Komfort und Gemütlichkeit gesteckt hatte. Mikael wäre nicht erstaunt gewesen, wenn der Marmor des Fußbodens nicht aus Italien importiert worden war. Die darauf liegenden Teppiche waren Sonderanfertigungen, welche der Raumgröße angepasst waren. Die Rundtüren waren nach dem Kassettenprinzip gefertigt und für dieses Haus extra hergestellt worden.
Der Raum, in den man sie führte, musste ein Rückzugsbereich des Hausherrn sein. Gemütlichkeit und Entspannung waren die Begriffe, die Mikael einfielen, als er sich umschaute. Die beigen Ledersessel luden geradezu zum Verweilen ein. Die Hausbar war zwar klein, schien aber reichlich bestückt. Der Geschmack Vanderstettens bewegte sich in Richtung abstrakter Kunst. An jeder Wand gab es einige Bilder davon. Knoop wäre nicht überrascht gewesen, wenn jedes ein Unikat gewesen wäre. Das Hobby des Bewohners stand in der Nähe eines überdimensionierten Fensters. Es war eine Billardplatte. Die Kugeln waren auf dem Spielfeld verstreut, so als hätte man gerade das Spiel unterbrochen. Laurenzo ergriff nach einiger Wartezeit eine farbige Kugel und rollte diese in Richtung der weißen. Nach ein paar Versuchen gelang es ihm, das Ziel zu treffen.
„Sie müssen mit der weißen Kugel spielen.“ Vanderstetten war durch eine andere Türe gekommen, als sie erwartet hatten. Vor ihnen stand ein unscheinbares Männeken. Ein Wohlstandsbäuchcsken verriet die Distanz zum Sport. Er hatte dichtes Haar, welches er nach vorne gekämmt trug. Damit überspielte er den Beginn sich ausbreitender Geheimratsecken. Die blaue Hose und der dazugehörige Pullover waren geschmackvoll und bestimmt teuer gewesen. „Was führt Sie zu mir, meine Herren?“
Knoop wollte noch einmal zu seinem Ausweis greifen, aber eine lässige Handbewegung unterbrach dies. Knoop schluckte, weil sein Hals sich trocken anfühlte. „Wir ermitteln in dem Todesfall Mafalele. In diesem Zusammenhang hat man uns mitgeteilt, es habe einen Angriff von ihr auf Sie gegeben.“
Das Gesicht des Hausherrn hielt seinen freundlichen Ausdruck bei. „Ist das die Tote, die in der Zeitung stand?“
Knoop und Laurenzo nickten gleichzeitig.
„Ach, ja, so hieß diese Frau wohl! Aber ich begreife den Zusammenhang noch nicht.“ Vanderstetten setzte sich in einen Ledersessel, und machte eine Handbewegung, ebenfalls Platz zu nehmen.
„Ob hier ein Zusammenhang besteht, wissen wir auch noch nicht, aber wir haben alles zu untersuchen, was mit der Toten zusammenhängt. Und ein Messerangriff könnte hier bedeutsam sein.“
Der Kopf bewegte sich bedächtig mehrmals nach vorne. „Verstehe. Zu dem Vorgang möchte ich keine Angaben machen. Ich habe bei der Dunkelheit nichts gesehen und ich will keinen fälschlich beschuldigen.“
„Aber man hat Sie doch mit einem Messer angegriffen?“ Laurenzos Oberkörper schnellte aus den Tiefen des Polsters hervor.
„Das habe ich auch nie geleugnet. Wie sollte ich auch. Ich musste mich ja im Weseler Krankenhaus behandeln lassen.“ Er zog den rechten Ärmel seines Pullovers zurück, löste den Knopf der Manschette. Als das Hemd den Unterarm freigab, wurde ein länglicher Verband sichtbar. Er zog sich wieder an. „Mir geht es ums Prinzip. Ich beschuldige niemanden, es sei denn, ich habe ihn gesehen.“
„Und warum bringt man den Namen Mafalele mit diesem Überfall in Verbindung?“
Vanderstetten versank fast in den beigen Lederpolstern. Durch die randlose Brille wurden die Augen leicht vergrößert. Sie fixierten Knoop und er hatte das Gefühl, abgeschätzt zu werden. „Was weiß ich? Die Leute reden halt.“
„Aber die kommen doch nicht ohne Anlass zu solch einer Geschichte?“
Die Polster schluckten den größten Teil des Achselzuckens. „Ich habe nur einmal mit dieser Frau wissentlich Kontakt gehabt. Eine unerfreuliche Angelegenheit, wie ich zugeben muss.“
Knoop nickte.
„Es war an einem Samstag vor drei Wochen. Ich hatte meiner Frau versprochen, Kleinigkeiten einzukaufen. Als ich langsam aus der Parklücke herausfuhr, berührte ich wohl den Einkaufswagen dieser Frau. Ich betone: b-e-r-ü-h-r-t-e! nur den Einkaufswagen. Als ich ausstieg, begann die Frau lautstark zu meckern. Ja, sie begann richtiggehend zu keifen. Man konnte sie nicht beruhigen. Ich verstand auch kein Wort, was sie sagte. Es war eine fremde Sprache, die ich nicht kannte. Nach und nach bildete sich eine Menschentraube. Mir war die ganze Angelegenheit peinlich. Ich konnte nichts sagen. Alle redeten durcheinander. Keiner hörte mir zu. Dann hörte ich Stimmen, die behaupteten, die Furie käme aus dem Flüchtlingsheim. Ich hatte auf einmal den Gedanken, mit einem Zwanziger etwas Gutes zu tun und gleichzeitig die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. Ich muss zugeben, das war ein Fehler. Mit einer theatralischen Geste warf sie mir den Schein vor die Füße und verschwand zeternd. Glauben Sie, das erklärt einen Messerangriff?“
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