Besagte De Broughler Avenue zog sich parallel zur Avenue Central hin. Sie war asphaltiert, was sie als einen Hauptverbindungsweg auszeichnete. An ihr stand ein buntes Gemisch von Kolonialbauten, Steinhäusern, Stahlbetonskeletten und niedrigen Hochhäusern. Aber es gab auch freie Flächen, wo das Unkraut den fliegenden Müll eingefangen hatte.
Die Sonne strahlte aus wolkenlosem Himmel. Man hatte sich mit der Temperatur von über 30 Grad Celsius arrangiert. So war es eben. Wer kein schattiges Plätzchen fand, der eilte über Straße und Bürgersteig, um den Sonnenstrahlen zu entfliehen. Die Männer trugen Hosen. Die waren bei den älteren länger und bei den jüngeren kürzer. Wenn sie nicht mit nacktem Oberkörper herumliefen, dann trugen sie Buschhemden oder langärmlige Blousons. Die Frauen trugen Blusen und knöchellange Röcke. Ein abendländisch geschultes Auge vermisste eine Abstimmung von Mustern und Farben. Dabei verkannte es, dass gerade diese vielfältige Kombination von Farben und Mustern das Modische ausmachte. Für die Größe einer Metropole wie Brazzaville waren zu dieser Zeit wenige Fahrzeuge unterwegs. Es war Mittagszeit. Unter den Kraftfahrzeugen befanden sich weniger Pkws als Lastwagen. Unabhängig von der Außentemperatur musste man Geld verdienen, wenn man denn zu den Glücklichen gehörte, welche die Möglichkeit dazu hatten. Häufiger traf man auf die Lkws der Kleinen Leute - Fahrräder. Geschoben oder gefahren waren sie mit allem beladen, was man stapeln konnte. Kästen, Kisten, Behälter oder Ballen gehörten ebenso dazu, wie Bretter, Balken oder Rohre. Die Grenze der Beladung war nicht die Menge der Ladung, sondern die Festigkeit der Fahrradkonstruktion. Wer fortschrittlicher transportierte, der setzte Mopeds ein.
Vor einem unscheinbaren, vier Etagen umfassenden Ziegelsteinbau standen zwei uniformierte Männer im Schatten des Eingangs. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, nur die Umgebung zu beobachten und den Zutritt zu kontrollieren. Suchte eine Person den Zugang zum Gebäude, wurde sie abgetastet und bei befriedigendem Ergebnis nach innen weitergereicht. Da dies recht selten geschah, war dies ein langweiliger Job, der bei dem hohen Stand der Sonne mehr eine Tortur war, denn eine Sicherungsaufgabe.
Die beiden Männer in einer fußknöchellangen Galabiya erregten keine Aufmerksamkeit. Sie passten ins Straßenbild. Ihr Abstand zueinander war abgestimmt, aber er erschien für den Betrachter zufällig. Sie waren nicht die einzigen, welche die Häuserfront der Firma Lambarde Traffic Ltd. passierten. Lambarde Traffic hatte als Geschäftsfeld internationalen Transport auf einem schmutzigen Messingschild angegeben. Als beide Männer so gleichzeitig an den Wachen vorbeischlenderten, verschafften zwei kleinkalibrige Pistolen dem Sicherheitspersonal ein schnelles Ende. Während die Mörder die Leichen einfach an der Hauswand ablegten, fuhren zwei schwarz lackierte Range Rover vor. Neun mit Kuffija vermummte Gestalten sprangen aus dem ersten Fahrzeug heraus. Während sie geräuschlos im Gebäude verschwanden, blieben einige Passanten stehen. Kommentarlos warteten sie auf weitere Ereignisse. Weil alles ruhig blieb, schüttelten sie nach einiger Zeit ihren Kopf, um ihre eigentlichen Tätigkeiten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltens wieder aufzunehmen.
Im Innern des Gebäudes wurde das Sicherungspersonal von den Vorderen des Stoßtrupps durch Schläge mit den Gewehrschäften außer Gefecht gesetzt, während die Letzten den Ohnmächtigen jeweils zwei Kopfschüsse verpassten. Die Eindringlinge kannten sich aus, und sie hatten ein Konzept. Sie wussten, wo das Sekretariat war, wohin sie wollten. Während die ersten beiden sofort in das Zimmer des Chefs von Lambarde Traffic Ltd. durchstürmten, legten die nachfolgenden Söldner mit angelegten Kalaschnikows das Sekretariat lahm. Drei Frauen und ein junger Mann warfen sich sofort auf den Boden. Sie wollten schließlich überleben.
Das Büro war durchaus komfortabel eingerichtet. Ein Schreibtisch aus Ebenholz trug eine moderne Telefonanlage. Ein Flachbildschirm verriet, dass es irgendwo einen Computer geben musste. An der Wand hinter dem Schreibtisch hatte man das Fell eines Löwen gespannt, dem man den Kopf und die Krallen nicht entfernt hatte. Schräg vor dem Ebenholztisch stand eine übermannshohe Wurzel, aus der man Teile von Elefanten, Krokodil und Gepard geschnitzt hatte.
