Kuzunoha aber antwortete: „Frage mich jetzt nicht, noch ist es nicht Zeit, dir dies zu erklären. Ist es an der Zeit, so wirst du alles erfahren!“
Damit beruhigte sich Yasuna, der glücklich war, seine Braut bei sich zu haben. Er zögerte nicht lange, sondern machte einige Tage darauf mit ihr Hochzeit. Einige Jahre lebten beide glücklich und zufrieden und ein herziger Knabe, den Kuzunoha ihm geschenkt hatte, verschönte ihr Glück. Diesem Knaben hatten sie den Namen Dokyo (Anmerkung: Dokyo = Mut. ) gegeben.
Eines Tages war Yasuna im Wald gewesen und kehrte erst spät abends zurück. Als er vor seinem Haus ankam, war er nicht wenig überrascht, vor der Tür seine Schwiegereltern mit seiner Frau stehen zu sehen, die sich lebhaft unterhielten; er trat näher, begrüßte sie und fragte, warum sie nicht in das Haus gingen, sondern vor der Tür ständen.
Sein Schwiegervater aber fuhr ihn zornig an, was das heißen solle, dass er sich die ganzen Jahre lang nicht um seine Braut bekümmert habe und jetzt mit einem andern Weib zusammenlebe.
Yasuna wusste nicht, was er zu solcher Rede sagen sollte und war noch mehr verwundert, als auch seine Braut ihm die gleichen Vorwürfe machte. Er öffnete kurzer Hand die Tür des Hauses und lud alle ein einzutreten. „Wir können uns da drinnen weiter darüber unterhalten, was eure Vorwürfe bedeuten sollen; hier auf der Straße ist nicht der Ort dazu!“ sagte er und wollte vorangehen, prallte aber zurück, denn im Zimmer saß seine Frau und nähte! — Hier draußen stand aber auch seine Frau; die aber behauptete, noch nicht seine Frau zu sein, sondern nur seine Verlobte! Wer war die richtige, wer die falsche Kuzunoha? — Er schloss nun ganz lautlos die Tür, trat zurück und sagte zu seinen Schwiegereltern: „Wartet hier einen Augenblick, ich komme gleich zurück!“
Dann trat er in sein Haus, begrüßte seine Frau und sagte ihr: „Deine Eltern sind angekommen, rüste dich, sie zu empfangen! In einer Stunde sind wir wieder hier!“
Nachdem die Frau zugesagt halte, alles aufs beste zu besorgen, ging Yasuna zu den Schwiegereltern zurück und bat sie mit ihm einen Spaziergang zu machen, nach einer Stunde würde er sie in sein Haus führen.
Auf dem Weg erzählten ihm die Schwiegereltern, dass das bei ihnen befindliche Mädchen tatsächlich ihre Tochter Kuzunoha, seine Braut sei und dass diese untröstlich darüber, dass Yasuna in der langen Zeit nichts habe von sich hören lassen, ihre Eltern veranlasst habe, die weite Reise mit ihr zu machen. Jetzt angekommen, müssten sie zu ihrer großen Betrübnis sehen, dass bereits eine andere Frau im Haus sei!
Yasuna erzählte sein Abenteuer und seine glückliche Ehe.
Unter diesem Gespräch war die Stunde vergangen, alle kehrten zurück und gingen ins Haus; aber es war keine Frau zu sehen, nur das Kind lag auf seinem Lager und weinte, jubelte aber der Kuzunoha zu, die den Knaben auf den Arm nahm und mit ihm scherzte. Dann erzählte der Knabe ihr einen sonderbaren Traum, den er gehabt habe und fragte, was er bedeute. Er sagte zur Kuzunoha: „Vorhin, als ich schlief, sagtest du zu mir, dass du gar kein Mensch, sondern eine verzauberte Füchsin seiest. Der Vater habe dir einmal das Leben gerettet und deshalb habest du menschliche Gestalt angenommen und seist ihm in Gestalt seiner Braut erschienen um ihm zu danken. Jetzt sei aber die wirkliche Braut gekommen und so müssest du scheiden. Ich solle dies dem Vater erzählen und ich soll brav und gut werden und bleiben. Ein dummer Traum, nicht wahr!“
Alle sahen sich erstaunt an, war doch jetzt das Rätsel geklärt. Die wirkliche Kuzunoha blieb nun im Haus als rechtmäßige Gattin Yasunas und erzog den kleinen Dokyo zu einem tüchtigen Menschen, der klug und tapfer wurde.
Von der weißen Füchsin hat man nie wieder etwas gehört.
