„Es sieht wie Beischlafprellung aus. Dann wäre das der schnellste Fall, den ich in der letzten Zeit gelöst habe. Wie siehst du das?“
Mikael richtete sich auf. „Lasst uns doch erst einmal den Schnittler vernehmen. Dann sehen wir weiter.“
„Wenn du meinst? Du wirst sehen. es ist doch immer der Sex bei solchen Frauen. Irgendwann geraten sie an den Falschen. Dann sind es Fäuste, Waffen oder Gegenstände, die ihnen den Garaus machen. Diesmal ist es halt ein Messer. Du wirst sehen. Es sind immer die Männer, die so etwas tun.“
Knoop hatte keine Lust zu streiten. Über männliches Fehlverhalten sowieso nicht. Sein Widerspruch hätte die Fahrerin nur gereizt.
Höfftner und Knoop passierten gerade das Schermbecker Ortsschild. In wenigen Minuten mussten sie am 'Grünkamp' sein. Weil sie nicht überall zu dritt aufzutauchen brauchten, hatte man die Arbeit aufgeteilt. Mikael hatte sich durchgesetzt, weil auch seine nächtlichen Recherchen nichts Belastendes gefunden hatten. Carlos war vorgefahren. Er sollte mit den Bildern aus dem Schuhkarton aus Mafaleles Zimmer mit den Leuten sprechen, die das Opfer kannten oder gesehen hatten. Vielleicht gab es hier weitere Hinweise. Sie beide würden die Ermittlungen bei Schnittler fortsetzen. Schnittler wohnte in einem Mehrfamilienhaus am 'Grünkamp'. Auf mehrmaliges Klingeln hin reagierte keiner. Man musste wohl oder übel auf die Nachbarn zurückgreifen. Nach einer knappen Stunde Klingelmänneken wussten sie kaum mehr. Für die Nachbarschaft war Schnittler ein unbeschriebenes Blatt. Wo Schnittler sich aufhielt oder wann er für gewöhnlich zurückkehrte, konnte keiner sagen.
Laurenzos Auto parkte noch vor dem Übergangsheim, als Höfftner, ohne Knoop zu fragen, dort anhielt. Sie war sichtlich sauer. Ihre Mundwinkel waren nach unten gewandert. Knoop wusste nicht, was, aber irgendetwas musste er falsch gemacht haben. Er stieg aus dem Wagen. Ohne zu warten, ging er auf das Gebäude zu.
Laurenzo befragte gerade eine Frau in einer weiten roten Bluse, welche die Korpulenz der Figur überdeckte. Der mit Rüschen verzierte gelbschraffierte Rock reichte bis zu den Fußknöcheln. Sie gestikulierte wild mit den Armen. Ihre Stimme war kurz davor sich zu überschlagen. Als Carlos Mikael erkannte, ließ er die Frau einfach stehen und ging auf ihn zu.
„Man, die Mazedonierin geht mir auf den Senkel. Sie behauptet, die Tote sei hinter allen Männern her gewesen. Vor allem auf ihren Mann habe die Schlampe es abgesehen gehabt. Sie beantwortet meine Fragen nicht und erzählt nur immer den gleichen Scheiß, wie sie ihren Mann mit ihr erwischt hat.“
„In Ordnung. Befrage du ihren Mann dazu. Ich kümmere mich um die Frau.“
Knoop stellte sich als Polizist vor. Die Mazedonierin interessierte sich aber nicht für Knoops Legitimität. Sie zögerte etwas, dann begann sie sofort zu lamentieren. Knoop unterbrach sie harsch und fragte nach der Beschreibung der Freier. Dies stockte den Redefluss der Frau. Nach zwei Unterbrechungen merkte er, diese Frau wollte nur Behauptungen in die Welt setzen. Außer allgemeinen und dürftigen Beschreibungen hatte sie nichts konkretes mitzuteilen. Knoop erkannte schnell, sie wusste nichts über andere Freier. Sie schien eifersüchtig zu sein, und wollte die Polizei benutzen, ihre Eifersucht zu befriedigen. Eine Verbindung zum Todesfall schufen diese Anschuldigungen nicht. Carlos, der kurz darauf zurückkam, bestätigte seine Annahme.