Immerhin schaffte es Abduhl Barnasadahleh, so der Name des Firmeninhabers, nach seiner Pistole in der Schreibtischschublade zu fischen. Nachdem er aber in den Lauf zweier Brownings blickte, gab er seine Verteidigung auf. Ohne Waffe zog er seine Hand aus der Schublade. Nachdem man seinen Ledersessel gegen die seitliche Wand unter einem Bild des Staatspräsidenten Secu Sese Secam gefahren hatte, griff einer der Kuffijaträger zum Mobiltelefon. Daraufhin verließ ein Mann im hellen Anzug westlichen Zuschnitts den zweiten Range Rover. Er war ein unscheinbar wirkender Weißer mit kurzgeschnittenen Haaren, die er linksgescheitelt trug. Seine Bewegungen verrieten Geschmeidigkeit.
Bei dieser Aktion lauteten seine Papiere auf den Namen Pierre Lacuste, Belgien. Lacuste hatte viele Ausweispapiere. Er fühlte sich in keiner Nationalität heimisch. Nur seinen Geburtsnamen gebrauchte er nie. Es waren keine Schutzgründe dafür ursächlich. Nein, er wollte nur nicht an seine Gebärerin erinnert werden. Außer Prügel und Hunger hatte er von dieser Nutte nichts geerbt. Seit er denken konnte, hatte diese 'Mutter' es darauf angelegt, dass er aus ihrem Leben verschwinden sollte. Als er es dann schließlich tat, befand er sich im Sumpf von Tirana. Alles, was er benötigte, musste er sich erkämpfen. Bald fand er heraus, wo man schnell an Geld kam: Drogen. Nachdem er anstelle eines Konkurrenten ein Geschäft auf eigene Rechnung gemacht hatte, setzte ihm dieser ein Messer an den Hals. Dass es nicht zum entscheidenden Schnitt kam, lag an einem Partner, der lieber mit Lacuste dealen wollte. Während dieser Partner den Angreifer nur in den Rücken trat, vollendete er, Lacuste, selbst das, wozu sein Gegner nicht den Mut dazu hatte. Er schnitt ihm die Kehle durch.
Mit angsterfüllten Augen starrte Abduhl Barnasadahleh den hereinkommenden Lacuste an. Er erinnerte an einen überdimensionalen dunkelhäutigen Schneemann. Barnasadahleh hatte gewaltige vertikale Körpermaße. Deshalb saß er auf einem gutgepolsterten Rollsessel, dessen Sonderkonstruktion den Massen seines Benutzers durchaus standhielt. Um den Hals trug er eine Menge goldener Ketten, die auf einer behaarten Brust baumelten. Es war seine Art, den Reichtum zu zeigen, den er sich ergaunert hatte. Ein kurzärmeliges, fünffarbiges Seidenhemd verhüllte seine Leibesfülle wie ein Segel.
Ein Deckenventilator verteilte die herumliegenden Blätter weiter auf dem Boden. Es roch nach Zigarettenqualm, obwohl keiner der Anwesenden im Moment rauchte. Gelassen hob der momentane Belgier einen Stuhl vom Boden auf, der beim Stürmen des Zimmers durch den Raum gesegelt war.
„Wir kennen uns nicht. Das ist auch nicht wichtig. Aber wir haben einen gemeinsamen Freund. Und sie, Abduhl, haben unseren Freund verärgert, sehr verärgert.“ Er schnalzte mit der Zunge, als er den Kopf schüttelte. Die dunkelbraunen Augen des Weißen standen etwas eng und waren nur auf das Gesicht seines Gegenübers gerichtet. Sie verbreiteten den Eindruck, als verabscheue er solche Gespräche.
Barnasadahleh zerrte an den Stricken, mit denen man inzwischen seinen massigen Oberkörper mit seinem Drehstuhl fixiert hatte. Vergebens. Auf eine müde Handbewegung von Lacuste hin verkürzte einer seiner Begleiter den Strick um dessen fetten Hals. Schweiß rann über die Schläfen des Gefesselten, eilte die feisten Backen hinunter, um am Hals vom Stoff seines Kaftans aufgesogen zu werden. Der Luftmangel beendete die Gegenwehr.
„Wir wollen uns doch vernünftig unterhalten. Das ist doch in Ihrem Sinne, oder? Wo war ich stehen geblieben? Ach, ja. Unser gemeinsamer Freund. War er nicht sehr entgegenkommend? Zweimal hatte er Ihnen einen Termin gesetzt. Leider kam Ihnen wohl immer etwas dazwischen. Nun sind wir beim dritten Meeting. Drei ist Ihre Glückszahl, denn heute wird gezahlt.“
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