(Anmerkung: Sprich: Uraschima; Urashima = Eigenname, taro = ältester Sohn, im übertragenen Sinn etwa: der Erstgeborene, der Ältere .)
In einem Fischerdorf, nahe dem heutigen Yokohama lebte vor vielen, vielen Jahren ein junger Fischer namens Urashima Taro. Als er eines Abends vom Fischfang zurückkehrte und recht zufrieden und guter Dinge war, weil er gute Beute gemacht hatte, sah er am Strand eine Schar Knaben, die eine kleine Schildkröte gefangen hatten und sie an einer an einem ihrer Vorderbeine befestigten Schnur im Kreis herumschwangen und quälten (Anmerkung: Derartige Tierquälereien kann man noch heute tagtäglich als eine Belustigung der japanischen Jugend beobachten. ). Urashima, der die Tiere gern hatte und jede Quälerei harmloser Tiere verabscheute, fühlte auch jetzt wieder Mitleid mit dem armen Tierchen und ging auf die Kinder zu.
Indem er seiner Stimme einen energischen Ton gab, schalt er die Kinder. „Was ist das für eine Bosheit“, rief er empört aus, „dieses schuldlose und hilflose Tier so zu quälen! Wisst ihr nicht, dass Gott im Himmel solche böse Kinder bestraft, die arme Tiere misshandeln? Zeigt einmal her, wem gehört denn diese Schildkröte?“
„Dieses Tier gehört niemandem!“ entgegnete der älteste der Knaben und fügte noch unverschämt hinzu: „Wir können machen, was wir wollen; und wenn wir ein Vergnügen daran haben das Tier zu töten, so ist das unser freier Wille und geht keinen anderen etwas an!“
Urashima sah ein, dass er diesem frechen Bengel nicht mit Morallehren kommen dürfe; denn auf solche harte Herzen haben Worte keinen Einfluss; er änderte also seine Taktik und sagte nun mit möglichst milder Stimme: „Nun, nun, ärgert euch nur nicht, das war nicht so bös gemeint; aber diese allerliebste Schildkröte gefällt mir und ich möchte sie gern besitzen. Wollt ihr euch in einen Handel mit mir einlassen? Wie wäre es, wenn ihr mir das Tier verkaufen würdet? Für Geld könnt ihr euch etwas kaufen und euch bessere Freude machen, als dass ihr dieses Tier hier im Kreis herumschleudert!“
Die Kinder gingen erfreut schnell auf den Handel ein und überließen Urashima gegen einige Silbermünzen die Schildkröte.
Urashima nahm sie in die Hand, ging bis zum Wasser und setzte das Tier ins Meer, indem er sagte:
„Armes Tierchen, nicht um dich der Freiheit zu berauben, sondern dir die Freiheit wiederzugeben, habe ich dich gekauft; nun schwimme hin und sei in Zukunft vorsichtiger, damit du nicht wieder in böser Buben Hände fällst!“ Er blieb noch ein Weilchen stehen und sah zufrieden lächelnd der schnell im Wasser dahinschwimmenden Schildkröte nach, bis er sie nicht mehr erblickte; dann nahm er sein Fischereigerät und seine Fische und ging wohlgemut in seine Hütte.
Am andern Morgen ging er wie gewöhnlich seinem Handwerk nach. Als er mit seinem Kahne auf dem Meer war und seine Netze ausgeworfen hatte, hörte er plötzlich ein zartes Stimmchen rufen:
„Urashima sama!“ (Anmerkung: „ sama“ auch „san“ = Herr, sama ist die höflichere Form als san. )
Erstaunt sah er sich um, konnte aber nicht entdecken, woher die Stimme ertönte und wer seinen Namen rief. Da ertönte es abermals:
„Urashima sama!“
Jetzt merkte er, dass die Stimme aus dem Wasser kam und er beugte sich über den Rand seines Bootes und erblickte die kleine Schildkröte, die er am Tag vorher aus den Händen der Buben befreit hatte. Im ersten Moment war er erschrocken; doch fasste er sich ein Herz und fragte: „Warst du es, die mich rief?“
„Gewiss!“ antwortete das Tierchen. „Ich bin gekommen um euch meinen Dank für eure gestrige edle Tat zu sagen. Und weil ihr mir meine Freiheit gegeben habt, möchte ich euch etwas recht Schönes zeigen! Habt ihr Lust, so folget mir!“
Urashima dachte: Was kann es wohl sein, das mir dieses unscheinbare Tier zeigen könnte? Doch nichts Besonderes. Aber das macht auch nichts, es will sich mir dankbar erweisen und so will ich ihm auch die Freude nicht verderben. Nachdem er sich so ein Weilchen bedacht hatte, fragte er doch vorsorglich:
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