Laurenzo hatte aber andere Neuigkeiten. Ein Nachbar auf der anderen Straßenseite hatte eine interessante Beobachtung gemacht und sie der örtlichen Polizei gemeldet. Er beobachtete häufig die Negerbude, wie er die Flüchtlingsunterkunft nannte. Man konnte ja schließlich nicht wissen, was die so machten. Dieses Sicherheitsmanko brachte den ersten ernstzunehmenden Hinweis. Mafalele hatte sich wiederholt mit einem Dunkelhäutigen auf dem Parkplatz an der Maassenstraße getroffen. Das Treffen war nie vor der Flüchtlingsunterkunft geschehen, sondern immer abseits davon. Der Mann wurde als groß, muskulös und gut gekleidet beschrieben. Die Gesichtszüge hatte er aufgrund der großen Entfernung nie sehen können. Der Mann sei auf jeden Fall dunkelhäutig gewesen, wie all die anderen Hausbewohner auch. Der Nachbar hatte zudem beobachtet, dass die beiden sich immer unterhalten hatten. Dann war das Paar Richtung Wesel-Datteln-Kanal verschwunden. Laurenzo hatte nachgefragt, wie der Beobachter diese Treffen bewerten würde. Dieser vermutete nach einigen Hilfsfragen, das seien Treffen von einer Nutte mit ihrem Zuhälter gewesen. Manchmal habe er nämlich Geldscheine gesehen. Weil das Zusammenkommen so ungefähr alle vier Wochen stattfand, hatte dies bei ihm den Eindruck eines Zuhälterverhältnisses verstärkt. Der Nachbar war sich sicher, dieser Mann wohne außerhalb von Schermbeck. Er habe ihn hier sonst nie gesehen. Ein Zuhälter, der von einer selbstsicheren Nutte Geld einforderte, war immer verdächtig. Laurenzo sollte am Ball bleiben.
Ein Polizist, der bei der Befragung der Nachbarschaft geholfen hatte, war in einem nahegelegenen Ladenlokal auf andere Art und Weise fündig geworden. Dem Verkäufer dort war eine dunkelhäutige Person aufgefallen, die häufig, aber in größeren Zeiträumen, die Auslagen seines Installationsbetriebs betrachtet hatte. Aufgefallen war ihm dabei, dass der Betrachter dabei immer auf die Uhr geschaut hatte. Er schien mehr an Zeitvertreib denn an den ausgestellten Waren interessiert zu sein. Dieses wiederholte Verhalten war ihm aufgefallen. Auf ihn passte die Personenbeschreibung, die der Nachbar des Flüchtlingswohnheims gemacht hatte. Einmal habe der Dunkelhäutige sogar seinen Laden betreten. Einen Duschkopf habe er gekauft und bar bezahlt. Der Verkäufer traute sich zu, eine Personenbeschreibung abzugeben. Feldstein würde morgen ein Phantombild davon anfertigen.
Höfftner und Knoop befragten nochmals sowohl den Nachbarn als auch den Verkäufer, um an weitere Informationen zu gelangen. Aber weiterführende Erkenntnisse ergaben sich nicht. Während der Bewertung der Aussagen klingelte das Smartphone von Kollegin Höfftner. Sie sprach nur kurz in das Gerät. Meistens hörte sie zu, was die andere Seite zu sagen hatte. Sie drückte mit einem Grinsen das Gespräch weg.
„Das war van Gelderen.“ Van Gelderen, als Leiter des Kriminal-Kommissariats für Todesermittlungen, Brand, Waffen und Sprengstoff, trug in Höfftners Smarty die Nummer 1. Wenn sich der Chef telefonisch meldete, dann musste was Besonderes vorliegen. Ingrid fuhr fort. „In der Telefonzentrale des PP hat sich jemand gemeldet, der sich nicht weiterverbinden lassen wollte. Auch seinen Namen wollte er nicht nennen. Er bezog sich auf die - wörtlich - 'plattgemachte Niggerfotze'. Ich habe mir die Bandaufzeichnung gerade vorspielen lassen. Man hat den Anruf zurückverfolgt. Der Anonyme hat aus einem öffentlichen Fernsprecher der Post in Dorsten angerufen. Aber interessanter als dieses Versteckspielen war das, was er mitzuteilen hatte: "In Schermbeck gibt es einen Ägidius Wehrkamp. Dieser Wehrkamp ist verheiratet. Dennoch treibt er es mit der schwarzen Fotze.“
Es kostete Laurenzo nur einen Link zum Einwohnermeldeamt, um die Adresse von Ägidius Wehrkamp zu erfahren. Mikael wusste nicht wie, aber Ingrid schaffte es, Laurenzo zu überzeugen, erst einmal mit der erfolgreichen Befragung des Umfeldes des Asylantenhauses fortzufahren. Also begaben sich Höfftner und Knoop gemeinsam zum Anwesen dieses Ägidius Wehrkamp. Bei dem Antrag für seinen Personalausweis hatte er 'Großbauer' eintragen lassen. 'Großbauer', was immer das zu bedeuten hatte.
Die Dunkelheit begann sich über die Landschaft zu legen, als die beiden Kommissare sich einer Menge landwirtschaftlicher Gebäude näherten. Schloss man von der Anzahl der Gebäude auf die Größe der Ländereien, dann war die Selbsteinschätzung 'Großbauer' durchaus gerechtfertigt. Das Anwesen Wehrkamp lag am Ende des 'Nottkamp', also nördlich der Ortsgemeinde Schermbeck. Knoop schaute auf seine Uhr. Es ging auf 20 Uhr zu. In einigen Wohngebäuden des Umkreises hatte man schon vereinzelt das Licht eingeschaltet. Auch das Wohnhaus von Wehrkamp hatte einen erleuchteten Raum. Als sie auf den Eingang zugingen, erhellte ein Halogenstrahler die freie Hoffläche. Es roch nach Dung und Wagenschmiere.
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